Der Job-Gipfel vom März hat zumindest zu einem Ergebnis geführt: Nach dem Treffen der SPD mit der CDU/CSU-Spitze im Kanzleramt war eine Arbeitsgruppe zum Dienstleistungsmissbrauch durch Arbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa eingerichtet worden. Nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz müssen ausländische Baufirmen deutsche Tarifverträge einhalten, wenn sie Mitarbeiter nach Deutschland entsenden.
Und nach den Regierungsparteien ist nun auch die Union bereit, zum Schutz deutscher Firmen vor ausländischer Billig-Konkurrenz vorhandene Schutzregeln auszubauen. CDU-Generalsekretär Volker Kauder sagte am Montag im ZDF, eine Ausdehnung des so genannten Entsendegesetzes auf bestimmte, von Lohndumping betroffene Branchen sei mit seiner Partei möglich. Er wandte sich allerdings klar "gegen einen allgemeinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn".
Stichwort Entsendegesetz
Das Entsendegesetz wurde 1996 zum Schutz der deutschen Bauwirtschaft und ihrer Arbeitnehmer gegen die Billiglohnkonkurrenz aus dem Ausland verabschiedet und 1999 modifiziert. Nach diesem Gesetz gilt auf deutschen Baustellen der Mindesttarif auch für die von ausländischen Firmen entsandten Arbeitnehmer. Als unterstes Lohnniveau gilt der Satz der untersten Lohngruppe der jeweiligen Lohntarifverträge. Außerdem haben die Arbeiter Anspruch auf Urlaubsgeld. Alle Arbeitgeber mit Sitz im Ausland sind verpflichtet, sich vor Aufnahme der Bautätigkeit beim zuständigen Landesarbeitsamt anzumelden. Die Kontrolle liegt bei den Arbeits- und Zollämtern. Bei Verstößen gegen das Gesetz drohen Geldbußen und der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen. Außer auf dem Bau gilt das Gesetz auch im Maler-, Lackierer- und Dachdeckerhandwerk, im Abbruch- und Abwrackgewerbe sowie in der Seeschifffahrt.
Das Bundeskabinett will sich am Mittwoch mit Maßnahmen gegen illegale Beschäftigung befassen. Eine Ausweitung des in der Bauwirtschaft geltenden Entsendegesetzes soll aber noch nicht beschlossen werden. "Das wird noch nicht am Mittwoch zu entscheiden sein, das ist ziemlich kompliziert", sagte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) in der ARD. Die Regierung prüfe aber, "ob wir die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen ausweiten über den Baubereich hinaus. Das kann sinnvoll sein, um dort eine einigermaßen vernünftige Einkommensstruktur sicher zu stellen".
Clement sagte, die striktere Anwendung bestehender Gesetze sei "das Kernstück" im Kampf gegen Lohndumping. "Wir haben einen Missbrauch von Dienstleistungsfreiheit in Europa, und diesen Missbrauch müssen wir zurückdrängen." Nach dem "Job-Gipfel" vom 17. März war eine Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des Dienstleistungsmissbrauchs durch Arbeitnehmer aus Mittel- und Osteuropa eingerichtet worden.
Grüne voll auf SPD-Linie
Die Grünen unterstützen die Absicht ihres Koalitionspartners SPD, zum Schutz deutscher Firmen vor ausländischer Billig-Konkurrenz die vorhandenen Schutzregeln auszubauen. "Die Ausweitung des Entsendegesetzes auf andere Branchen wäre ein geeigneter Weg, um gegen Lohndumping vorzugehen", sagte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen, Thea Dückert, der "Berliner Zeitung". Die Maßnahmen sollten rasch auf den Weg gebracht werden. "Wir müssen jetzt schnell handeln."
Am Wochenende hatte sich ein Kompromiss bei der Festlegung von Mindestlöhnen abgezeichnet. Politiker von SPD und Union sprachen sich dafür aus, das in der Bauwirtschaft geltende Entsendegesetz auf andere Branchen auszuweiten. Damit bliebe die Festlegung der untersten Lohngrenze den Tarifparteien und nicht dem Gesetzgeber überlassen.
"Populistische Beruhigungspille"
Gegen die Ausweitung des Entsendegesetztes und die Einführung von tariflichen Mindestlöhnen ist der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK): "Regierung und Opposition begeben sich mit der Mindestlohndebatte in eine gefährliche Sackgasse. Wer neue Mindestlöhne über das Entsendegesetz einführt, schafft eine populistische Beruhigungspille, die letztlich den verunsicherten Arbeitnehmern nur schadet", sagte DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun der "Welt".
Auch der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Ronald Pofalla hat die Bundesregierung aufgefordert, im Kampf gegen Lohndumping zunächst die bestehenden Gesetze konsequent anzuwenden. Erst wenn alle vorhandenen Mittel zum Kampf gegen den Missbrauch der EU-Dienstleistungsfreiheit durch ausländische Arbeitnehmer ausgeschöpft seien, könne man über eine Ausweitung der in der Bauwirtschaft geltenden Entsenderichtlinie nachdenken, sagte Pofalla am Montag im SWR. Einen gesetzlichen Mindestlohn werde es mit der Union in Deutschland nicht geben.
Ebenfalls gegen die Pläne von Regierung und Union spricht sich das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW/Köln). Die bisherigen Erfahrungen mit dem Entsendegesetz seien negativ, sagte IW-Direktor Michael Hüther. Er sprach sich zugleich gegen den Begriff "Lohndumping" für den Einsatz ausländischer Billigkräfte in Deutschland aus. "Was wir hier erleben, ist kein Lohndumping, sondern Ausdruck der europäischen Integration."
Nach Ansicht Hüthers hat das in den 90er Jahren verabschiedete Entsendegesetz der ostdeutschen Bauwirtschaft geschadet, weil Betriebe aus den neuen Bundesländern auf westdeutschen Baustellen Westlöhne zahlen müssten. Es behindere also den Wettbewerb. "Wir werden hier diesen Wettbewerb in Europa brauchen, und wir werden ihn auch nur kurzfristig ausschließen können", sagte Hüther. Er erinnerte zugleich an die in der vorigen Woche vom IW präsentierte Berechnung, dass ein gesetzlicher Mindestlohn von 1500 Euro pro Monat in Deutschland drei Millionen Arbeitsplätze gefährden würde. Ziel der Hartz-IV-Reformen sei aber eine Öffnung der Lohnstrukturen nach unten gewesen, so Hüther.