Die internationale Skisprung-Szene sorgt sich nach dem denkwürdigen Olympia-Mixed von Zhangjiakou mit fünf Disqualifikationen um ihre Außenwirkung. Die bestrafte Katharina Althaus warf dem Weltverband Fis vor, das Damen-Skispringen "zerstört" zu haben, andere Verantwortliche oder Ex-Funktionäre sprachen unisono von einem "Desaster" – und das alles auf der größtmöglichen Bühne. In den Fokus der Kritik geriet vor allem der finnische Materialkontrolleur Mika Jukkara, der den Job im vergangenen Frühjahr von Joseph Gratzer übernommen hatte.
Der Österreicher attackierte seinen Nachfolger nach der bemerkenswerten Serie an Disqualifikationen frontal. "Ich habe den Eindruck, dass er von heute auf morgen alles verändern und die Kontrolltätigkeit anders anlegen will. Für mich ist er momentan nicht der richtige Mann auf dem Platz, da hat man sich wohl geirrt", sagte Gratzer der "Tiroler Tageszeitung".
Laut Fis-Reglement wird vor der Saison jede Athletin und jeder Athlet komplett vermessen. Dabei werden unter anderem Daten wie Körpergröße, Armlänge, Beinlänge, Schrittlänge oder Gewicht erhoben. Auf Grundlage der erfassten Zahlen muss bei den Springen das passende Material wie Skier und eben der Anzug verwendet werden. In den Fällen in Zhangjiakou ging es bei den Anzügen der fünf disqualifizierten Springerinnen um die Schrittlänge. Dem Regelwerk zufolge darf der Anzug im Schritt maximal drei Zentimeter Abstand vom Körper haben.
Von den Ausschlüssen wegen der angeblich nicht korrekten Anzüge waren neben der Deutschen Althaus auch jeweils eine Springerin Japans und Österreichs und zwei Norwegerinnen betroffen. Die Medaillen in dem sportlich entwerteten Wettkampf gingen hinter Olympiasieger Slowenien an das Team des Russischen Olympischen Komitees und Kanada – zwei absolute Außenseiter.
Althaus: "Wir haben die Arschkarte gezogen. Damit macht man Nationen kaputt"
Althaus und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter waren schwer verärgert, dass das ersehnte Mixed-Debüt bei den Winterspielen in so grobem Maße schief ging. "Unsere Namen stehen jetzt alle da und wir haben die Arschkarte gezogen. Damit macht man Nationen kaputt, Förderungen und den ganzen Sport unfair", sagte die 25 Jahre alte Althaus. Im Auslauf der Schanze von Zhangjiakou hatte sie geweint. Deutschlands Weltcup-Gesamtführender Karl Geiger sprach von "einer bodenlosen Frechheit".
Die anderen Helden – Athleten, die den olympischen Traum lebten

Doch was muss sich jetzt tun? Der langjährige Amtsinhaber Gratzer plädiert dafür, einen nachsichtigeren Kurs einzuschlagen. "Unsere Prämisse war immer: Die Materialkontrolle darf in einem Wettkampf nie ganz im Vordergrund stehen. Sie ist eine Randerscheinung, die Fairness und Chancengleichheit garantiert. Das ist offensichtlich in diesem Fall nicht gelungen", sagte der 66-Jährige. Ex-Bundestrainer Werner Schuster hofft, dass das verkorkste Olympia-Springen zum Anlass wird, um in dem komplexen Sport über mehr Transparenz zu sprechen.
Auch Andreas Bauer, immerhin Mitglied der Materialkommission und des Sprungkomitees der Fis, attackierte den Weltverband. Es seien mehrere Weltklasse-Athletinnen vor einem Millionenpublikum regelrecht vorgeführt worden. "So darf sich eine Sportart auf der weltgrößten Bühne des Sports nicht präsentieren. Das war ein Skandal", sagte der frühere Frauen-Bundestrainer Bauer in einem Interview der "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" (Dienstag).
Verbotene Tricks? "Wir sind doch nicht bescheuert!"
Dass es womöglich tatsächlich getrickst worden ist, wies Teammanager Horst Hüttel entschieden zurück. "In keinster Weise, wir sind ja nicht bescheuert", sagte der 53-Jährige in der ARD und führte aus: "Das ist das größte Schaufenster, was die Mädchen überhaupt haben. Das Risiko geht keine ein, da lege ich die Hand dafür ins Feuer." Zumal Althaus im Einzelwettbewerb, bei dem sie am Samstag die Silbermedaille gewonnen hatte, exakt den gleichen Anzug getragen habe, der dort nicht beanstandet worden war.
Althaus ging es auch am Tag nach der Disqualifikation nicht gut. "Mein Herz ist gebrochen", schrieb sie auf Instagram. Althaus habe versucht, sich abzulenken, sagte Teammanager Hüttel. "Sie waren gerade im olympischen Dorf, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber sie ist natürlich noch frustriert, und da kann man nicht erwarten, dass das in einem Tag abgeschüttelt wird, dafür saß der Schmerz zu tief."