Das Reich des Nils Glagau liegt an der A3 zwischen Köln und Düsseldorf, nur wenige Kilometer nördlich des berühmten Bayer-Kreuzes. Im Schatten des Weltkonzerns aus Leverkusen, im beschaulichen Langenfeld, baut Glagau an seinem eigenen kleinen Pillenimperium. Von hier aus aus werden die blauen Orthomol-Packungen LKW-weise ins ganze Land gefahren. Denn die Tabletten, Kapseln und Pülverchen gibt es in fast jeder deutschen Apotheke zu kaufen.
Dabei handelt es sich bei den Orthomol-Produkten gar nicht um Medikamente, sondern um Vitaminpillen und andere rezeptfreie Nahrungsergänzungsmittel. Die aber sind erstaunlich beliebt. Im vergangenen Jahr setzte Orthomol erstmals mehr als 100 Millionen Euro um. Das Geschäft mit der Gesundheit brummt.
Die Bekanntheit der Marke dürfte sich in den kommenden Wochen noch einmal steigern. Denn Orthomol-Chef Glagau ist in der aktuellen Staffel der TV-Show "Die Höhle der Löwen" als neuer Löwe zu sehen. Neben Investoren-Größen wie Carsten Maschmeyer oder Frank Thelen begutachtet er dort die Gründer und steckt bei Gefallen sechsstellige Beträge in die jungen Start-ups.

Für Glagau ist die Teilnahme an der Sendung ein großer Schritt, "weil ich auch Respekt habe, was sich privat für mich verändern wird, wenn ich aus dem Fernsehen bekannt bin", wie der Orthomol-Chef im stern-Interview bekennt. Denn bislang flog der Familienunternehmer trotz der beachtlichen Verbreitung seiner Produkte eher unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit.
Orthomol-Chef Glagau: Faible für Archäologie
Dabei ist Glagau selbst ein interessanter Typ. Besucher empfängt der 43-Jährige gerne in der "Pyramide", einem im im wahrsten Sinne des Wortes schrägen Besprechungsraum in seiner Langenfelder Konzernzentrale. Ein kurzer enger Gang mündet in einen Raum mit quadratischer Grundfläche und nach oben spitz zulaufenden, pyramidenartigen Wänden. Fenster gibt es keine, immerhin auf Fackeln als Beleuchtungsmittel hat man verzichtet, stattdessen erhellen künstliche Oberlichter den Raum.
Das Pyramidenzimmer ist eine Reminiszenz an die Vergangenheit des Unternehmers. Glagau ist studierter Ethnologe, mit besonderem Faible für Archäologie. Während des Studiums in Bonn nahm er an Ausgrabungen in Mittelamerika und Feldforschung in Nepal teil. Vor allem die Kultur der Maya hatte es ihm angetan, weshalb er Mexiko auf ausgedehnten Reisen erkundete. Aber auch in einem tibetischen Kloster lebte er eine Zeitlang. "Dass ich mal Investor in einer Gründershow sein würde, war jedenfalls nicht abzusehen", sagt Glagau.

Während der Ethnologe Glagau noch die Weltgeschichte erkundete, hatte Vater Kristian Glagau bereits 1991 die Firma Orthomol gegründet. Der Name steht für orthomolekulare Medizin, eine alternativmedizinische Methode, die den Nutzen hochdosierter Mikronährstoffe propagiert, um Krankheiten zu behandeln oder ihnen zumindest vorzubeugen. Sohn Nils schnupperte zwar immer wieder mal ins Unternehmen, widmete sich dann aber lieber der Ethnologie und eröffnete anschließend ein mexikanisches Restaurant in Bonn.
Der Einstieg ins Unternehmen erfolgte ungeplant. Als Vater Kristian 2009 unerwartet an einer Lungenembolie starb, übernahm Nils die Firma – und war mit 33 Jahren plötzlich Chef von 400 Angestellten. "Das war ein Sprung ins kalte Wasser", sagt Glagau. Die familiäre Atmosphäre unter den langjährigen Mitarbeitern habe es ihm aber leichter gemacht, das Vermächtnis des Vaters erfolgreich fortzuführen.

Familiäre Atmosphäre
Glagau beschreibt sich selbst als "Alpha-Tier", seinen Führungsstil aber als kooperativ und anti-autoritär. Und in der Tat: Wenn man mit ihm durch die Fertigungsanlagen und Lagerhallen der Firma geht, hat er für jeden Mitarbeiter ein kumpeliges Wort übrig. Duzen und Geduztwerden ist für ihn sowieso selbstverständlich. Die Arbeiter ihrerseits scheuen sich nicht, Glagau die Meinung ins Gesicht zu zu sagen, wenn es irgendwo hakt. Eine Kollegin an der Verpackungsmaschine greift sich den vorbeilaufenden Chef, um ihrem Ärger über ein neues Packungsmaterial Luft zu machen. Produziert viel zu viel Ausschuss, ist doch wirklich Mist. Glagau verspricht, sich darum zu kümmern.
Obwohl Glagau junior die Firma jetzt schon zehn Jahre leitet, sind viele Mitarbeiter schon länger hier als er. Sogar die allererste Angestellte von Vater Kristian ist noch an Bord. Turfanda Erinmez ist zwar mittlerweile 67 Jahre alt, weigert sich aber standhaft, ihren Platz im Maschinenraum zu räumen und in Rente zu gehen. "Das hier ist meine Familie", sagt das Urgestein. Die selbstgemachten Frikadellen und Hähnchenkeulen, mit denen sie ab und an ihre Kollegen zum Mittagessen beglückt, sind legendär. Insgesamt sind rund 70 Prozent der Belegschaft weiblich.

