China Die Jahre der Esel

Sie werden beklaut, kopiert und über den Tisch gezogen. Viele deutsche Unternehmer sind in China gescheitert. Kanzlerin Merkel will das Thema bei ihrem Besuch deutlich ansprechen.

Der Kanzler schaute dem chinesischen Drachen tief ins Maul und mochte nicht mehr als eine gelungene Folklore-Darbietung entdecken. Das Wort Bedrohung kam Gerhard Schröder nicht in den Sinn und bei seiner Festrede in Peking nicht über die Lippen. Auch Michael Frenzel, Chef des Reiseunternehmens Tui, freute sich 2003 am Drachentanz, den seine chinesischen Partner zur Eröffnung des Gemeinschaftsunternehmens aufführen ließen. Der Unternehmer schwärmte vom "großen Potenzial für das künftige Geschäft". Seine Manager rechneten schon die hohen Gewinne aus, mittelfristig sahen sie "bis zu 250.000 Chinesen" nach Deutschland reisen; ein schönes Geschäft, bei dem Tui unbedingt dabei sein wollte.

Die Euphorie ist verflogen

Frenzel, Herr über Europas führenden Reisekonzern, hatte das erste Touristik-Joint-Venture im Reich der Mitte an Land gezogen, bei dem Ausländer die Mehrheit hielten. Geholfen hat es ihm bisher nicht. Entgegen den im Vorfeld gemachten Versprechungen darf Tui bis heute Chinesen keine Ferienreisen ins Ausland anbieten. Das Geschäft machen die Asiaten lieber selbst.

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Worüber deutsche Unternehmer klagen - Auszüge aus dem vertraulichen Kanzlerin-Papier

www.xiucai.oai.de Chinadienst des Ostasieninstituts der FH Ludwigshafen

Der Ärger von Tui hat Eingang in ein vertrauliches Papier gefunden, das der einflussreiche Asien-Pazifik-Ausschuss der deutschen Wirtschaft unter Führung des Merkel-Vertrauten Heinrich von Pierer der Kanzlerin für ihren Chinabesuch in der nächsten Woche aufgeschrieben hat. Das achtseitige Dokument, das dem stern vorliegt, liest sich wie eine Anklageschrift - von erzwungenem Technologietransfer bis zum Diebstahl geistigen Eigentums.

Noch kann sich die Kanzlerin im Glanz ihrer Gipfeldiplomatie sonnen. Innerhalb einer Woche traf sie Wladimir Putin und George W. Bush. Am kommenden Montag beginnt ihr schwierigster Auslandsbesuch. Von ihrer ersten Chinareise als Umweltministerin Helmut Kohls weiß sie, wie hart Chinesen verhandeln. Damals ging es um Klimapolitik, nun um den Weltfrieden. In der Iran-Frage wird sie die Regierung des rohstoffhungrigen China, das Öl- und Gasverträge über mehr als 100 Milliarden Euro mit dem Iran abgeschlossen hat, kaum von einer härteren Gangart oder gar Wirtschaftssanktionen überzeugen können.

Was die viel gelobten Wirtschaftsbeziehungen betrifft, sieht Merkel China mehr als Konkurrenten denn als Partner. Das Reich der Mitte heizt den globalen Wettbewerb an wie kein zweites Land. Und anders als Schröder, den die chinesischen Führer schnell als "alten Freund" ehrten, glaubt Merkel nicht an ein Geben und Nehmen nach dem Motto: Drücke ich hier ein Auge zu, gibst du mir dort einen Auftrag. Sie ist davon überzeugt, dass Respekt letztlich nur erhält, wer klare Worte findet, zu Menschenrechten, Waffenembargo und ebenso beim Streit um geistiges Eigentum.

Vom Traum zum Trauma

Der Unternehmer Eginhard Vietz ist eines der prominentesten Opfer der rüden Geschäftsmethoden in der Volksrepublik. Vor anderthalb Jahren posierte der Mittelständler aus Hannover in China noch optimistisch vor Fotografen, seinen Landsmann Schröder zur Rechten, den Chinesen-Premier Wen Jiabao zur Linken. Heute zieht Vietz, Weltmarktführer im Bau von Maschinen zur Verlegung von Pipelines, von Konferenz zu Konferenz und warnt andere Unternehmen davor, in China zu investieren. Der Titel seines Vortrages: Vom Traum zum Trauma.

