Irgendetwas ist bei den Siegerehrungen in London anders. Es gibt drei Sieger, Blumen, Medaillen, Hymne - alle wichtigen Utensilien vorhanden. Und doch - irgendetwas passt nicht ins Bild. Es sind die drei jungen Herren, die sich zumeist rechts vom Siegerpodest aufhalten. Erstmals tragen Männer Edelmetall und Blumensträuße auf Silbertabletts heran. Die XXX. Olympischen Spiele mausern sich zu den Spielen der Gleichberechtigung.
Erstmals muss jede Teilnehmernation mindestens eine Frau nominieren. Erstmals treten Frauen in allen Sportarten an. Und nun der Geschlechtertausch bei der Siegerehrung. Ob Sommer- und Winterspiele, ob Tour de France oder Weltmeisterschaft. Die Athletinnen und Athleten werden stets von langbeinigen, grazilen, gut frisierten Damen in die Arena eskortiert. Und auch das Tragen der Tabletts war bislang der weiblichen Spezies vorbehalten.
Britische Bubis in Purpur
In London sind es stets drei junge Herren. Die schwarzen Schuhe auf Hochglanz poliert. Die Stoffhose faltenfrei. Das Jäckchen purpurfarben, darunter blitzt ein blütenweißes Hemd, am Ärmel die olympischen Ringe in Gold. Die Haare - gelegentlich mit einem roten Schimmer - adrett gegelt. Die Gesichtsfarbe ein wenig blässlich. Der Ausdruck ein wenig schüchtern, aber hier und da blitzt auch ein verschmitztes Lächeln auf. Britische Bubis eben.
Männer schlüpfen in die wichtigste Dienerrolle der Spiele. 200 Jungs sind es an der Zahl. Aber als Statement für die Gleichberechtigung wollen die Olympia-Organisatoren das nicht verstanden wissen. "Wir haben es nicht darauf angelegt, die Dinge zu verändern. Aber wir dachten, es passt zu London", sagte Bill Morris, der für die Siegerehrungen bei den Olympischen Spielen zuständig ist, der "Sunday Times". Wenn das Pierre de Coubertin, Gründervater der neuzeitlichen Spiele, wüsste! Er hatte bildschöne Frauen vorgesehen, die gewandet wie antike Griechinnen, den Siegern einen Olivenzweig überreichten, einen Kranz aus Palmenwedeln aufs Haupt setzen und ein rotes Band um die Hand knüpften.
Von der Antike zum Punk
Aber ganz ohne weibliche Begleitung geht es nicht. Die Sportler werden von einer Hostess zum Podest geführt. Auch den Abschluss der kleinen Prozession aus Athleten, Medaillenträgern und Gratulanten bildet eine Frau. So stolzieren sie in mehr als 30 Sportarten zu 302 Siegerehrungen. Die Kostüme der Damen sollen laut Designerin Trine Hav Christensen, im Übrigen keine Stardesignerin, sondern noch Studentin, sowohl an die alten Griechen als auch an die Punk-Ära der Briten erinnern. Die Anzüge der Medaillenträger entwarf ebenfalls ein Designstudent. Thomas Crisp sieht in ihnen eine Referenz auf die Kluft der Ruderer.
Während die Medaillenträgerinnen in Peking noch handverlesen waren und das klassische, chinesische Ideal verkörpern sollten, begnügten sich die Organisatoren von London mit einem Casting unter den 80.000 freiwilligen Helfern, die sich für die Spiele bewarben. "Sie sollen nicht wie Models auf dem Laufsteg wirken", so Morris. Aber gut aussehen sollen sie trotzdem. Vor den Spielen erhielten alle Medaillenträger einen Make-up-Crash-Kurs von einem Stylisten einer großen Kosmetikmarke. Die jungen Herren tragen daher über eine Feuchtigkeitscreme mit Lichtschutzfaktor einen hellen Puder auf. Die Damen krönen ihr zurückhaltendes Make-up mit purpurnem Eyeliner und goldenem Nagellack. Und wer zu Hause vor dem Spiegel wieder vergessen hat, was er mit den Cremchen, Tuben und Tiegeln anstellen soll, kann auf ein Video zurückgreifen.
Und auch wenn die Briten vorgeben, sie seien komplett entspannt, weil sie die Kleider und Siegerpodeste von Studenten entwerfen ließen, dem Zufall wird nichts überlassen. Die 4400 Blumensträuße wurden von einer international bekannten Floristin kreiert. Neben der typisch britischen Rose hat sie Minze, Rosmarin, Lavendel und Weizen für die Sträuße vorgesehen.