Orthomol verteilt sich in Langenfeld auf sechs Gebäude an drei Standorten. Neben der Verwaltung gibt es Hallen voll Maschinen und Fließbändern sowie Lagerflächen. Ein weiteres Lager befindet sich bereits im Bau. Produziert werden die Tabletten, Kapseln und Granulate von Zulieferern aus Süddeutschland. In Langenfeld werden sie portioniert und in der richtigen Kombination verpackt. Anschließend wandern sie ins Lager und von dort in die Lkw, die sie zu Apotheken im In- und Ausland bringen.
Vorher muss die Ware aber noch eine Abteilung durchlaufen, auf die man bei Orthomol besonderen Wert legt: die Qualitätskontrolle. Das Labor steht unter dem Kommando von Apotheker und Diplom-Chemiker Ralf-Siegbert Hauck, ein weißbekittelter Doktor wie aus dem Bilderbuch. Von Glagau senior einst mit den Worten "Machen Sie mal Qualität" angeheuert, hat Hauck über die Jahre das Arsenal an technischen Apparaten stetig erweitert - vom 3D-Mikroskop bis zum Infrarot-Spektrometer. Haucks Team prüft, ob die angelieferten Tabletten auch tatsächlich die versprochenen Mikronährstoffe enthalten, ob Beschaffenheit und Optik den Standards entsprechen und die Haltbarkeit gewährleistet ist.
Der Bestseller ist Orthomol immun, eine Kombination aus Vitaminen, Spurenelementen und sekundären Pflanzenstoffen, die Erkältungen vorbeugen soll. Verkauft werden aber auch Mikronährstoffe fürs Herz, die Gelenke, oder die Knochen, für schwächelnde Augen und die Fertilität des Mannes. Darüberhinaus gibt es spezielle Produkte für Schwangere, Sportler oder Veganer. Für nahezu jede Zielgruppe hat Orthomol ein Mittelchen im Sortiment.

Nutzen der Orthomol-Produkte umstritten
Wie sinnvoll die Nahrungsergänzungspillen mit den Apothekenpreisen sind, ist allerdings höchst umstritten. Schulmediziner verweisen darauf, dass es keine Belege gibt, dass die orthomolekulare Medizin überhaupt wirkt. Von Rechts wegen darf Orthomol auch nicht behaupten, dass die Produkte gegen Krankheit helfen oder verhindern, dass man krank wird. Stattdessen stehen auf den blauen Packungen Formulierungen wie "wichtige Mikronährstoffe für die normale Herzfunktion" oder "zum Diätmanagement bei nutritiv bedingten Immundefiziten".
Kritiker halten manche der Vitaminpillen sogar für schädlich. Vergangenes Jahr warnte die Verbraucherzentrale Hamburg vor verschiedenen Kinderprodukten, darunter auch zweien von Orthomol. "Die Produkte sind meist zu hoch dosiert, was negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann", schrieben die Verbraucherschützer unter Verweis auf vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) empfohlene Höchstmengen. Die Orthomol-Produkte enthielten laut der Untersuchung zu viel Zink beziehungsweise Vitamin A+E, Kupfer und Mangan.
Den Herrn der Nahrungsergänzungspillen ficht das nicht an. "Ich kenne keine Studie, die besagt, dass Vitamine irgendjemandem Schaden zugefügt haben", sagt Nils Glagau. Stattdessen verweist er auf "zigtausend Studien", auch eigene, die "überzeugende Ergebnisse" geliefert hätten.

Glagau selbst schwört selbstverständlich auf seine eigenen Produkte, die er regelmäßig nimmt. Seine Zwillingstöchter, gerade am Übergang von Kindergarten zur Schule, brächten schließlich so einige Krankheiten mit nach Hause, da wolle er vorbeugen. Glagau legt Wert auf körperliche Fitness, spielt hobbymäßig so ziemlich alles, bei dem ein Ball im Spiel ist – von Tennis über Basketball bis Volleyball.
Auch Profi-Sportler hat Glagau als Zielgruppe im Blick. In der Saison 2017/2018 prangte Orthomol sogar als Trikotsponsor auf der Brust der Fußballer von Fortuna Düsseldorf. Dass die Fortunen am Ende der Spielzeit in die Bundesliga aufstiegen, weil sie wegen der zur Verfügung gestellten Orthomol-Produkte weniger krank wurden, würde Glagau zwar nicht behaupten. Aber er kokettiert zumindest damit.
In seiner neuen Rolle als Investor in der "Höhle der Löwen" schielt Glagau vor allem auf Start-ups aus den Bereichen Ernährungsmedizin, Food, Bewegung und Sport. "Das sind Themen, wo wir gute Netzwerke haben." Für den Fall, dass ihm das mit der Fernsehberühmtheit doch zu viel wird, er nicht mehr in Ruhe zum Shopping oder zu Konzerten gehen kann, hat er auch schon einen Plan B in der Tasche: "Wenn ich merke, das passt alles nicht, ziehe ich die Reißleine und bin raus und ein paar Monate später wieder in Vergessenheit geraten."