Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sind enorm. Denn die großen deutschen Autobauer wie VW, Mercedes und BMW exportieren nicht nur Fahrzeuge in die Ukraine und nach Russland, sondern sie betreiben auch russische Werke. Nun stehen sie still. Aber nicht nur in Russland sondern auch in Europa und in Deutschland fällt die Produktion aus. Die gesamte Branche steht vor unsicheren Zeiten.
"Die Kriegshandlungen Russlands führen zur Unterbrechung von Lieferketten. Der Transport ist eingeschränkt, die Produktion in Zulieferbetrieben fällt aus", teilte die VDA-Präsidentin Hildegard Müller am Donnerstag mit.
Die schon vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs herrschenden weltweiten Lieferengpässe nehmen nun deutlich zu. "Die durch den Krieg hinzukommenden Unterbrechungen bei Zug- und Schiffsverbindungen sowie Einschränkungen im Luftverkehr haben bereits deutliche Auswirkungen auf die Liefer- und Logistikketten, wir erwarten eine Verschärfung der Teileversorgung", sagt Müller. Die Lieferengpässe führen schließlich zum Produktionsstopp in vielen Werken deutscher Hersteller. Auch die Lieferketten etwa nach und aus China sind beeinträchtigt, weil ein Transport zunehmend schwieriger wird.
Kurzfristig gibt es Lieferengpässe bei den Kabelbäumen. Dabei handelt es sich um ein komplexes und teils für jedes Fahrzeugmodell individuell entwickeltes Bauteil. Ein Kabelbaum besteht aus einer Vielzahl von Kabeln, die für die Funktion des Bordnetzes zuständig sind. Der rund 60 Kilogramm schwere Strang wird größtenteils manuell gefertigt. Neben Tunesien ist vor allem die Ukraine ein wichtiger Kabelbaum-Lieferant für die europäischen Hersteller. Aufgrund ihrer Komplexität könne die Produktion nicht kurzfristig umdisponiert oder anderweitig substituiert werden.
Der Nürnberger Kabelhersteller Leoni hat seine zwei Werke in der Ukraine geschlossen. "Wir arbeiten – in enger Zusammenarbeit mit unseren Kunden und Lieferanten – mit Hochdruck daran, die Folgen der momentanen Produktionsunterbrechungen in unseren beiden Werken in Stryi und Kolomyja, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, für alle Beteiligten bestmöglich zu beherrschen", teilte das Unternehmen am Mittwoch in Nürnberg mit. Die Produktionsausfälle in der Ukraine bei Leoni und mehreren anderen Zulieferern hätten Folgen für die Verfügbarkeit von Teilen insbesondere in der europäischen Autoindustrie.
VW, Mercedes und BMW stellen Produktion ein
In der Folge der anhaltenden Kriegssituation stoppte VW am Donnerstag seine Produktion in seinen russischen Werken Kaluga und Nischni Nowgorod. Zuvor hatte der Konzern mit Kurzarbeit in seinen Werken in Dresden und Zwickau auf die Lieferprobleme aus der Ukraine reagiert. In der nächsten Woche wird VW in seinen großen Werken in Westdeutschland nur noch eingeschränkt produzieren. In der übernächsten Woche dürfte die Produktion dann komplett stillliegen. Betroffen ist zudem die Produktion der Nutzfahrzeuge. Auch sämtliche Exporte des deutschen Autokonzerns nach Russland würden "mit sofortiger Wirkung gestoppt". Gleiches gilt für dessen Marke Porsche. Die Produktion in Leipzig ist ebenso außer Betrieb.
Auch Mercedes-Benz setzte seine Exporte nach Russland sowie die Fertigung dort aus, wie das Unternehmen am Mittwochabend mitteilte. Die Stuttgarter hatten vor knapp drei Jahren ihr erstes Pkw-Werk nahe Moskau eingeweiht.
BMW stellte ebenfalls den Bau von Autos im russischen Kaliningrad und den Export nach Russland ein. Zudem werde es durch Lieferengpässe zu Produktionsunterbrechungen in deutschen und europäischen Werken kommen, hieß es bereits am Dienstag in München. In der kommenden Woche wird die Fahrzeugproduktion in München und in Dingolfing sowie die Motorenfertigung im österreichischen Steyr ruhen. Auch die Produktion des Mini in Oxford ist ausgesetzt. Wie ein BMW-Sprecher gegenüber der "FAZ" sagte, werden Anpassungen der Produktionsschichten auch in den Werken Leipzig und Regensburg erforderlich sein. Die BMW-Produktion in Europa steht damit fast vollständig still.
Die Münchener haben einen Krisenstab eingerichtet. "Die zuständigen Fachstellen sind mit den Lieferanten in intensiven Gesprächen, um die Versorgung über alternative Produktionsstandorte zu sichern und die Fertigung schnellstmöglich wieder anlaufen zu lassen", so der Konzernsprecher.
Marktanteil deutscher Autohersteller bei fast 20 Prozent
In Russland selbst produzierten deutschen Hersteller laut dem VDA 170.000 Autos im Jahr 2021. Diese wurden zum Großteil auch dort abgesetzt. Der Marktanteil deutscher Hersteller in Russland beträgt fast 20 Prozent. Dabei hat die deutsche Automobilindustrie 43 eigene Werke in Russland und sechs in der Ukraine.
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Der VDA-Präsidentin zufolge haben deutsche Hersteller im vergangenen Jahr rund 40.000 Fahrzeuge in Russland und in die Ukraine exportiert – 4.100 Pkw in die Ukraine und 35.600 Pkw nach Russland. Das entspreche 1,7 Prozent aller Pkw-Exporte aus Deutschland heraus.
Zukunft der Autoindustrie unklar
Wann und wie die Autoproduktion weitergehen wird, ist unklar. Müller geht langfristig von Knappheit und einem Preisanstieg bei Rohmaterialien aus. Die Ukraine sei einer der wichtigsten Neon-Lieferanten. Das Gas wird für die Herstellung von Halbleitern benötigt. Der Chip-Mangel könnte damit weiter verschärft werden. Zudem könnte es einen Palladium-Mangel geben. Das Metall wird für Katalysatoren gebraucht und zu etwa einem Fünftel aus Russland nach Deutschland importiert.
Russland ist ebenfalls ein wichtiges Förderland für Nickelerz. Der Bedarf von Nickel werde sich laut Prognosen vervielfachen. Er ist ein wichtiger Rohstoff zur Produktion von Lithium-Ionen-Batterien und "unersetzbar für den Hochlauf der Elektromobilität". Bei weiteren Rohstoffstoffen und Zulieferungen seien die genauen Auswirkungen derzeit noch nicht quantifizierbar.