Starke Fans des Rekordmeisters Jubel im Scheitern: die neue Bayern-Kultur

Die Bayern-Fans feierten ihr Team nach dem Ausscheiden gegen Barcelona minutenlang. Es war eine starke Geste, nicht selbstverständlich bei Bayern. Die Fans haben ein gutes Gespür für die Situation.

Thomas Müller stand zwischen Oliver Welke und Oli Kahn im ZDF-Studio und wusste erst gar nicht so recht, wie er seinen Dank ausdrücken sollte. "Großes Kompliment an die Fans. Ich denke, die Unterstützung war selten so groß", sagte er, das klang erstmal nach Nullachtfünfzehn-Lob - doch dann fand er emotionale Worte, schob hinterher: "Auch wenn wir jetzt insgesamt ausgeschieden sind. Da bekommt man - auch wenn man zusammen mit den Fans schon bisschen was erlebt hat - doch eine Gänsehaut. Das kommt bei mir nicht so oft vor, wenn ich ehrlich bin."

In der Tat dürfte sich manch neutraler Zuschauer verdutzt die Augen gerieben haben: Noch Minuten nach Spielschluss gegen den FC Barcelona stand ein Großteil der Fans in der Münchner Arena auf seinen Plätzen, applaudierte, sang, feierte die Mannschaft. Es waren Szenen, wie sie in München nach Misserfolgen selten, wenn nicht sogar noch nie, in vergleichbarer Dimension dagewesen sind. Die Verlierer wurden euphorisch gefeiert. Auch wenn stern.de-Kolumnist Micky Beisenherz schreibt: Liebe Bayern, "Euer Stadion - ein 75.000-köpfiges Schweigegelübde." - am Dienstagabend traf das wahrlich nicht zu.

Feines Fan-Gespür

Mindestens an diesem einen Abend war auch der FC Bayern mal im Feiern Champions League. In Barcelona und vor allem bei Real Madrid wird selbst im Halbfinale der Champions League noch gepfiffen, wenn es nicht so läuft. In München gab es Dauer-Unterstützung.

Es sagt viel aus über die Situation beim Rekordmeister, dass die Fans das Team trotz Kritik in den vergangenen Wochen hochleben lassen. Die Fans haben ein feines Gespür für die Leistung ihrer Mannschaft. Sie haben gemerkt: Es war bei den Misserfolgen in den vergangenen Wochen neben etwas Unvermögen auch viel Pech dabei (zum Beispiel gegen Dortmund). Und immerhin ist der FC Bayern ja auch noch Meister.

Die Fans orientieren sich mit ihrem Lob aber auch an der Vereinsspitze. Wohl noch nie kamen Bayern-Bosse im Scheitern so genügsam daher. Guardiola lobte schon vorher eine "super Saison". Karl-Heinz Rummenigge sprach davon, sich "erhobenen Hauptes" verabschiedet zu haben, man sei schließlich gegen die "wahrscheinlich beste Mannschaft der Welt" ausgeschieden. Das alles sind neue Töne. Die Bayern können plötzlich gut verlieren. Jahrzehntelang gab es für Bayern-Chefs schließlich nur eine beste Mannschaft der Welt: den FC Bayern.

Wer besser verlieren kann, ist ein Gewinner

Natürlich hat Pep Guardiola etwas mit dem Stimmungswandel zu tun. Er ist ein guter Verlierer, er gibt unumwunden zu, wenn etwas schlecht läuft, oder sein Team schlechter war als ein Gegner. Vielleicht ist das einer seiner größten Verdienste in der zweijährigen Amtszeit.

Vielleicht hat aber auch ein alter Rivale etwas mit den starken Reaktionen der Fans zu tun. In Dortmund sind die Fans schließlich seit Jahren der Maßstab der Liga. Die Dortmunder haben die Bayern ja schon in einigen Punkten zu Höchstleistungen getriezt. Vielleicht gilt das jetzt ja auch für die Fan-Kultur. Die Reaktion der als ach-so-verwöhnt-verschrieenen Bayern-Anhänger gegen Barcelona zeigt jedenfalls: Verlieren, das können die Münchner besser als früher. Und kurioserweise werden sie genau damit zu einem großen Gewinner.

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