Timo Boll hat mit einem Glanzauftritt bei der EM in Danzig seine Regentschaft verlängert und bleibt auf dem eigenen Kontinent unerreichbar. Das 4:1 im Finale gegen seinen Clubkollegen Patrick Baum brachte dem Ausnahmespieler von Borussia Düsseldorf das fünfte Einzel-Gold, den 15. EM-Titel und die 20. Medaille insgesamt.
Im Sog der beiden Team-Europameister Boll und Baum, die bereits vor einem Jahr das EM-Finale in Ostrau bestritten hatten, trumpfte auch Irene Ivancan mit Silber im Damen-Einzel groß auf. Erst die gebürtige Chinesin Li Jiao (Niederlande), Nummer 15 in der Welt, bremste die Berliner Defensivstrategin mit 4:3-Sätzen ín einem Klasse-Finale.
Baum nicht ganz zufrieden
Top-Star Boll fiel die von vielen Fans als normal eingestufte Titelverteidigung nicht leicht. Im Endspiel bot Baum starke Gegenwehr. "Das war mein härtestes Match. Im zweiten Satz hat Patti auf einem starken Niveau gespielt, das konnte er zum Glück nicht durchhalten. Ich musste schon einige Super-Bälle treffen", sagte der WM-Dritte. "Ich bin stolz auf Platz zwei, wollte Timo aber noch mehr unter Druck setzen", meinte der zweimalige EM-Zweite Baum.
Der 30-jährige Boll spielte das Turnier ohne spezielle Vorbereitung quasi aus dem Stand, profitierte aber von seinem außergewöhnlichen Können, seiner Routine und der großen Willensstärke. "Wenn der Gegner nicht locker lässt, lasse ich auch nicht locker. Ich habe mich von Tag zu Tag gesteigert, am Anfang war ich ein Häufchen Elend am Tisch. Es ist immer ein schönes Gefühl, wenn es gereicht hat", analysierte Boll.
"Das ist eine andere Welt", urteilte der unterlegene Halbfinalist Bojan Tokic (Slowenien) über Bolls Spielniveau. Nach dem Turnierende ging die Terminhatz für den alten und neuen Europameister gleich weiter. Am Montag startet in Berlin bereits die Promotion-Tour für sein Buch "Timo Boll: Mein China".
Boll ohne Niederlage
Der Linkshänder trat sehr locker auf, verlor kein Match und hatte noch Zeit für eine Autogrammstunde am vorletzten EM-Tag. "Timo war sehr dominant. Er orientiert sich an den Chinesen und deren Schlagstärke", sagte Bundestrainer Jörg Roßkopf.
"Ein Timo Boll fährt nicht zur EM, um zu verlieren», erklärte DTTB-Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig. Zweimal Gold und zweimal Silber in sechs Wettbewerben waren 160 Tage vor der Team-WM 2012 in Dortmund und 284 Tage vor dem Olympia-Turnier in London eine gute, aber keine optimale Bilanz.
"Wir haben einige Chancen liegen gelassen, mussten aber bei der Vorbereitung Kompromisse schließen. Wir werden die 160 Tage nutzen. Außerdem sind wir nicht die einzigen, die in Europa spielen können", sagte Schimmelpfennig.
Damen mit dürftiger Bilanz
Die Team-Europameister Dimitrij Ovtcharov (Orenburg) und Bastian Steger (Saarbrücken) ärgerten sich über das Aus im Viertelfinale. Sie waren an Position drei und vier gesetzt. "Das ist extrem bitter", sagte Ovtcharov nach dem 3:4 gegen Bojan Tokic (Slowenien). Zwei Kantenbälle und ein Fehlaufschlag - "Mein einziger im ganzen Turnier" - warfen ihn zurück. "Nächstes Jahr probiere ich es erneut", sagte der Weltranglisten-13.
Die DTTB-Damen nutzten unterdessen nur eine von fünf Medaillenchancen. Dabei feierte die 28 Jahre alte Ivancan mit dem Attribut "erfrischend anders" sechs Jahre nach einem Mini-Auftritt bei der EM 2005 ein tolles Comeback. "Ich spiele ein modernes Abwehrsystem", urteilte Ivancan über ihre attraktive Spielweise mit dem mächtigen Vorhand-Topspin. Neben ihr deutete die nationale Meisterin Zhenqi Barthel (Bingen) ihr gewachsenes Potenzial an.
"Unsere Strukturen bei den Damen greifen", lobte DTTB-Vizepräsidentin Heike Ahlert. Tadel gab es nur für die Organisatoren der Europäischen Tischtennis-Union. "Das war nicht in Ordnung. Wir wollen aber nicht nur mosern, sondern es besser machen", sagte DTTB-Chef Thomas Weikert mit Blick auf die WM in Dortmund.