Normalerweise geht es im Golfsport recht gesittet zu. Spielpartner geben sich am Abschlag die "Ehre", es wird darauf geachtet, dem anderen nicht in den Schwung reinzuhusten. Und bis vor Kurzen galten vielerorts noch restriktive Kleiderordnungen auf den meist sorgsam gestutzten Golfplätzen (Keine Shorts. Keine Shirts!).
Doch im Profibereich, man kann es nicht anders sagen, tobt derzeit eine regelrechte Schlammschlacht. Worte wie "motherfucker" machen die Runde. Es geht ein Riss durch die Szene. Auf der einen Seite Profis wie Tiger Woods und Rory McIllroy, die man als Vertreter der reinen Lehre zusammenfassen kann. Ihnen gegenüber stehen Renegaten wie die ehemalige Nummer Eins der Welt, Dustin Johnson, und Publikumsliebling Phil Mickelson.
Der Gegenstand, der die über Jahrzehnte klar gegliederte Golf-Welt ins Wanken geraten lässt, trägt den Namen LIV-Tour. Dabei handelt es sich um eine neu ins Leben gerufene Turnierserie, die den etablierten Profitouren in Nordamerika (PGA-Tour) und Europa (DP-Tour, ehemals: European-Tour) Konkurrenz machen will. Das erste Event der neuen, über vorerst acht Stationen auf der ganzen Welt führenden Reihe startet an diesem Donnerstag in London.
Namhafte Golfprofis lassen sich von Antrittsgeldern ködern
Was das neue Turnierformat so heikel macht: Es werden astronomisch hohe Antritts- und Preisgelder ausgeschüttet, die finanziert werden aus dem 800-Milliarden Dollar schweren Staatsfonds von Saudi-Arabien. Der Vorwurf, der im Raum steht und mit dem sich die Teilnehmer (neben Johnson und Mickelson haben unter anderem namhafte Profis wie Sergio Garcia, Lee Westwood und auch der Deutsche Martin Kaymer ihren Start angekündigt) auseinandersetzen müssen: Für den Golfstaat ist die Gründung der neuen Tour-Serie vor allem eine PR-Aktion. "Sportswashing" in Reinkultur, mit dem die Herrscher am Golf von Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land ablenken wollen, von der Unterdrückung von Frauen, der Verfolgung Homosexueller. Dem saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman wird zudem vorgeworfen, den Mord an Regimekritiker Jamal Kashoggi in Auftrag gegeben zu haben.
Nicht jeder der teilnehmenden Profis ist dabei so ehrlich wie der Deutsche Martin Kaymer. "Geld ist für jeden Menschen ein Motivator. Dass das Finanzielle auch bei LIV Golf eine Rolle spielt, das muss man nicht leugnen", sagte der ehemalige Weltranglistenerste in einem Interview mit der FAZ.
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Bei anderen fielen die Rechtfertigungen weitaus verschwurbelter aus. Der Nordire Graeme McDowell verniedlichte die Lage in Saudi-Arabien als "polarisierend". Und ergänzte: "Letztlich sind wir nur Golfer. Und Golf kann viel Gutes in der Welt bewegen." Der zweimalige Major-Sieger Johnson sagte nur lapidar: "Ich muss das Beste für meine Familie tun."
Dennoch: Alle, die heute zum Start des ersten LIV Golf Turniers in London abschlagen, setzen sich dem Verdacht aus, dass man ihnen mit obszön hohen Antritts- und Preisgeldern ihre Moral abgekauft hat. Presseberichten zufolge soll Mickelson für die Teilnahme an der neuen Serie 200 Millionen Dollar kassieren. Das Turnier in London ist mit 20 Millionen Dollar dotiert, allein der Sieger bekommt vier Millionen Dollar (zum Vergleich: Scottie Scheffler erhielt für seinen Triumph beim Masters im April ein Preisgeld von 2,7 Millionen US-Dollar).
Was die Serie für die Masse der Pros zudem interessant macht: Es gibt bei der dreitägigen Veranstaltung keinen Cut, selbst der Letzte erhält noch einen Scheck über 120.000 Dollar. Zugleich wird eine neuartige Teamwertung ins Leben gerufen, über die ebenfalls nochmals Millionen ausgeschüttet werden, die dann unter den Mitgliedern der siegreichen Teams geteilt werden.
Golf-Superstar Tiger Woods sagt Teilnahme ab
Doch nicht alle Profis lassen sich von den Saudi-Summen verführen. So hat Superstar Tiger Woods seine Teilnahme abgelehnt. Und das, obschon ihm eine Offerte im "hohen, neunstelligen Bereich" vorlag, wie Greg Norman, Vorstand der neuen LIV-Serie, in der "Washington Post" ausplauderte. Doch Woods ließ bereits im Vorfeld durchblicken, dass Tradition und Historie ein "Vermächtnis" seien. Eines, das ihm offenbar wichtiger ist als die Summen, mit denen die Machthaber in Saudi-Arabien um sich werfen.
Deutlicher positioniert sich der Nordire Rory McIllroy. "Es ist offensichtlich, dass Geld in einer Menge an Dingen ein entscheidender Faktor ist. Aber nicht jede im Leben auf Geld basierende Entscheidung geht in die richtige Richtung", sagte McIlroy, der statt in London anzutreten, in Toronto bei den Canadian Open seinen Titel verteidigen will.
Noch ist unklar, wie der Konflikt weitergeht. Die PGA und auch die DP World Tour hatten bereits im Vorfeld angedroht, Teilnehmer der LIV-Serie zu sanktionieren. Und zumindest die PGA-Tour setzte ihr Vorhaben heute in die Tat um und sperrte die Spieler, die an Events der LIV Tour teilnehmen, für PGA-Turniere. Außerdem würden die Spieler u.a. von der FedEx-Cup-Punkteliste gestrichen, heißt es in einem zweiseitigen Schreiben des Commissioners der PGA-Tour, Jay Monahan.
Kann die PGA die Sperren wirklich aufrecht erhalten?
Fraglich ist allerdings, ob die Sperren tatsächlich ihr abschreckendes Potenzial entfalten werden. Womöglich fehlt es dem PGA-Bann an Durchsetzungskraft, weil viele Turnierveranstalter ihre eigene Einladungspolitik verfolgen. So haben die Ausrichter der in der kommenden Woche stattfindenden US Open bereits mitgeteilt, dass die Teilnehmer der LIV-Tour auch beim Turnier in Brookline/US-Bundesstaat Massachusetts abschlagen dürfen.
Viele Profis dürften derzeit noch unentschlossen sein und schauen sich vermutlich erst einmal an, wie die ersten LIV-Turniere aufgenommen werden und was mit den Renegaten nun tatsächlich geschieht. Gut möglich, dass manche von ihnen später doch noch dem obszönen Charme der Saudi-Millionen erliegen, wenn sie sehen, dass sich die PGA-Suspendierung als stumpfes Schwert erweist. Allen moralischen Bedenken zum Trotz.