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P. Köster: Kabinenpredigt Der DFB hat keinen Plan und keine Haltung

Fritz Keller, Präsident vom Deutschen Fußball-Bund (DFB)
Fritz Keller, Präsident vom Deutschen Fußball-Bund (DFB)
© Boris Roessler / DPA
Kollektivstrafen, Fanproteste, Unterbrechungen. Der größte Verlierer im Konflikt mit den Anhängern ist der deutsche Fußballbund und sein Präsident Fritz Keller, meint Philipp Köster.
Von Philipp Köster

Der Deutsche Fußballbund ist der größte Sportfachverband der Welt. Sieben Millionen Menschen sind in ihm organisiert. Und er hat in seinen beiden wichtigsten Ligen nichts mehr zu melden. Das ist die Erkenntnis zweier denkwürdiger Wochen, in denen sich die Machtverhältnisse im deutschen Fußball für alle sichtbar und irreversibel verschoben haben. 

Die Chronik den Machtverfalls beginnt mit der Entscheidung des DFB-Sportgerichts, die zur Bewährung ausgesetzte Aussperrung der BVB-Anhänger bei Auswärtsspielen in Hoffenheim zu vollstrecken. Ein Urteil, das der Fußballbund in seiner Wirkung auf die Fanszenen sträflich unterschätzt. Statt die symbolbeladene Rückkehr zu Kollektivstrafen wenigstens zu erklären, verschanzt sich der Verband nach der Bekanntgabe hinter juristischen Floskeln und sieht tatenlos zu, wie der ohnehin schwelende Konflikt mit den Anhängern in den Stadien eskaliert.

Erst in Mönchengladbach, wo Ultras das berüchtigte Motiv des Hoffenheim-Besitzers Dietmar Hopp im Fadenkreuz präsentieren. Und eine Woche später in Sinsheim, wo Hopp auf einem Banner als "Hurensohn" beschimpft wird, was wiederum die Gäste vom FC Bayern als derart epochalen Zivilisationsbruch empfinden, dass sich Spieler beider Mannschaften über zehn Minuten den Ball am Mittelkreis zukicken und der Vorstandsvorsitzende Rummenigge anschließend drakonische Strafen gegen mehrere Ultragruppen ankündigt.

Der Auftritt von Fritz Keller war ein Desaster

Während die Hysterie der Funktionäre von TV-Sendern und Boulevard-Redaktionen noch befeuert wird, ringt der offenbar kalt erwischte DFB vergeblich um Fassung und trifft eine fatale Entscheidung. Er schickt seinen Präsidenten Fritz Keller ins Sportstudio. Erkennbar ohne tiefere Ahnung von der Materie, von Dietmar Hopp in die Spur geschossen, wird Kellers Auftritt ein Desaster. Reihenweise falsche Behauptungen, aktionistische Ankündigungen - an diesem Abend wird klar: Der DFB hat keinen Plan und keine Haltung.

Philipp Köster: Kabinenpredigt

Philipp Köster, Jahrgang 1972, ist Gründer und Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde". Er sammelt Trikots und Stadionhefte, kennt den rumänischen Meister von 1984 und kann die Startelf von Borussia Dortmund im Relegationsspiel 1986 gegen Fortuna Köln auswendig aufsagen: Eike Immel, Frank Pagelsdorf, Bernd Storck, ... Außerdem ist er Autor zahlreicher Fußballbücher, unter anderem über die Geschichte der Fußball-Bundesliga, und wurde 2010 als "Sportjournalist des Jahres" ausgezeichnet. Vor allem ist er Anhänger der ruhmreichen Arminia aus Bielefeld.

Und das betrifft nicht nur den Präsidenten, sondern den ganzen Apparat. Vizepräsident Rainer Koch ist in diesen Tagen einfach zu sehr damit beschäftigt, sich ins UEFA-Exekutivkomitee wählen zu lassen. Und das heitere Gerücht geht um, Generalsekretär Friedrich Curtius habe sich spontan frühpensionieren lassen, so ostentativ ist der Funktionär auf Tauchstation gegangen. Der DFB ist vollständig mit sich selbst beschäftigt und muss feststellen, dass sich der Wind schon bald dreht.

Die berechtigte Frage, warum die Schmähungen gegen Dietmar Hopp als singuläres Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt werden, während der Verband in der Vergangenheit bei Rassismus und Sexismus eher geringen Handlungsbedarf gesehen hat, bringen den DFB und die Klubs in arge Erklärungsnot. Dass es offenbar eine "Lex Hopp" gibt, wird offenkundig, als die Schmähungen gegen Bayer-Keeper Manuel Neuer im Pokalspiel auf Schalke achselzuckend hingenommen werden.

Flugs rüstet der DFB ab, ein Katalog mit beschwichtigenden Fragen und Antworten wird aufgesetzt. Die neue Linie wird allerdings nicht allen Würdenträgern kommuniziert. Bundestrainer Joachim Löw beispielsweise ist am Dienstagabend noch ganz Hardliner und fordert Schmähplakate "mit aller Gewalt" zu bekämpfen. Doch auch der erneute Versuch, endlich wieder in die Offensive zu kommen, scheitert kläglich. Der DFB erweckt nämlich penetrant den Eindruck, er selbst habe den Dialog mit den Fanorganisationen gesucht und fügt gönnerhaft hinzu, die Fankurven würden "auch ihren Beitrag" leisten wollen. Nach Protesten muss sich der DFB korrigieren, es waren nämlich die Fans, die auf  eine rasche Sondersitzung der AG Fankulturen gedrängt haben. 

Was am Ende bleibt, ist ein völlig verunsicherter DFB

Und es kommt noch schlimmer: Mitte der Woche zerlegen die Klubs der zweiten Bundesliga endgültig mit einem mitleidslosen Fragenkatalog das ganze Konstrukt der neuen, entschlossenen Linie gegen Schmähungen aller Art. Die beste unter vielen guten Fragen: "Wird der Drei-Stufen-Plan nur bei Inhalten gegen Dietmar Hopp eingesetzt oder ab sofort auch bei rassistischen, diskriminierenden, homophoben, sexistischen Äußerungen jeglicher Art, bei denen es bisher nicht zu Spielunterbrechungen kam?" Der DFB verzichtet auf eine öffentliche Antwort. Kein Wunder, dass Dirk Zingler, der Präsident von Union Berlin, konstatiert: "Der DFB hat in den vergangenen Jahren seine natürliche Autorität verloren". Was noch übrig ist, zertrümmert der DFB in den folgenden Tagen. Es kommt heraus, dass Fritz Keller sich offenbar doch in ein FIFA-Amt wählen lassen will, ins Council des Weltverbandes. Vor seiner Wahl hatte er das noch verneint, als Gegenentwurf zu Ämterhäufung seiner Vorgänger.

Was am Ende bleibt, ist ein völlig verunsicherter Verband, der weder von den Klubs noch von den Anhänger mehr ernst genommen wird. So orientierungslos  und panisch ist der DFB, dass er nicht mal mehr einen Vertreter ins ZDF-Sportstudio entsenden will, der am letzten Samstag dort mit einem Fanaktivisten diskutieren soll. Einen nach dem anderen fragte das ZDF an und bekam ausschließlich Absagen.

Aber wahrscheinlich hätte der DFB ohnehin nichts zu sagen gehabt. Wie es weitergeht, bestimmen längst andere. 

fs

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