Der chinesische Partner von Vietz zweigte Geld ab, der Betriebsleiter verschwand mit einem Laptop voller Baupläne, im Dezember klaute er den Hauptrechner und den Tresor. Der Chinese und seine Hintermänner treten nun mit ihren nachgebauten Schweißraupen bei Messen als Konkurrenten von Vietz auf, zuletzt in Teheran. "Uns entstehen Verluste in Millionenhöhe", schimpft Vietz. Inzwischen hat er die Chinaproduktion zurück ins deutsche Stammwerk verlegt.

Mehr Schutz geistigen Eigentums

"Erfindungen haben Deutschland stark gemacht. Deshalb müssen wir den Rohstoff Geist in einer globalisierten Welt besser schützen", fordert der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Mit Blick auf die Kanzlerin ist Stoiber zufrieden mit ihrer Zusage, "den Schutz des geistigen Eigentums in den Mittelpunkt der deutschen G-8-Präsidentschaft im nächsten Jahr zu stellen". FDP-Generalsekretär Dirk Niebel regt sich darüber auf, dass der Technologieklau "deutsche Arbeitsplätze gefährdet".

Nach einer im April veröffentlichten Umfrage des Verbandes der Anlagenbauer sind zwei Drittel der deutschen Maschinenhersteller von Produktklau in aller Welt betroffen. 70 Prozent der Plagiate kommen aus China. Christian Harbulot, Direktor der Pariser École de Guerre Économique, wirft den Flugzeugbauern von Airbus (EADS) deshalb den Ausverkauf europäischer Interessen vor, wenn sie ein Montagewerk in China errichten - als Gegenleistung für den Kauf von 150 Flugzeugen. China, das bis 2025 rund 2600 Flieger anschaffen und in einem Jahrzehnt ein eigenes Großraumflugzeug auf den Markt bringen will, freut sich über den Technologietransfer. In einigen Jahren, so fürchtet Harbulot, werden die Asiaten "die gleichen Flugzeuge wie wir bauen und keine Airbusse mehr kaufen". Der russische Revolutionär Wladimir Lenin hatte einst orakelt, "die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, an dem wir sie aufhängen".

Die Chinesen arbeiten eifrig an der Erfüllung dieses Diktums - gern auch mit Hilfe deutscher Steuergelder wie beim Transrapid. Die Schröder-Regierung hatte den Bau der Shanghaier Transrapid-Strecke - eine Technologie, für die der Steuerzahler ohnehin schon 1,2 Milliarden Euro berappt hatte - mit 100 Millionen Euro aus dem Etat des Wirtschaftsministeriums unterstützt. Diese Subventionen teilten sich das Transrapid-Konsortium, also Siemens und ThyssenKrupp, und der bayerische Mittelständler Bögl. Das Geschäft mit China lag der rot-grünen Bundesregierung so am Herzen, dass sie der bayerischen Firma die komplizierte Technik zum Bau der Transrapid-Beton-Stahlträger abkaufte und kurzerhand den Chinesen schenkte.

Lehrbeispiel Transrapid

"Kommandeur" Wu Xiangming, ehemals Leiter der Transrapid-Baustelle in Shanghai, stieg schnell zum Leiter des Nationalen Entwicklungszentrums für Magnet-Technologie auf. "China muss die Gelegenheit ergreifen, diese Schlüsseltechnologie zu kontrollieren", verkündete er selbstbewusst, inzwischen geht er in Deutschland auf Verkaufstour. Experten meinen, dass ein deutscher Transrapid heute ohne chinesische Hilfe nicht mehr gebaut werden könne. Anders als die Firma Bögl haben Wu und seine Leute praktische Erfahrungen gesammelt.

Der Transrapid ist nicht das einzige Beispiel dafür, dass deutsche Steuergelder das chinesische Wirtschaftswunder finanzieren. Nach Artikel 12 des Doppelbesteuerungsabkommens können hiesige Firmen Quellensteuern, die in China beim Verkauf von Lizenzen für Technologie oder Markennamen anfallen, in Deutschland mit der Körperschaftssteuer verrechnen, pauschal in einer Höhe von 15 Prozent, selbst wenn die in China gezahlten Steuern niedriger sind. Meist verzichten die Chinesen sogar auf die Steuer, dennoch kassieren die deutschen Unternehmen - ein Abschreibungsmodell, das sich Firmen wie Siemens nicht entgehen lassen. "Der deutsche Fiskus fördert insoweit die Technologievergabe nach China", schreibt der Münchner Steuerexperte Karsten Gnuschke.

