Die Hinspiele des Achtelfinals in der Champions League begannen mit einer erwarteten Niederlage von Bayer Leverkusen und endeten mit einer sensationellen Niederlage des FC Bayern. Fünf bis sechs Paarungen sind noch nicht entschieden, aber das hindert uns nicht daran, schon ein kleines Zwischenfazit in vier Punkten zu ziehen.
1) Europas Fußballgeographie steht auf dem Kopf - für den Moment
England: null Punkte. Deutschland: null Punkte. Italien: sechs Punkte. Frankreich: sechs Punkte. Russland: vier Punkte. Nur Spaniens vier Zähler entsprechen grob der Erwartungshaltung vor dem Achtelfinale. Nicht unwahrscheinlich ist ein Viertelfinale ohne Premier League-Beteiligung, durchaus denkbar eines ohne Bundesligavertreter.
Dafür bestätigt die so gerne tot gesagte Serie A den Aufwärtstrend, der sich heimlich, still und leise abzeichnet. Vorsicht ist natürlich geboten: Weder Chelsea noch der FC Bayern etwa sind bereits ausgeschieden. Und so anmaßend das Gerede vom Durchmarsch ins Finale, den nur der FC Barcelona aufhalten könne, im Herbst war, so verfrüht sind jetzt die Krisengeschichten in München.
Und bei allem Respekt vor Basel: Bevor man die Saison der Champions League-Sensationen ausruft, sollte man sehen, dass die beiden besten Teams des Kontinents, Barcelona und Real Madrid, ohne größere Probleme auf Kurs sind. Mindestens eine von ihnen werden wir wohl in München im Finale sehen.
2) Mehr analysieren, weniger moralisieren
Der deutsche Fußballjournalismus ist, das muss man nicht zum ersten Mal festhalten, ist in keiner besonders anspruchsvollen Verfassung. Grundsätzlich hebt sich Sky dabei in seinen besseren Momenten deutlich vom frei empfangbaren Fernsehen ab (man vergleiche etwa die Talksendung "Sky 90" mit dem "Doppelpass" auf Sport 1), was aber nicht das Füllwortgewitter entschuldigen soll, das sie dort "Bundesligakonferenz" nennen. In den vergangenen zwei Champions League-Wochen jedoch ließ sich leider auch bei den Kollegen vom Pay-TV der Hang beobachten, an Stelle des Versuchs einer Einschätzung, mit welcher Taktik Mannschaften zum Erfolg kommen könnten, die pauschale Forderung zu setzen, alle müssten immer "mutig nach vorne spielen".
So wurde Leverkusens erste Halbzeit gegen Leverkusen, die wir insgesamt zwar nicht unterhaltsam, aber durchaus taktisch angemessen fanden, als völliges Versagen der Bayer-Elf gelesen. Spox.com analysierte gar, genau diese erste Halbzeit habe Leverkusen der Chance aufs Viertelfinale beraubt. Ein erstaunliches Statement, hatte Robin Dutts Team doch in der "attraktiveren" zweiten Halbzeit zwei Gegentore bekommen. Dabei ist es weniger problematisch, dass es Menschen gibt, die die legitime Auffassung vertreten, Leverkusen hätte offensiver spielen müssen. Es verwundert eher, dass sich landauf, landab niemand findet, der den Wert einer reaktiven Spielweise gegen klar überlegene Gegner verteidigen will.
Noch eklatanter wurde es in der zweiten Woche, beim Spiel ZSKA gegen Real Madrid im Luzhniki-Stadion. Die Russen lagen mit 0:1 zurück, standen einigermaßen kompakt, aber kamen in der gegnerischen Hälfte nicht zum Zug. "Kein Wunder", wird man sagen, wenn man Real Madrid in dieser Saison schon ein paar Mal gesehen hat. "Erbärmlich", befand Sky-Kommentator Marco Hagemann, der sich wunderte, warum die Fans ihrer Mannschaft überhaupt noch zujubelten, wo diese doch so schlecht spiele. Am Ende gelang ZSKA noch der Ausgleich, womit die Moskauer neben Barcelona die einzige Mannschaft seit September 2011 sind, die in einem Pflichtspiel gegen Jose Mourinhos Team gepunktet hat. Nicht so erbärmlich.
