Medien Wer hat Angst vor Rupert M.?

Der drohende Konkurs des Münchner Medienmoguls Leo Kirch ruft die »Deutschland AG« auf den Plan. Heimische Konzerne wollen die Beute unter sich aufteilen, bevor der gefürchtete Tycoon Rupert Murdoch zupackt.

Als der Australier Rupert Murdoch die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragte, kommentierte eine Zeitung dort, man möge die Fackel der New Yorker Freiheitsstatue abmontieren: »Lasst die Dame nur die Hand in die Höhe halten - mit ausgestrecktem Mittelfinger.« Der Aufschrei verhallte: Murdoch bekam den US-Pass und drang mit hemmungslosem Expansionseifer in die amerikanische Medienindustrie ein wie niemand zuvor.

In diesen Tagen

zeigen wieder eine Menge Leute Murdoch den Stinkefinger. Allein die Aussicht, dass dieser Mann das marode Reich des Münchner Medienunternehmers Leo Kirch ausweiden könnte, ruft die Deutschland AG auf den Plan - jenes Konsortium aus hiesigen Banken, Konzernen und Politik, das stets zur Stelle ist, wenn es ungemütlich zu werden droht im heimelig-verkrusteten rheinischen Kapitalismus.

Ob Deutsche-Bank-Chef Ernst Breuer, Bertelsmann-Boss Thomas Middelhoff oder Kanzler Gerhard Schröder - sie alle wollen verhindern, dass das Beben, das dem deutschen Medienmarkt bevorsteht, wenn Kirch Pleite geht, einem raffgierigen Ausländer die dicksten Brocken beschert. Und es gibt eine Menge zu verteilen: Leo Kirch, der Selfmademan aus Franken, besitzt neben einem riesigen Filmarchiv, den Formel-1- und den wichtigsten Fußball-TV-Rechten die größte Senderkette im Land (ProSieben, Sat 1, Kabel 1, DSF, N 24, Premiere). Daneben gehören ihm mehr als 40 Prozent an Europas größtem Zeitungshaus, dem Axel Springer Verlag (»Bild«, »Welt«).

Doch das ganze Imperium

ist auf Schulden errichtet. Kirch hat bei Banken und Geschäftspartnern Verbindlichkeiten von mindestens acht Milliarden Euro, möglicherweise seien es auch zwölf, wird spekuliert. Jedenfalls werden es täglich mehr. Allein dem US-Studio Paramount schuldet Kirch nach stern-Informationen 200 Millionen Dollar. Die Amerikaner bereiten eine Klage vor. »Kirch schuldet jedem Studio in Hollywood Geld«, sagt ein hochrangiger Filmmanager aus Los Angeles.

Will Leo Kirch, 75 und gesundheitlich angeschlagen, nicht untergehen, braucht er einen mutigen Partner - einen, der Geld hat, der gern zockt und der schon lange davon träumt, den gemütlichen deutschen Medienmarkt mal so richtig aufzumischen. Verzweifelt telefoniert sich der alte Unternehmer durch die Welt, um diesen einen zu finden. Er spricht mit Silvio Berlusconi, doch dem italienischen Ministerpräsidenten sind politisch die Hände gebunden. Der Einzelhandelsmilliardär Otto Beisheim, der Kirch mit einem dubiosen Deal schon einmal vor dem Untergang bewahrte, steht auf der Liste. Und eben Rupert Murdoch, den sie in der Branche »Hai« oder »Raubtier« nennen.

Der bald 71-Jährige versteht das Leben als eine Abfolge von Schlachten. »Barbar« ist deshalb eine weitere Charakterisierung seiner Person, obwohl der Mann mit den tiefen Furchen im Gesicht meist ganz leise spricht, oft beinahe verschmitzt lächelt und sich erst von seiner dritten Frau, der 36 Jahre jüngeren Chinesin Wendy Deng, die angesagten Kneipen New Yorks zeigen ließ.

Mit zwei ererbten Provinzblättchen

in Australien als Startkapital hat Murdoch ein Imperium geschaffen, in dem die Sonne nicht untergeht. Er produziert Hollywood-Filme wie »Titanic«, macht in den USA den großen TV-Networks mit Fox Television Konkurrenz, in Großbritannien dominiert er mit »Times«, »Sunday Times« und »Sun« den Zeitungsmarkt, dazu das Bezahlfernsehen. Australien wird von seinen Zeitungen beherrscht, Asien von seinen Fernsehkanälen. Deutschland fehlt bisher auf seiner Landkarte bis auf ein paar Prozente am Kirch-Reich.

