Während die Bundesregierung über die Euro-Rettung streitet, Politiker vieler Couleur in Interviews und Günther Jauchs Talkshow versuchen, Strategien zu präsentieren, schlägt im Bundestag die Stunde der Experten. Im Haushaltsausschuss wurden renommierte Fachleute gehört, um die Parlamentarier auf die Abstimmung über den reformierten Euro-Rettungsschirm EFSF vorzubereiten. Die soll am 29. September, also Donnerstag kommender Woche über die Bühne gehen. Das Expertenurteil über den Hilfsfonds stimmt allerdings nicht unbedingt positiv.
So warnte der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt die Politiker aus dem Ausschuss vor überzogenen Erwartungen an die Schlagkraft des EFSF. "Wenn man den Fonds so ertüchtigt wie vorgesehen, wird er gerade so viel Feuerkraft haben, um gegebenenfalls eine Umschuldung Griechenlands durchzuführen und Ansteckungseffekte auf andere Länder wie Portugal und Irland zu verhindern", sagte der Essener Wissenschaftler. Daher sei nicht damit zu rechnen, dass der EFSF die Europäische Zentralbank (EZB) komplett entlasten könne. Diese müsste dann mit Käufen von Staatsanleihen weiter einspringen, um das Zinsniveau der Krisenländer stabil zu halten. Wenn die EZB aber auch künftig wieder einspringen müsse, sei nichts gewonnen, fürchtet Schmidt. "Außer, dass man dieses Pulver verschossen hat, dass man sich eigentlich für Wichtigeres aufsparen wollte."
Weidmanns Abrechnung
Das Kreditvolumen des EFSF soll von ursprünglich etwa 250 Milliarden auf insgesamt 440 Milliarden Euro steigen. Im Gegenzug erhöhen die Euro-Länder ihre Garantien auf 780 Milliarden Euro. Der Fonds soll auch die Möglichkeit erhalten, Staatsanleihen angeschlagener Staaten aufzukaufen. Seine Reform muss von allen 17 Euro-Ländern abgesegnet werden - was kein Selbstgänger ist. In einigen Ländern gibt es leichtere, in der Slowakei härtere Widerstände. Im Bundestag wollen fast 20 Abgeordnete der Regierungsfraktionen von Union und FDP dagegen stimmen.
Auch Bundesbank-Präsident Jens Weidmann fand wenig lobende Worte für den Rettungsschirm. Er warnte den Ausschuss vor einem drohenden Haftungsverbund zwischen reichen und armen Ländern und fürchtet: durch die vielen Rettungsmilliarden und riesigen Stützungskäufe fehlen Anreize zur Sanierung der Staatskassen, was bei den hochverschuldeten südeuropäischen Staaten dringend notwendig ist.
Weidmann kritisierte so gut wie jedes Element des neuen Rettungsfonds:
- Die geplanten Käufen seien nicht kosteneffizient. Es bestehe auch die Gefahr, dass Privatinvestoren vom Markt verdrängt werden. Der EFSF sollte sich daher auf andere Instrumente konzentrieren.
- Dass der Fonds Darlehen an Staaten vergeben kann, um Finanzinstitute stützen können, nannte der Bundesbank-Präsident bedenklich.
- Der Garantierahmen von 780 Milliarden Euro ist Weidmann zu hoch. Es sei "überlegenswert", die Ausweitung zu begrenzen - etwa durch Verzicht auf die Bonitätsbestnote "AAA".
Der Chef des EFSF, Klaus Regling, wies sowohl die Warnungen vor einer dauerhaften Transferunion als auch die letzte Forderung Weidmanns zurück. Alle Hilfsinstrumente des EFSF und des künftigen Rettungsschirmes ESM seien an strikte Auflagen geknüpft. Es bleibe wichtig, dass der EFSF mit der höchsten Kreditwürdigkeit agiere. Gerade in Krisenzeiten engagierten sich Investoren in Anleihen mit bester Bonitätsnote "AAA". Diese sei nicht gefährdet: "Das "AAA" ist immer noch stabil und wird auch nicht in Frage gestellt."
Euro erneut unter Druck
Seine Lösung ist eine Horrorvorstellung für alle, die auf nationale Souveränität innerhalb der EU pochen. Weidmann fordert eine gemeinsame europäische Finanzpolitik oder eine zentrale Ebene, die den Staaten Vorgaben für ihrer Haushaltspolitik macht. Notwendig sei ein "grundsätzlicher Regimewechsel" mit weitgehender Aufgabe der nationalen fiskalischen Souveränität. Sprich: Der Haushalt und das Schuldenmanagement werden von Brüssel aus gesteuert.
Nicht nur von der Expertenrunde kam Kritik am Vorgehen der Politik, auch am Finanzmarkt wurde einmal mehr bemängelt: Die europäische Politik hat kein Konzept. Exemplarisch schrieben die Analysten des Vermögensverwalters Investec in ihrem Marktkommentar: "Wir halten an unserer Einschätzung fest, dass die Euro-Zone weder die Ressourcen noch die institutionelle Voraussetzung für einen effektiven Umgang mit der Krise hat. Eine erfolgreiche Lösung bedarf einer umfassenderen internationalen Aktion." Der Euro verlor auch am Montag.