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Ökonomen rechnen vor Hitze macht unproduktiv und kostet die europäische Wirtschaft so Billionen Euro

Ein Mann in Bayern auf einer Luftmatratze
Dieser Tage deutlich attraktiver als im Büro zu arbeiten: die Luftmatratze auf dem See
© Karl-Josef Hildenbrand / DPA
Im Büro fällt das Arbeiten derzeit schwer, draußen ist es sogar eine Qual. Ökonomen zeigen, dass die immer höheren Temperaturen mit hohen Produktivitätsverlusten einhergehen. Dagegen helfen selbst Klimaanlagen kaum.
Von Roland Lindenblatt, Capital

In mehreren Orten Deutschlands wurden in der jüngsten Vergangenheit Hitzerekorde gebrochen. Klimaforscher sind sich nahezu einig, dass der Klimawandel daran schuld ist. Während die Lufttemperatur in Deutschland zwischen 1881 und 2021 um 1,6 Grad gestiegen ist, legte auch die Zahl der Hitzetage in fast allen Regionen Deutschlands zu. Laut Deutschem Wetterdienst (DWD) gab es in Köln inzwischen 1961 und 1990 durchschnittlich sechs solcher Tage mit über 30 Grad Celsius pro Jahr, zwischen 1991 und 2020 waren es im Jahresschnitt schon zwölf Tage. Die vier wärmsten Jahre seit 1881 waren ohnehin 2014, 2018, 2019 und 2020.

Und so wie Klimaforscher den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Hitzetagen beobachten, untersuchen Ökonomen, wie sich die steigenden Temperaturen auf die Produktivität auswirken. Denn je größer die Schäden, desto eher lohnt es sich auch wirtschaftlich in Maßnahmen gegen den Klimawandel zu investieren.

Kurz zusammengefasst lautet das Ergebnis: Die Schäden sind hoch. Marshall Burke und Vincent Tanutama von der Stanford-Universität errechneten, dass höhere Temperaturen zwischen den Jahren 2000 und 2015 (verglichen mit den Durchschnittstemperaturen der Jahre 1951 bis 2000) in den USA und in Europa Produktivitätsverluste in Höhe von 4 Billionen Dollar verursacht haben. Zum Vergleich: Die Wirtschaftsleistung in der gesamten EU betrug 2015 circa 13,5 Billionen Dollar.

Produktivität bei zehn Grad Celsius am höchsten

Die Gründe sind zahlreich: Die Produktivität sinkt bei hohen Temperaturen vor allem wegen geringeren Ernteerträgen, der geringeren Leistungfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie schlechterer Gesundheit, fanden die Ökonomen Tamma Carleton und Solomon Hsiang von der University of California, Berkeley heraus.

Ein Temperaturanstieg von nur wenigen Tagen reicht etwa aus, um die Ernten zu schädigen. Dazu muss man zur Zeit nur nach Italien schauen, wo die Hitzewelle schon zugeschlagen hat. Der dortige Bauernverband Coldiretti warnt vor Ernteausfällen von gebietsweise bis zu 70 Prozent.  

Beschäftigte, die körperliche Arbeit verrichten, haben natürlich größere Mühe, bei heißem Wetter zu arbeiten, aber auch Büro-Angestellte können sich bei hohen Temperaturen schlechter konzentrieren und sind unproduktiver.

Carleton und Hsiang zeigen aber auch, dass es indirekte Effekte durch immer höhere Temperaturen auf die Produktivität gibt. So wird mehr Energie benötigt. Und um der Hitze zu entkommen, entscheiden sich viele Menschen für einen Umzug. Auch nicht zu vernachlässigen ist, dass die Hitze die  Menschen auch aggressiver macht, was zu mehr (unproduktiven) Konflikten führt.

Am stärksten sind die Produktivitätsverluste in Ländern, in denen es ohnehin schon sehr warm ist. Diese sind unglücklicherweise auch häufig stärker vom Klimawandel betroffen. Aber auch heißeres Wetter in gemäßigten Regionen wie Deutschland zieht Produktivitätseinbußen nach sich.

Die Stanford-Wissenschaftler Burke und Tanutama verglichen die jährlichen Durchschnittstemperaturen mit der lokalen Produktivität. Ihr Ergebnis: Die Produktivität erreicht bei einer jährlichen Durchschnittstemperatur von zehn Grad Celsius ihren Höhepunkt. Nur ganz wenige Orte auf der Welt, vor allem in Skandinavien, in Russland und in Kanada haben aber überhaupt niedrigere Durchschnittstemperaturen als zehn Grad. Sie sind also die einzigen, die von höheren Temperaturen profitieren könnten. Die Produktivität im Rest der Welt ist laut der Studie dazu verdammt, unter steigenden Temperaturen zu leiden. Denn oberhalb von zehn Grad geht das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts mit steigenden Temperaturen steil zurück, in armen wie in reichen Ländern.

Auch klimatisierte Büros helfen nur bedingt

Das erscheint kontraintuitiv. Viele arme Länder sind schließlich von klimasensiblen Wirtschaftszweigen wie der Landwirtschaft abhängig und können sich keine Klimaschutzmaßnahmen leisten. Wer glaubt, wohlhabendere Länder, könnten die Auswirkungen höherer Temperaturen auf ihre großen Dienstleistungssektoren durch Klimaanlagen ausgleichen, irrt sich. Lee Kuan Yew, der erste Premierminister Singapurs, sagte etwa einmal: „Ohne sie würden viele unserer einfachen Arbeiter wahrscheinlich unter Kokosnussbäumen sitzen, um der Hitze und Feuchtigkeit zu entkommen, anstatt in High-Tech-Fabriken zu arbeiten."

Viele Gründe, warum sich reichere Länder nicht besser an höhere Temperaturen anpassen können als ärmere Länder, sind noch unbekannt. Aber die Kraft von Klimaanlagen zur Abkühlung der Gedanken scheint begrenzt zu sein. Anthony Heyes von der Universität Ottawa untersuchte die Auswirkungen der Außentemperaturen auf die Entscheidungen amerikanischer Richter in mehr als 200.000 Einwanderungsfällen. Mit steigenden Außentemperaturen sanken die Chancen auf eine Aufenthaltsgenehmigung bei sonst gleichen Voraussetzungen, auch wenn die Richter in klimatisierten Gerichtssälen entschieden. Die Außentemperaturen könnten sich also darauf auswirken, wie hochqualifizierte Fachkräfte ihre Arbeit verrichten, auch wenn sie in geschlossenen Räumen arbeiten.

Andere Studien konnten zeigen, dass selbst in reichen Ländern wie den USA, wo Technik viele Hitzeschäden ausbügeln kann, die Landwirte aufgrund des wärmeren Klimas unter geringeren Ernteerträgen leiden, während das Baugewerbe und das verarbeitende Gewerbe durch eine geringere Arbeitsproduktivität beeinträchtigt werden.

Auch wenn sich hierzulande sicherlich ein paar Menschen über die zusätzlichen warmen Tage freuen, ist ziemlich sicher, dass sie für die Produktivität schlecht sind. 

Hinweis der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst bei Capital.de.

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