Was für ein Schock. Die 1:2-Niederlage gegen Japan zum Auftakt der Weltmeisterschaft in Katar ist für die Nationalelf das denkbar schlechteste Ergebnis, um in das Turnier zu starten. Das Erreichen des Achtelfinales erscheint wie Wunschdenken angesichts des nächsten Spiels gegen starke Spanier, die Costa Rica mit 7:0 rasierten. Die Niederlage ist ein Wirkungstreffer, und das war den Protagonisten in den Interviews nach dem Spiel anzumerken.
Mit düsteren Mienen versuchten Thomas Müller ("Es ist aberwitzig, dass wir hier mit einer Niederlage dastehen") oder Ilkay Gündogan ("Wie die Tore gefallen sind, das darf uns nicht passieren") Worte für die unfassbare Wendung zu finden, die dieses Spiel erfahren hatte. Deutschland war lange das bessere Team und führte 1:0, bis die Partie nach einer System-Umstellung und den Auswechslungen von Bundestrainer Hansi Flick plötzlich kippte. Innerhalb von acht Minuten erzielten die Japaner zwei Tore (75. und 83. Minute) und drehten das Spiel zu ihren Gunsten.
DFB-Elf in der Einzelkritik: Zu viele Spieler patzen, zwei machen die größten Fehler

Note: 4
Seine Rettungstat kurz vor dem Pausenpfiff war enorm wichtig. Kassierte dann zwei Gegentore. Bei letzterem sah Neuer nicht glücklich aus.
Bastian Schweinsteiger zerpflückt die DFB-Elf
Als Hansi Flick nach dem Schlusspfiff ins ARD-Studio kam, um das Unerklärliche zu erklären, war Experte Bastian Schweinsteiger gerade dabei, die Leistung der Nationalelf gnadenlos zu zerpflücken. Schweinsteiger sagte Dinge wie : "Es ist wirklich enttäuschend, dass wir so ein Spiel verlieren, aber ich glaube, es zeigt schon auch, wie wir gerade auch stehen, also, und welche Fehler wir heute wieder gesehen haben, das ist kein Zufall, die hatten wir auch in den anderen Spielen." Oder in Kurzform: "Das ist nicht abgezockt, das ist nicht erfahren, das ist auch nicht clever genug."
Flick, dem der Schock über das merkwürdige Auseinanderbrechen seiner Mannschaft ebenfalls im Gesicht abzulesen war, sagte dann nicht mehr viel: "Das ist brutal enttäuschend. Ich glaube nicht nur bei mir, beim ganzen Trainerteam, aber natürlich auch bei den Spielern", fasste er die emotionale Lage zusammen. Einig war man sich schnell darüber, dass Niklas Süle, den Flick auf die rechte, defensive Außenbahn gestellt hatte, den entscheidenden Fehler vor dem Siegtreffer der Japaner beging.
Die Fehler der deutschen Elf sind schnell zusammengefasst. Erstens versäumten sie es, trotz zahlreicher hervorragender Möglichkeiten den zweiten Treffer zu erzielen. Exemplarisch stand die vergeigte Doppelchance durch Jonas Hofmann und Serge Gnabry. Wenige Minuten später fiel der Ausgleich der Japaner durch Ritsu Doan. Zweitens fand Flicks Team keine Antwort auf die plötzliche Offensivpower des Gegners und verteidigte teilweise dilettantisch. Das Defensivverhalten vor dem ersten Gegentreffer war ambitionslos (Havertz, Süle, Goretzka).
Niklas Süle hat nicht den besten Tag
Beim zweiten Treffer der Japaner hob Süle das Abseits bei einem langen Ball der Japaner auf. Takuma Asano vom VfL Bochum hatte frei Bahn und ließ sich auch nicht mehr von Nico Schlotterbeck stören, als er den Ball aus kurzer Distanz und spitzem Winkel in das deutsche Tor jagte. Man darf gespannt sein, ob die beiden gegen Spanien auflaufen. Die Aufstellung von Schlotterbeck in so einem bedeutenden Spiel kam sowieso überraschend, hatte sich der Verteidiger in der Nationalelf schon zwei Patzer (unmotiviert Strafstöße verursacht) erlaubt.
Die krassen individuellen Aussetzer und die mangelnde Chancenverwertung waren ein Faktor für die Niederlage, die wahrscheinlich das erneute Vorrundenaus bei dieser WM bedeutet. Doch auffällig war, dass Flicks Auswechslungen dazu beitrugen, dass das Spiel kippte. Als er Ilkay Gündogan und Thomas Müller, neben Neuer die erfahrensten Spieler im Kader, vom Rasen holte, kippte das Spiel endgültig. Kurz danach fielen die Gegentore. Dass er Müller auswechselte, der lange verletzt war und noch nicht vollends wieder fit ist, war verständlich. Aber mit Gündogan nahm er den Taktgeber raus. Es folgte der Bruch.
Natürlich ist ein Trainer nicht für individuelle Patzer seiner Spieler verantwortlich, aber er trägt die Verantwortung für das Gesamtkunstwerk, für die richtige Mischung. Er steuert das Gebilde Nationalelf. Und die Fehler, die jetzt im Spiel gegen Japan passiert sind, traten nicht zum ersten Mal auf. Seit Flick angetreten ist, kämpft die Nationalelf mit den immer gleichen Problemen (siehe Schweinsteiger), und es scheint, als bekäme sie der Trainer nicht in den Griff. Manchmal wirkt Flick ratlos angesichts der Schwächen, die die Spieler zeigen.
Flick war bislang sakrosankt. Doch sollte die deutsche Elf wieder in der Vorrunde scheitern, dürfte das seine Position schwächen. Noch ist es nicht so weit. Aber: Wer glaubt jetzt noch, dass die Mannschaft eine Chance gegen Spanien hat? Blickt man auf die aktuelle Form, erscheint ein Sieg kaum möglich. Dabei hätte die Nationalelf nach der 0:6-Klatsche im letzten Duell gegen Spanien einiges gut zu machen.