Eine im Vergleich zum Österreich-Festspiel auf gleich sieben (!) Positionen veränderte Startelf schickte Joachim Löw im Testspiel gegen Polen auf den Rasen. Unter der Mega-Rotation des Bundestrainers litt das deutsche Spiel aber anfangs nicht. Das DFB-Team fand in der neuen Danziger EM-Arena sofort in die Partie und schnürte die Hausherren in der Anfangsphase ein. Mit etwas mehr Konzentration im Abschluss hätte es bereits nach zehn Minuten 3:0 stehen können. Klose, Rolfes und auch Philipp Lahm mit einer für ihn typischen Aktion vergaben allerdings beste Chancen.
Für die Polen waren diese Szenen eine Art "Hallo-Wach-Effekt". Sie sammelten sich fortan und versuchten, mit schnellem Direktspiel in die Spitze ihrerseits Akzente zu setzen. In der 11. Minute hätte das fast zum Erfolg geführt. Dabei sah die deutsche Innenverteidigung in Person des zurückgekehrten Per Mertesacker ziemlich alt aus. Der Ex-Bremer ließ sich übertölpeln und kam gegen Kölns Peszko viel zu spät. Zum Glück für Deutschland (und für Mertesacker) stand dahinter noch Tim Wiese, der in höchster Not rettete.
Die Nationalmannschaft blieb danach zwar optisch überlegen, spielte sich nach ihrer furiosen Anfangsphase aber erstmal keine weiteren Tormöglichkeiten heraus - auch weil viel zu selten über die Flügel - über Podolski und Schürrle - gespielt wurde. Mario Götze steckte wiederholt einfallslos die Bälle in der Mitte durch. Auf der anderen Seite hatte die deutsche Viererkette Probleme mit den überfallartigen Angriffen des EM-Gastgebers. So wie in der 27. Minute als es erneut Peszko war, der dieses Mal Träsch davon lief und mit einem Linksschuss nur knapp das Tor verfehlte.
Besserer Re-Start für das DFB-Team
Es war mitunter ein wildes Spiel, dieser Testkick an der Ostsee. Auf beiden Seiten wurde munter gebolzt. Die Fehlerquote war in der letzten Viertelstunde der ersten Hälfte enorm hoch, die Abwehrreihen ließen ein wahres Chancen-Feuerwerk zu. Polens Klasse-Keeper Wojciech Szczesny vom FC Arsenal tat sich dabei besonders hervor. Der Torwart rettete fast schon aberwitzig gegen den freistehenden Podolski und im Nachschuss gleich doppelt gegen Klose (42.).
Aber auch Tim Wiese war nochmal gefordert. Eine Minute vor der Pause sprang der Bremer mal wieder seiner überforderten Viererkette bei - und luchste in bester Kung-Fu-Manier (aber fair) Slawomir Peszko den Ball so gerade noch ab. Richtig unverdient wäre der Rückstand für die deutsche Mannschaft nicht gewesen.
Nach dem Wechsel erwischten die Deutschen wieder den besseren Start. Endlich einmal ließ der junge Götze seine Klasse aufblitzen, als er den eingewechselten Cacau (kam für Klose) mit einem Zucker-Pass perfekt bediente. So toll das Zuspiel, so mies der Abschluss: Stuttgarts Stürmer vergab um Zentimeter.
Es folgte eine Szene, die symptomatisch für das schwache deutsche Defensivverhalten an diesem Abend war. Eine schnelle Dreierkombination über Kuba, Dariusz Dudka und schließlich Robert Lewandowski führte zum 1:0 für die Polen (55.). Es war die fehlende Konsequenz im Zugriff, die diesen Treffer ermöglichte. Niemand störte, keiner schritt ein und unterband das Aufbauspiel des EM-Mitgastgebers. Die Deutschen machten es den Polen leicht.
Wiese unglücklich
Joachim Löw wirkte an der Seitenlinie leicht erregt ob der gezeigten Leistung - der Bundestrainer reagierte auf die Trägheit und brachte seinen Dauerläufer Thomas Müller. Der Griff lohnte sich. Der Münchener holte in der 68. Minute nach einer feinen Einzelleistung über rechts einen Elfmeter heraus, den Toni Kroos cool verwandelte. In dieser Phase der Partie wog das Spiel hin und her. Erst traf Schürrle mit einem herrlichen Drehschuss nur das Lattenkreuz (Szczesny war da noch dran), kurz danach war es Dudka, der Wiese mit Flachschüssen prüfte (76./80.).
In den Schlussminuten dieses unansehnlichen weil niveauarmen Spiels überschlugen sich dann die Ereignisse. Zunächste ahndete Referee Daniele Orsato ein Eingreifen von Wiese gegen Brozek mit dem Elfmeterpfiff. Der deutsche Torwart spielte zwar den Ball, aber er berührte eben auch zeitglich den polnischen Mittelfeldspieler am Fuß. Den konnte man geben. Kuba verwandelte zum 2:1 für Polen (90+1). Die Fans in Danzig lagen sich bereits in den Armen und träumten vom ersten Sieg gegen Deutschland, als das DFB-Team in der vierten Minute der Nachspielzeit wenigsten nochmal Moral bewies und durch Cacau (nach schöner Vorarbeit von Müller) zum letztlich verdienten Ausgleich kam.
Es knirscht im Ganzen
Danach war Schluss und Joachim Löw nach diesem 2:2 um einige Erkenntnisse reicher. Als Achillesferse entpuppte sich gegen Polen vor allem die Defensive. Christian Träsch, der den angeschlagenen Benedikt Höwedes vertrat, stellt in dieser Verfassung keine Alternative dar. Der Wolfsburger wurde auf der rechten Seite wiederholt von Slawomir Peszko überlaufen und beschwor damit gefährliche Situationen für Tim Wiese herauf.
Aber auch Per Mertesacker wirkte bei seinem DFB-Comeback nach fünfmonatiger Pause nicht als Stabilisator der Innenverteidigung. Auf der Schweinsteiger-Position vor der Abwehr leistete sich Simon Rolfes immer wieder schwere Fehler in der Spieleröffnung. Zudem verschleppte er das Tempo, anstatt es zu forcieren.
Aber es knirschte auch im Ganzen. Löw probierte gegen Polen sehr mutig ein 4-1-4-1-Systen aus. Ergebnis: Die Nationalmannschaft war viel zu konteranfällig bei den schnellen Angriffen des Gegners. Für diese taktische Ausrichtung fehlte dem DFB-Team an diesem Abend das passende Personal. Dafür braucht es nämlich schnelle Innenverteidiger. Ohne eine zweite defensive Absicherung im Mittelfeld reicht es gegen biedere Teams wie Österreich, gegen bissigere und vor allem schneller spielende Mannschaften wie Polen aber nicht.