Murdochs aggressiver Geschäftstrieb ist legendär. »Die Menschen sind, was mich angeht, paranoid«, sagt Murdoch dazu nur. Rastlos jettet er um den Globus, um seine Besitztümer zu besichtigen, seinen Managern Dampf zu machen. Nach einem großen Deal in England Anfang der achtziger Jahre fragte ihn seine damalige Frau Anna, wo sie denn künftig leben würden. Er antwortete: »Überwiegend in der nördlichen Hemisphäre.« Präziser konnte er nicht werden. Freizeit ist ohnehin kaum vorgesehen in seinem Leben, das ein einziger Beutezug ist. Erst seine jetzige Frau Wendy, mit der er seit drei Monaten die Tochter Grace Helen hat, schaffte es, ihn etwas lockerer werden zu lassen.

Seine konservative

Gesinnung, die er über sein Imperium verbreiten lässt, ist gefürchtet. Murdoch in Deutschland, als finanzkräftiger Konkurrent, als Strippenzieher beim Fernsehen, als Schlagzeilenmacher beim Massenblatt »Bild«? Das passt Gewerkschaftern genauso wenig wie den Bossen der hiesigen Medienkonzerne oder dem Bundeskanzler.

Es ist nicht allein die schiere Größe des Murdoch-Reiches, die Furcht einflößt. Es sind vor allem die rauen Methoden, mit denen er es zum Wachstum trieb. Ted Turner, der Gründer des amerikanischen Nachrichtenkanals CNN, hat ihn einmal mit Hitler verglichen: »Murdoch kontrolliert die Presse zu seinem eigenen Besten, genau wie der Führer. Er ist verrückt nach Geld und Macht.« Murdochs Krawallblätter, allen voran seine »New York Post«, druckten Karikaturen, die den Widersacher in einer Zwangsjacke zeigten, und fragten: »Ist Ted Turner verrückt?« Am Import eines solchen Szenarios »haben die deutschen Verleger kein Interesse«, sagt einer, der innerhalb der Deutschland AG an den Strippen zieht. »Der deutsche Markt ist weitgehend aufgeteilt. Wenn Murdoch kommt, lässt sich das Gefüge nicht mehr kontrollieren.«

Vor allem die Verleger Großbritanniens mussten schmerzhaft erfahren, was es bedeutet, der Methode Murdoch ausgesetzt zu sein. Um die mächtigen Gewerkschaften der Londoner Drucker in die Knie zu zwingen, errichtete er in den achtziger Jahren eine neue Druckerei im Vorort Wapping. Dort galten die alten Privilegien nichts mehr, und ein Bruchteil der Belegschaft reichte aus, um die Murdoch-Blätter zu drucken. Vor den Toren der Anlage tobten über Monate Straßenschlachten. Seine Kampfgefährtin Maggie Thatcher ließ Murdochs Variante des freien Unternehmertums mit dem Schlagstock durchsetzen.

Ein Jahrzehnt später

zettelte Murdoch einen radikalen Preiskampf an: Die »Times«, das Flaggschiff der britischen Presse, drückte er montags für umgerechnet 15 Cent pro Exemplar in den Markt. Das deckte zwar nicht einmal die Druck- und Vertriebskosten, aber im Gegensatz zur Konkurrenz konnte es sich der Multi-Unternehmer Murdoch locker leisten, bei jeder Zeitung draufzuzahlen. Diesmal standen nicht die Gewerkschaften, diesmal stand das Establishment auf der anderen Seite der Barrikade. Murdoch habe Qualitätszeitungen gefährdet, jammerte die Branche später.

Es ist diese radikale Kommerzialisierung der Interessen, die den Verlegern nun auch hierzulande Kopfschmerzen bereitet. Ihre Welt ist mittelständisch, teilweise sogar noch familiär sortiert. Gegen einen Weltkonzern, der seine Blätter über Jahrzehnte subventionieren kann, sind sie machtlos. Und die Politiker? Gegen Murdochs Gebaren erscheinen Attacken der konservativen »Bild«-Zeitung gegen Kanzler Schröder beinahe harmlos. Am liebsten mag Murdoch jene, die er selbst an die Macht gebracht oder dort gehalten hat. »Es war die «Sun», die gewonnen hat«, jubelte sein Revolverblatt, als es den Konservativen zum Sieg gegen Labour-Mann Neil Kinnock verholfen hatte. Doch John Major, der Nachfolger der Eisernen Lady, verlor die Gunst Murdochs. Prompt schlug er sich auf die Seite Tony Blairs. Der Sozialdemokrat zeigt sich seither dankbar: Er richte seine Politik ganz danach aus, was die »Sun« schreibt, spotten Londoner Kabinettsmitglieder. Solange Murdochs Blätter auf striktem Anti-Euro-Kurs bleiben, muss sich Blair mit einer Entscheidung über die Zukunft des englischen Pfunds zurückhalten.

