Nationalmannschaft Völler kritisiert Klinsmanns Offensivstil

Unter Jürgen Klinsmanns Regie spielt die DFB-Elf so offensiv wie seit Jahren nicht mehr. Ex-Teamchef Rudi Völler hat den Bundestrainer davor gewarnt, im Hau-Ruck-Stil nur nach vorne zu rennen.

Der ehemalige Teamchef der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und Sportchef Bayer Leverkusens, Rudi Völler, hat Bundestrainer Jürgen Klinsmann indirekt vor zu vielen Experimenten gewarnt. Im "Tagesspiegel am Sonntag" sagte Völler: "Du musst dich immer an den Möglichkeiten orientieren, die dein Kader hergibt. Wenn wir bei der WM in Asien nur nach vorne gerannt wären, wären wir mit Sicherheit nicht ins Endspiel gekommen. Da mussten wir erst mal in der Defensive gut stehen. Meine Philosophie und Strategie ist es oft gewesen, eine zusätzliche Absicherung im Spiel zu haben." Völler fügte hinzu: "Jetzt in den Freundschaftsspielen kannst du vieles ausprobieren. Bis jetzt ist das okay. Ich hoffe, dass das bei der WM auch so klappt."

Vergleiche zu seiner eigenen Arbeit als Verantwortlicher der DFB-Elf von 2000 bis 2004 lehnte Völler ab: "Nehmen Sie die Geschichte mit den Fitnesstrainern aus den USA. Ich bin zuletzt häufiger danach gefragt worden, ob ich das auch so machen würde. Ich habe immer geantwortet: Die Fitnesstrainer können auch aus Holland, China oder Japan kommen: Das Wichtigste ist, dass Michael Ballack sich nicht verletzt."

Die neuen Methoden und Arbeitsansätze des Bundestrainers überraschen den Ex-Teamchef nicht: "Der war schon als Spieler immer der etwas andere Profi. Dass er auch als Trainer anders sein würde, war mir immer klar", behauptet Völler. "Bei Jürgen sieht vieles sehr gut aus. Ich kenne ihn nicht anders. Und ich beneide ihn wirklich, dass er nach Länderspielen mal wegtauchen kann", sagte der Weltmeister von 1990 über die Tatsache, dass Klinsmann mit seiner Familie nicht von Kalifornien nach Deutschland umgezogen ist. "Ich will gar nicht beurteilen, ob das so sein sollte oder nicht. Aber das ist eine Sache, die dir persönlich einfach gut tut: dass du nicht erreichbar bist und erst einmal nichts von dem Ganzen hören musst."

Erwartungsdruck von Fans und Medien

Eine Woche vor dem Start des Confederations Cup sind zwar schon wichtige Stützpfeiler im Team zu erkennen, doch von der endgültigen Fertigstellung ist der Chefarchitekt noch weit entfernt. Bei der "Mini-WM" vom 15. bis 29. Juni warten schwere Gegner wie Argentinien auf den Klinsmann-Kader. Zugleich steigt der Erwartungsdruck von Fans und Medien stetig. Doch der 40-Jährige Coach sieht sich nicht unter Zeitdruck.

Auch beim Confederations Cup, dem prestigeträchtigen Acht-Nationen-Turnier im eigenen Land, will Klinsmann bei der Aufstellung unverdrossen Varianten testen, so wie er es auch bei der nur halb geglückten Generalprobe am Mittwochabend gegen Russland getan hatte. Im Mönchengladbacher Borussen-Park standen "junge Wilde" wie Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski überraschend in der Start-Elf. Am Ende kassierte das bis zuletzt offensiv ausgerichtete Team in der 90. Minute unglücklich den 2:2-Ausgleich.

Augenfällig wurde dabei wieder die Neuerung, die das aktuelle Team von den "Rumpelfüßlern" und Rückpass-Spezialisten der EM 2004 trennt: Unter Klinsmanns Regie spielt Deutschland so offensiv wie seit Jahren nicht mehr; in dieser Hinsicht schlägt sich das Stürmerherz des 108-fachen Nationalspielers sichtbar nieder. Die Kehrseite dieses temporeichen Power-Fußballs, für dessen Umsetzung die ungestümen Schweinsteiger und Podolski, aber auch ein Sebastian Deisler und ein Kevin Kuranyi stehen, sind allerdings ein hoher Kräfteverschleiß bis an die Belastungsgrenze sowie speziell für die Abwehr das Risiko schneller Konter. Dies wurde den Deutschen gegen Russland zum Verhängnis, aber auch im Februar gegen Argentinien: Beide Male gab man den Sieg zum Spielende noch aus der Hand und musste sich mit einem Remis begnügen.

Noch kein Sieg gegen "große" Fußball-Nationen

Auf dem Papier kann sich Klinsmanns Bilanz, der nie zuvor als Trainer tätig gewesen war, trotzdem sehen lassen: Von nunmehr elf Spielen ging bislang nur ein einziges verloren - im Dezember 2004 mit 1:3 in Südkorea. Das Manko bei dieser Statistik: Auch unter Klinsmann schaffte die Nationalmannschaft bislang keinen Sieg gegen eine der "großen" Fußball-Nationen; gegen Weltmeister Brasilien und Olympiasieger Argentinien reichte es zuletzt jeweils nur zu einem Unentschieden.

Viele Experten sehen Klinsmann und das deutsche Team trotzdem auf dem richtigen Weg zu ihrem erklärten Ziel, dem Weltmeistertitel 2006. Mit dem 21-jährigen Mike Hanke holte der Trainer zuletzt wieder einen Debütanten in den Kader der A-Mannschaft - den mittlerweile neunten seit seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr. Doch hat sich die Experimentierfreude auch schon ausgezahlt. Junge Nachwuchskräfte wie der 20-jährige Innenverteidiger Per Mertesacker oder auch die bereits am Ende der Völler-Ära eingesetzten Schweinsteiger und Podolski haben sich unter Klinsmanns Obhut rasend schnell verbessert. Die Folge der stetigen Verjüngung: Mittlerweile hat der aktuelle Kader ein Durchschnittsalter von nur noch 25 Jahren.

Doch weiß der Bundestrainer auch, dass ohne erfahrene Routiniers das "Projekt 2006" scheitern könnte. Zu seinem festen "Stamm von sechs bis acht" Spielern gehören daher Kapitän Michael Ballack und Torsten Frings sowie Christian Wörns, Bernd Schneider und mit Einschränkungen auch Bayern-Keeper Oliver Kahn, der sich jedoch in den kommenden Monaten noch im "Torwart-Duell" gegen Jens Lehmann durchboxen muss.

Schritt für Schritt voran

Mit Blick auf die nächstliegende Aufgabe, den Confederations Cup, will Klinsmann vor allem unnötigen Konzentrationsfehlern wie am Mittwoch gegen Russland entgegen wirken. Es gelte das Stellungsspiel zu verbessern, sagte der 40-Jährige am späten Mittwochabend. "Bei Ballverlusten müssen wir schneller umschalten und einen Tick energischer werden. Da müssen wir hellwach sein. Wir wissen, dass noch viel Arbeit vor uns liegt." Anderseits sei es befriedigend zu sehen, dass die internationalen Gegner die Entwicklung des deutschen Teams beobachten "und sehen, dass da Talente heranwachsen und wir Schritt für Schritt weiterkommen." Sein Fazit: "Wir arbeiten daran, dass man wieder Respekt vor uns hat. Das müssen wir auch beim 'Confed-Cup' unterstreichen."

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