Wenn alle Mannschaften den meisten Erfolg hätten, wenn sie alles nach vorne würfen, dann taucht zwangsläufig die Frage auf, warum nicht alle Teams immer offensiv spielen. Dieses Paradoxon beantworten die meisten deutschen TV-Sportjournalisten gerne mit der Kategorie "Leidenschaft". Die Mannschaft, die mehr Spielanteile hat, hat dann einfach mehr "Leidenschaft" gehabt, oder "mehr investiert".
Solch eine Sichtweise muss man Matthias Sammer natürlich nicht unterstellen, aber auch der Studio-Experte nach dem Spiel Napoli gegen Chelsea verstieg sich gleich dreimal zu der Formulierung, das Abwehrverhalten von Raul Meireles vor Ezequiel Lavezzis Ausgleichstor sei eine "Unverschämtheit". Von der Frage mal abgesehen, ob der Sportdirektor des DFB so über Profis sprechen sollte, gilt auch hier die Frage: Muss ein technischer oder taktischer Fehler immer gleich als Charakterdefizit gefasst werden?
3) Arsène Wengers Zeit läuft ab
Jahrelang kannte man Arsenal als Gralshüter des attraktiven Fußballs, der die meisten Gegner in der Premier League mit Tempfußball demontierte und sich nur auf der großen europäischen Bühne schwer tat, wenn es in die KO-Runden ging. Noch vor einem Jahr besiegten die Gunners Barcelona im Hinspiel des Achtelfinals mit 2:1. Heute wurde Arsenal von Milan an die Wand gespielt und sieht sich einer Ausgangsposition fürs Rückspiel gegenüber, nach der noch nie jemand weitergekommen ist.
Der Unterschied zu früher: Auch in der Premier League rückt die Spitze immer weiter weg. Erzrivale Tottenham Hotspur, in den letzten 20 Jahren nie am Saisonende vor Arsenal platziert, hat aktuell schon zehn Punkte Vorsprung auf die Gunners. Mit Ausnahme von Robin van Persie besitzt Arsenal kaum noch echte Weltklassespieler, und das machte es Milan leicht, die größte Gefahr bei den Gästen zur Not mit Doppeldeckung aus dem Spiel zu nehmen.
Erschreckend war auch die taktische Einstellung Arsenals in Mailand, weil nicht einmal versucht wurde, über die Flügel zu kontern, wo Milan am anfälligsten zu sein scheint. Das praktisch sichere Aus im Achtelfinale muss Wenger noch nicht den Job kosten. Aber das mögliche Verpassen der Champions League-Plätze muss den Verantwortlichen in Nordlondon klar machen, dass der seit Jahren nach unten zeigende Trend die Existenz des Clubs in Gefahr bringt.
4) Die Qualität der Spielflächen war der Champions League nicht würdig
Fußball im Februar ist in Europa nicht überall unter perfekten Bedingungen möglich. Und nach der Kältewelle, die den ganzen Kontinent Anfang des Monats erfasste, waren die Voraussetzungen für satt grüne Rasenflächen nicht ideal. Dennoch bleibt es unbefriedigend, wenn die äußeren Bedingungen so uneinheitlich und schlecht sind.
In St. Petersburg war bei unter minus zehn Grad ohnehin kein normales Fußballspiel möglich, in Moskau wurde ja auf Kunstrasen gespielt. In Mailand waren Teile des Rasens unmittelbar vor dem Spiel gegen Arsenal neu verlegt worden, so dass die Bedingungen nicht auf allen Teilen des Spielfeldes gleich gut waren. In Neapel führte ein Platzfehler zu Paolo Cannavaros Fehler vor dem 0:1, in Basel war der Rasen ebenfalls nur sehr schwer bespielbar.
Da kann man nichts machen? Doch. Da ohnehin zwei Termine im Europapokalkalender frei sind, was momentan in der absurden Stückelung des Achtelfinals über vier Wochen führt, spräche nichts dagegen, alle Achtelfinalbegegnungen im März auszutragen - außer den Fernsehverträgen, vermutlich.
Daniel Raecke