Wer Kriege führt

wie Murdoch, der kalkuliert ein, dass die Wahrheit zu den ersten Opfern zählt: »Die freundlichste Erklärung für Herrn Murdochs Einstellung zu Versprechen ist, dass er sie ehrlich meint, wenn er sie abgibt«, schrieb der Journalist Harold Evans. Er war Chefredakteur der »Times«, an der Murdoch jedes Interesse leugnete - bis er sie kaufte.

Im Fall Leo Kirch treibt er wieder sein Spiel. »Er ist in einer sehr schwierigen Situation«, sagte Murdoch schon vor ein paar Jahren über seinen deutschen Kontrahenten zum stern. Ein Partner? »Zu mysteriös.« Wenig später engagierte er sich bei Kirchs schwindsüchtigem Bezahlfernsehen Premiere, das über 800 Millionen Euro Verlust pro Jahr schreibt. Er könne sich eine weitergehende Partnerschaft mit Kirch gut vorstellen, sagte der Medientycoon noch im Januar. Vergangene Woche winkten Murdochs Leute ab: Kein Interesse mehr. Wirklich? Gleichzeitig durchkämmen Wirtschaftsprüfer im Auftrag des Australiers die Geschäftsräume bei Premiere und lassen sich die Bilanzen zeigen. Solche Buchprüfungen werden bei Übernahmen durchgeführt.

Die Vertreter

der Deutschland AG trauen Murdoch auch weiterhin nicht. Im Zweifel, so fürchten viele, strebe er die Mehrheit an Kirchs Firmengeflecht an. Den maroden Pay-TV-Sender Premiere würde die deutsche Industrie dem rabaukigen Eindringling gern überlassen - solange die deutschen Konzerne den satte Gewinne verheißenden Rest unter sich verteilen können. Kirch, bis vor einigen Wochen noch ein gefürchteter Unternehmer, gegen dessen Interessen niemand handelte, der noch was werden wollte, wird dabei nicht mal mehr gefragt.

Zu lukrativ sind die Szenarien für alle Beteiligten. Die Deutsche Bank darf sich auf fette Provisionen freuen, wenn sie das Kirch-Imperium zerlegt. Prompt diskreditierte Chef-Banker Breuer, offenbar gestützt von Aufsichtsratschef Hilmar Kopper, seinen Schuldner öffentlich. Als Interessent für die Formel-1-TV-Rechte kommt Daimler-Chrysler in Betracht. Bertelsmann könnte an Filme aus Hollywood kommen, um so RTL zu stärken. Der Essener Zeitungskonzern WAZ hofft auf Anteile am Springer-Verlag - und der Kanzler dürfte aufatmen, denn der neue WAZ-Geschäftsführer ist sein alter Spezi Bodo Hombach. Ein anderer Springer-Teil könnte an die Börse gebracht werden. Der neue Springer-Chef Mathias Döpfner, in der Branche als Günstling der Verlegerwitwe und Mehrheitseigentümerin Friede Springer belächelt, könnte sich ans Revers heften, den ungeliebten Kirch aus dem Verlag gedrängt zu haben. Offenbar fühlt er sich auch von der Deutschen Bank gestützt. Hier sind Kirchs Springer-Anteile verpfändet, und hier saß bis 1999 Döpfners Schwiegervater Ulrich Weiss im Vorstand.

Unklar bliebe vorerst die Zukunft der TV-Sender: Während ProSieben solide dasteht, kränkelt der Familienkanal Sat 1. Selbst die Zukunft der Fußball-Bundesliga erscheint nach Kirchs Ende ungewiss. Wenn er Konkurs anmeldet, versiegt die beste Einnahmequelle der Clubs - vielen Vereinen drohte die Pleite. Vergangene Woche wandten sie sich an Schröder persönlich; vor allem die börsennotierte Borussia Dortmund ist nervös: Es müsse wenigstens ein anderer her, der das Bezahlfernsehen am Leben halte - notfalls Murdoch. An diesem Freitag wird wieder eine Rate aus dem Milliarden-Deal fällig: rund 100 Millionen Euro. Eigentlich hätte das Geld schon Anfang des Monats bei der Liga eintreffen sollen, heißt es. Gegenüber Liga-Vertretern signalisierte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfgang Clement schon mal, dass im Falle eines Kirch-Konkurses Murdoch einspringen dürfte: »Er wäre uns willkommen.«

Und Kirch?

Der darf gemäß dem Schlachtplan künftig auch noch mitspielen - als Minderheitsgesellschafter. Doch der 75-Jährige hat sich mit seiner Niederlage noch nicht abgefunden: »Ich war immer eine Sekunde schneller als der Tod.« Kirch weiß, dass dies sein schwerster Kampf ist. Ungewohnt kleinlaut gab er denn auch zu: »Mir reichen nicht mehr Millionen, ich brauche Milliarden.«

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Johannes Röhrig, Stefan Schmitz, Frank Thomsen