Chinas Finanzsystem vor dem Kollaps

Allein in diesem Jahr unterstützt Deutschland China mit 68 Millionen Euro Entwicklungshilfe, seit 1994 waren es 1,6 Milliarden Euro. Die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft, eine Tochter der mit Steuergeldern finanzierten Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), kaufte sich für 4,8 Millionen Dollar in die südchinesische Nanchong Commercial Bank ein. Ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Die chinesischen Banken, alle unter Kontrolle des Staates, sitzen auf einem Berg von faulen Krediten, mehr als 700 Milliarden Euro sind es zurzeit.

Wie einst Rotgardisten die Mao-Bibel beten deutsche China-Manager die Worte des Siemens-Aufsichtsratschefs von Pierer nach: "Das Risiko, in China nicht dabei zu sein, ist größer als das Risiko, dabei zu sein." Tatsächlich ist die Lage vieler deutscher Niederlassungen in China alles andere als rosig: Metro, seit 1996 dort im Markt, schreibt keine schwarzen Zahlen und verlor 2004 rund 18 Millionen Euro. Obi verkündete im Juni 2000 den großen Sprung nach vorn und wollte bis 2010 in China 100 Baumärkte gründen. Vor einem Jahr zogen die Manager nach hohen Verlusten die Notbremse und verkauften die bisher gebauten 13 Filialen. Auch der Finanzriese Allianz hat kein Glück. Seit zwölf Jahren ist der Versicherer in der Volksrepublik präsent - und schreibt konstant rote Zahlen.

Engagement oft zu rasch

"Der Drang nach China gleicht einer Stampede, alle laufen los, aber keiner weiß, warum", sagt Jörg-Meinhard Rudolph vom Ostasieninstitut in Ludwigshafen. Knapp 2000 deutsche Unternehmen sind in China aktiv, acht Milliarden Euro haben sie bisher in die "Werkbank der Welt" investiert.

Das BMW-Werk in der Sieben-Millionen-Metropole Shenyang ist nur zu einem Drittel ausgelastet. Zugleich müssen sich die Vertriebsleiter mit wütenden chinesischen Kunden herumschlagen, deren Autos liegen bleiben - was häufig, so der Verdacht der Münchner, daran liegen kann, dass die Käufer nachgemachte Teile einbauen lassen oder schlechtes Benzin benutzen. Ein Kunde machte die Edelmarke, die auf Chinesisch "wertvolles Pferd" übersetzt wird, kürzlich zum Gespött und ließ einen schwarzen 7er-BMW von Eseln durch Pekings Straßen ziehen. Auf einem Transparent stand zu lesen: "Einen BMW zu kaufen macht dich selbst zum toten Pferd." So viel Meinungsfreiheit erlauben die kommunistischen Alleinherrscher dann doch.

Schwach durch Konkubinenwirtschaft

Im Internationalen Ausstellungszentrum an Pekings Dritter Ringstraße erheben sich die Besucher zur Nationalhymne: "Trotzt dem Gewehrfeuer der Feinde, Marsch voran!" Dann läuft ein Video mit dem Titel "Gemeinsam zum Ruhm" an: Volksmassen beklatschen KP-Führer, Sportler bekommen Goldmedaillen, Autos fahren durchs Bild. Ein kommunistischer Propagandastreifen? Nein, mit diesem Film stellt sich Volkswagen als Sponsor der Olympischen Spiele 2008 vor.

Viel genutzt hat dies Volkswagen bisher nicht. Wie die anderen westlichen Autokonzerne unterwirft sich VW einem Prinzip, das in China als "Konkubinenwirtschaft" belächelt wird: Die lokalen Autohersteller teilen sich jeweils mehrere westliche Partner und profitieren so vom Know-how eines jeden. Saic, VWs Partner in Shanghai, ist auch mit General Motors (GM) liiert.

So wie die Konkubinen "die Männlichkeit des Kaisers" stärken sollten, ohne selbst zur Kaiserin aufzusteigen, haben VW und GM die vorher unbedeutende Saic stark gemacht. Kürzlich kaufte Saic die Technikrechte und Motorenlizenzen der britischen Rover-Modelle 25 und 75 und wird sie ab September produzieren - unter eigener Marke. Der Marktanteil von VW dagegen ist von 50 Prozent im Jahr 2001 auf 17,3 Prozent gefallen, im vergangenen Jahr machten die Wolfsburger in China 119 Millionen Euro Verlust. Für die ausländischen Konzerne gilt eine Weisheit aus dem alten China: Wenn die Kaiser das Interesse an den Konkubinen verlieren, werden sie zu Mägden.

Stefan Braun, Adrian Geiges, Matthias Schepp, Janis Vougioukas

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