Niko Kovac ist ein tadelloser Sportsmann. Und deshalb wird er es bedauert haben, dass der FC Bayern an diesem Wochenende zum zweiten Mal hintereinander Punkte verloren hat, diesmal beim Tabellenführer Borussia Mönchengladbach. Man könnte es dem vor ein paar Wochen entlassenen Coach allerdings auch nicht verdenken, würde sich in all das Bedauern auch ein klein wenig Befriedigung mischen. Denn jedes nicht gewonnene Spiel rehabilitiert Kovac ein wenig.
Nachdem die Mannschaft unter seinem Nachfolger Hansi Flick zunächst mehrere Kantersiege hingelegt und Roter Stern Belgrad in der Champions League auswärts sogar mit 6:0 aus dem Stadion geschossen hatte, hatte sich der Eindruck festgesetzt, es habe allein an Kovac und seinen taktischen und erzieherischen Fähigkeiten gelegen, dass der FC Bayern den schlechtesten Saisonstart seit vielen Jahren hingelegt hat .

Philipp Köster: Kabinenpredigt
Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Er sammelt Trikots und Stadionhefte, kennt den rumänischen Meister von 1984 und kann die Startelf von Borussia Dortmund im Relegationsspiel 1986 gegen Fortuna Köln auswendig aufsagen: Eike Immel, Frank Pagelsdorf, Bernd Storck, ... Außerdem ist er Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga, und wurde 2010 als "Sportjournalist des Jahres" ausgezeichnet. Vor allem ist er Anhänger der ruhmreichen Arminia aus Bielefeld.
Die Heldenverehrung für Hansi Flick hatte am Ende fast groteske Formen angenommen. Boulevardreporter notierten ehrfürchtig, er spreche sogar bei der Passkontrolle am Flughafen mit seinen Spielern - offenbar ein brandneuer, pädagogischer Kniff, um die Spieler zu Höchstleistungen zu pushen. Diese oft schon in die Karikatur abdriftende Vergötterung des Übungsleiters ist jedoch in den letzten acht Tagen nahezu vollständig verflogen.
Dysfunktionales System in Kovacs Spätphase
Die 1:2-Schlappe bei Borussia Mönchengladbach, durch die der FC Bayern auf Platz sieben abgerutscht ist und derzeit nicht einmal für die Europa League qualifiziert wäre, warf stattdessen ein grelles Schlaglicht auf all die Defizite, die die Münchner schon seit Saisonbeginn, eigentlich sogar schon seit über einem Jahr plagen. Da ist vor allem eine für eine Spitzenmannschaft fast peinlich anmutende Formationstreue.
Seit langer Zeit setzen die Münchner auf ein nur in Nuancen variierendes 4-2-3-1, auch Kovac pflegte diese Tradition und vertraute insbesondere in der Bundesliga darauf, dass die individuelle Klasse der Münchner Akteure und die Zuverlässigkeit von Topscorer Robert Lewandowski schon den Unterschied machen würden. Nun hatte sich das System in der Spätphase unter Niko Kovac bereits als dysfunktional erwiesen, weil sich zur taktischen Ausrechenbarkeit eine schwer erklärbare Abschlussschwäche und eine fahrige Defensive gesellt hatten. All das konnte Hansi Flick nicht beseitigen.

Die rauschhaften Siege der ersten Wochen unter dem Interimscoach waren stattdessen der klassische euphorische Einmaleffekt eines Trainerwechsels, der bestehende Hackordnungen durcheinanderwirbelt, den Konkurrenzkampf belebt und zuvor verschmähten Spielern die Gelegenheit gibt, sich neu zu beweisen, exemplarisch durchexerziert an Thomas Müller, der vom mürrischen Hinterbänkler zur zentralen Figur des Neustarts wurde. Für ein paar Wochen rannten, wirbelten, rochierten die Münchner und ließen so vergessen, dass da eigentlich die alten, unflexiblen Bayern auf dem Platz standen.
Doch der Effekt war nicht nachhaltig. Mochte die 1:2-Niederlage gegen Bayer Leverkusen noch mit den zahllosen vergebenen Chancen gerechtfertigt werden, so war die Pleite in Gladbach eine logische Konsequenz der mangelnden taktischen Flexibilität. Eine simple Systemumstellung der Gastgeber hatte die Münchner vollkommen aus der Fassung gebracht. Der Siegtreffer mochte spät und glücklich zustande gekommen sein, er kam nicht aus heiterem Himmel.
Kein neuer Coach wird die strukturellen Probleme der Mannschaft in Wochenfrist lösen
Die Krise ist also wieder da und auf der Tabelle ablesbar. Die Bayern sollten nun aber nicht zum zweiten Mal den gleichen Fehler machen und sich selbst einreden, ein neuer Trainer könne kurzfristig für Abhilfe sorgen. Fakt ist: Kein neuer Coach wird die strukturellen Probleme der Mannschaft in Wochenfrist lösen, sogar die Aufgabe, während der Winterpause mehr taktische Variabilität einzustudieren, wäre eine sportliche. Dass sich auf dem Markt gerade kein Kandidat tummelt, dessen Verpflichtung Sinn machen würde, ist ein weiteres Argument, um dem gegenwärtigen Coach auch über die Winterpause hinaus zu vertrauen.
Hansi Flick hat gegenüber jedem möglichen Neutrainer den Vorteil, den Kader zu kennen und bei den Schlüsselspielern die notwendige Akzeptanz zu genießen, um die Mannschaft weniger ausrechenbar zu machen. Es muss also heißen: Weiter mit Hansi Flick. Auch wenn er mal bei der Passkontrolle nicht mit den Spielern spricht.