José Mourinho ging in die Hocke, in Höhe Grasnarbe. Die letzten Minuten des Halbfinals von München liefen. Der Trainer von Real Madrid tobte vor der Auswechselbank, wie ein Maikäfer hüpfte er durch die Coaching-Zone, er schimpfte und schrie, wollte seine Spieler wachrütteln, warnen. Seine Vorahnung sollte ihn nicht täuschen. Mourinho wollte verhindern, was er schließlich nicht mehr verhindern konnte: den Siegtreffer des FC Bayern, das 2:1.
Wenig später schlug sie zu, die "Bestia Negra", die schwarze Bestie FC Bayern. Gefürchtet und gehasst in Spanien als unerbittliche Peinigerin der Königlichen. Diesmal erschien sie in Gestalt von Mario Gomez, einem Stürmer mit spanischen Wurzeln. Doppelt bitter für Real, dass der Torjäger seinen Treffer zum 2:1 in der 90. Minute auf Pass von Philipp Lahm mit der Geste eines Toreros beim Stierkampf feierte. Der Ibero-Schwabe hatte es immer wieder versucht, nie aufgegeben und schließlich seinen zwölften Treffer in dieser Europapokal-Saison erzielt. Real war erlegt, 2:1 – aber nur Teil eins des Halbfinal-Kampfes bewältigt.
In acht Versuchen hatte Real seit den 70er Jahren nicht in München gewonnen, lange Zeit jedoch sah es am Dienstagabend vor den 66.000 Zuschauern in der Allianz Arena nach dem zweiten Unentschieden aus. Es lief auf ein 1:1 hinaus, das die Hoffnungen der Bayern vor dem Rückspiel im Estadio Santiago Bernabeu am 25. April von Euphorie auf Zweckoptimismus herabgestuft hätte. DFB-Nationalspieler Mesut Özil war es, der in der 53. Minute auf Vorlage von Cristiano Ronaldo im einzig unbedarften wie unachtsamen Moment der Defensivabteilung der Bayern zum 1:1 abgestaubt hatte. Nur kein Gegentor war die Losung der Gastgeber für das Hinspiel gewesen, "mindestens 0:0" solle man spielen, hatte Lahm gefordert.
Madrid traf die Bayern wie einen Boxer
Nun schien alles zerstört, und zwar der Traum vom Finale am 19. Mai im eigenen Stadion, einem Spiel, das "ein Spieler wohl nur ein Mal im Leben erreichen kann", wie Trainer Jupp Heynckes betont hatte. Die Bayern waren durch den Ausgleich gezeichnet wie ein Boxer, der einen Niederschlag samt Veilchen verkraften musste. Sie standen jedoch wieder, rafften sich auf und rannten auf das Tor von Iker Casillas an, als wäre ein weiterer Treffer schon der Schüssel zum Endspiel. So zwingend und teilweise berauschend wie in der Anfangsphase agierten sie dabei jedoch nicht mehr.
Nach 17 Minuten hatte Franck Ribéry die Kugel nach einer Konfusion in der Real-Abwehr derart kraftvoll zum 1:0 ins Netz gehämmert, als würde die Geschwindigkeit des Schusses über die Finalteilnahme entscheiden. Auf der Vip-Tribüne sprang Präsident Uli Hoeneß fäusteballend umher, dass man Angst haben musste, er könne sich bei Jubeln verletzen. Am Ende war es ein Sieg des Willens, der Überzeugungskraft.
"Sehr verdient, sehr clever", nannte Heynckes das 2:1. Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge meinte: "Wir können stolz auf den Sieg heute sein. Wir fahren nicht chancenlos nach Madrid." So defensiv waren die Beteiligten nicht. Der Glaube an die eigene Stärke, stark beschädigt durch die zweite Meisterschaft von Borussia Dortmund in Folge nach der 0:1-Pleite vom vergangenen Mittwoch, ist wieder zurück. Auf den Tribünen hatte man Klatschpappen in Rot verteilt auf denen das Vereinsmotto "Mia san mia" gedruckt war. Nicht nur deshalb: eine bessere, intensivere Stimmung als am Dienstagabend hat die Arena im Münchner Norden in der gesamten Saison nicht erlebt.
"Ich bin sicher: Wir kommen weiter"
Die Schreie der Fans waren der Sauerstoff für die von schwindenden Kräften ob der zahlreichen Spiele geplagten Kicker. Ein Traum treibt die Bayern seit August 2011 an, als sie in der Qualifikation zur Gruppenphase erst den FC Zürich (2:0, 1:0) aus dem Weg räumen mussten: das Finale zu Hause, "dahoam" wie der Bayer sagt. Vor Real hatte man jedes Heimspiel in der Champions-League gewonnen: gegen Manchester City, SSC Neapel, FC Villarreal, FC Basel und Olympique Marseille. "2012 ist das Finale in München – und da müssen wir dabei sein", hatte Präsident Uli Hoeneß schon vor über einem Jahr gefordert.
Was einst Wunschtraum war, ist nun greifbar nahe. Ein Unentschieden reicht zum Einzug ins Finale. "Ich bin sicher: Wir kommen weiter", sagte Arjen Robben, der klar im Schatten seines Flügelpendants Franck Ribéry stand. Auch Mario Gomez meinte kühl: "2:1 ist zwar ein gefährliches Ergebnis. Aber mit unserer Stärke nach vorne sind wir auch auswärts immer für ein Tor gut." Das "Mia san mia" lebt. "Stärker als die Stier'" reimte man in den 80er Jahren unter den Bayern-Fans und meinte die Königlichen aus der Hauptstadt. Man wurde zum Angstgegner, das 2:1 in letzter Minute von Gomez fügte der Legendenbildung ein weiteres Kapitel hinzu. Für die einen Alptraum, für die anderen ein Traum.
Er lebt – dank Gomez, dem Bayern-Bomber der Neuzeit. "Diesmal habe ich Mario endlich mal gefunden, seit langer Zeit mal wieder", sagte Lahm nach seiner Vorlage zum 2:1, "jetzt muss in Madrid der Gegner ein bisschen kommen, das spielt uns natürlich in die Karten." So sah es auch Bayerns Ehrenpräsident Franz Beckenbauer: "Im Rückspiel wird es Räume zum Kontern geben, die Chancen stehen nun 60:40."
Auf nach München – so wird das Motto der Bayern für Teil zwei des Gigantenduells am kommenden Mittwoch lauten. Denn bei der Reise quer durch Europa ist der Ausgangspunkt das Ziel. Letzter Halt München, Endstation Heimat. Wer oder was, sagen sich die Bayern, ist da schon Dortmund?