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Horst von Buttlar: Der Capitalist In einem Unternehmen würde Maaßen heute die Außenstelle in Niebüll leiten

"Raufschmiss" - immerhin hat Maaßen die Sprache bereichert.
"Raufschmiss" - immerhin hat Maaßen die Sprache bereichert.
© Bernd von Jutrczenka/DPA
Und die SPD, Merkel und Seehofer wären dran wegen Insolvenzverschleppung. Warum die Affäre den Abgrund einer völlig dysfunktionalen Regierung offenbart.

Der Fall Maaßen hinterlässt einen Beigeschmack, der schaler ist als ein Bier, das man vor diesem ewigen Hochsommer offen auf den Balkon gestellt hätte. Und zwar nicht nur, weil Karl Lauterbach, ein an dem Niedergang der SPD arbeitender Gesundheitsexperte, auf Twitter schreibt: "Seehofer befördert die Lusche, wir haben ihn aus dem Amt gejagt". Was all jene mobilisieren dürfte, die glauben, dass die eigentliche Hetzjagd in den vergangenen Wochen nicht in Chemnitz, sondern in Berlin statt gefunden hat. (Liebe AfD, ein weiterer Prozentpunkt mehr von der SPD für Eure Systemrevolution!)

 Der Fall Maaßen ist verworren, dass man gar nicht mehr weiß, worüber man sich als erstes aufregen sollte. Dabei wäre er eigentlich glasklar: Hans-Georg Maaßen ist kein guter Rebell, kein Whistleblower, noch nicht mal das Kind, das endlich ruft, dass der Kaiser nackt ist (allenfalls hat er in Zweifel gezogen, dass der Streit über die Mode des Kaisers authentisch ist). Er hat als Führungsfigur versagt, und deshalb wäre es mehr als gerechtfertigt, ihn im hohen Bogen rauszuschmeißen. In einer aufgeheizten Lage, in der seine Behörde noch ermittelt, kann deren Chef nicht aktiv und en passant via "Bild" Einschätzungen in die Welt posaunen, ganz egal, ob sie gar oder halbgar sind. 

Keine Torpedos von außen abfeuern

Um den Kern des Problems zu betonen, möchte ich einen ungewöhnlichen Vergleich mit der Wirtschaft wählen: Die Ereignisse erinnern an den Fall von Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer, der im Februar 2002 in einem TV-Interview an der Kreditwürdigkeit seines Mandaten Leo Kirchs zweifelte, was zwei Monate später zum Zusammenbruch des Medienkonzerns führte, oder die Insolvenz zumindest beschleunigte. Die Deutsche Bank musste bitter dafür büßen.

Horst von Buttlar: Podcast-Serie "Die Stunde null"

Horst von Buttlar ist für die politische Berichterstattung des stern verantwortlich. Im März 2021 übernahm er die Leitung für das neu gegründete Hauptstadtbüro von stern, „Capital“ und „Business Punk“ und wurde Mitglied der stern-Chefredaktion. Seit 2013 ist von Buttlar bereits Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins „Capital“.

Wer Führungsverantwortung in hochsensiblen Bereichen hat, muss hochsensibel agieren. Breuer hatte eine Grenze (Bankgeheimnis, Vertrauensverhältnis zum Kunden) überschritten; und Maaßen tat dies auch – und nach allem, was man weiß, war sein Fehltritt keine Panne, sondern ein bewusster Schritt in einer Kette subversiven Verhaltens.

 Jeder CEO hätte einen Sicherheitschef, der so agiert, der eine eigene Agenda verfolgt, der Details oder Gerüchte öffentlich macht, der halböffentlich oder im Hintergrund gegen den Vorstand arbeitet, sofort gefeuert. Aber, so höre ich nun den Einwand, wird nicht gerade in der Wirtschaft immer gefordert, dass Manager früh und offener auf Fehlentwicklungen hinweisen? Natürlich. Aber nicht so, dass sie dem Unternehmen Schaden zufügen. Ein Whistleblower oder verantwortungsvoller Vorstand wirkt und eskaliert nach innen, klärt oder räumt intern auf. Er darf keine Torpedos von außen abfeuern.

 Nun wird es etwas komplizierter: Maaßen ist nicht gefeuert worden, sondern wurde formal sogar befördert. Das erinnert, um erneut die Wirtschaft zu bemühen, an den VW-Vorstand Hans Dieter Pötsch, der 2015 nach Ausbruch des Diesel-Skandals an die Spitze des Aufsichtsrats wechselte, wo zu Recht viele sagten: Das geht doch irgendwie gar nicht. Das ist die Konsequenz, das soll ein Neuanfang sein? Deshalb geriet Volkswagen ja auch in eine Führungs- und Vertrauenskrise, von der sich der Konzern noch immer nicht ganz erholt hat. Ein Unternehmen, das richtig agiert, hätte solche Manager entlassen oder an die Außenstelle in Niebüll versetzt.

 Der arithmetische Überlebenswille der Koalition 

Das eigentliche Problem dieser Tage ist aber nicht Maaßen. Da gab es keine gute Lösung mehr. Seine Beförderung, für die das bitterschöne Wort "Raufschmiss" erfunden wurde, legt die Abgründe einer Regierung bloß, die dysfunktional handelt und in elementaren Fragen und Phasen nicht mehr zu klaren und logischen Entscheidungen fähig ist. Was sie eint, ist eine Art arithmetischer Überlebenswille: Jeder bekommt so viel, damit er nicht untergeht. Was noch zusammenschweißt, ist das gemeinsame Elend. Eine Rechnung, die natürlich nicht aufgeht – deshalb ist Horst Seehofer nach knapp sechs Monaten im Amt auch eine der beängstigenden Erscheinungen der deutschen Politik. Und wir haben eine Kanzlerin, die keine Kraft mehr hat, diese Fäulnis an Führung in den Griff zu bekommen. 

Horst von Buttlar: Der Capitalist: In einem Unternehmen würde Maaßen heute die Außenstelle in Niebüll leiten

Abgesehen davon, dass all das am Kern dessen, was sich der normale Bürger wünscht, vorbeigeht. Der Bürger, oder "die Menschen da draußen im Lande", wie es so oft heißt, wollen einen Verfassungsschutz, der die Feinde der Verfassung jagt – und nicht Politiker, die einen Verfassungsschutzpräsidenten jagen. Und deshalb ist das Gefühl nach diesem Fall Maaßen auch so schal: Denn mit dieser Affäre ist für alle mehr als deutlich geworden, wie groß seit Ausbruch der Flüchtlingskrise die Kluft zwischen den wichtigen Sicherheitsbehörden – Verfassungsschutz, Bundespolizei, BND – und der Spitze unserer Regierung und vor allem der Kanzlerin ist.

Durch die Flüchtlingskrise hat sich viel Unbill und Wut in den Sicherheitsbehörden aufgestaut, so viel, dass es nun geknallt hat. Die Kanzlerin hat einen zweifelhaften Weg gewählt: Sie ignoriert die Bedenken ihrer Sicherheitsleute weitgehend. Maaßen hat sich falsch verhalten, aber das Richtige thematisiert. Anders gesagt: Der Sicherheitschef ist nicht zu halten gewesen; aber der Vorstand ist es auch nicht. Denn das Schisma zwischen Sicherheitsbehörden und Exekutive schadet dem Land. Und deshalb geht die Krise weiter, und stärkt unermüdlich jene Kräfte, die in ihrer Zerstörungsdrang viel weiter gehen wollen.

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