Reportage Paravan behindertengerechte Umbauten Hort der Hoffnung

Das Umbauen der Autos erfolgt in aufwendiger 
Handarbeit
Das Umbauen der Autos erfolgt in aufwendiger Handarbeit
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Mitten in der beschaulichen Schwäbischen Alb schöpfen Menschen mit Handicap neuen Mut. Paravan hat sich auf die Konstruktion von Rollstühlen und dem behindertengerechten Umbauen von Fahrzeugen spezialisiert. Von der Stange ist hier nichts. Hier treffen Hightech und Handwerkskunst zusammen.

Eine Sekunde kann das Leben verändern. Einmal beim Überqueren der Straße nicht aufgepasst oder sich einfach im falschen Moment am falschen Ort befinden. Schon ist das Unglück passiert, nichts ist, wie es vorher mal war. Sachen, die man als selbstverständlich betrachtet hat, sind nur noch sehr schwer oder gar nicht mehr möglich. Eben mal schnell um die Ecke zum Bäcker? Mit einem Handicap nicht so einfach. Mit einer körperlichen Beeinträchtigung ändert sich alles. Fast immer ist nicht nur der Körper verletzt, sondern auch der Geist. Wer an ein Bett gefesselt, aufwacht, weil er seine Beine nicht mehr bewegen kann, hadert mit der Welt und verliert bisweilen den Lebensmut.

Der Hort der Hoffnung für diese Menschen befindet sich im Herzen der Schwäbischen Alp, rund 25 Kilometer südlich von Reutlingen in dem 250 Seelen-Dorf Aichelau. Malerisch gelegen, eingebettet in sich sanft erhebende Hügel. Dort, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, wo kein Papierfetzen auf der Straße liegt und wo die Kehrwoche eine Standardklausel eines jeden Mietvertrags ist, befindet sich Paravan. Ein Unternehmen, das sich der Mobilität für Menschen mit Handicap verschrieben hat. Paravan ist ein Akronym aus Paraplegie (Querschnittslähmung) und Van (das erste umgebaute Fahrzeug war ein Chrysler Voyager). Der Name ist Programm. Rund 180 Menschen tüfteln, schweißen und flexen hier tagtäglich an maßgeschneiderten Lösungen für Behinderte. So wie jede Person unterschiedlich ist, ist jede Beeinträchtigung speziell. Von der Stange ist hier nichts.

Kann ein Kunde die Finger nicht mehr bewegen, wird per 3-D-Druck das passende Bauteil gefertigt, damit er „Wir sind Ingenieure, Therapeuten und Sachverständige zugleich“, erklärt Kevin Arnold, Sohn des Inhabers Roland Arnold. Der hatte vor knapp 25 Jahren ein Schlüsselerlebnis, als auf dem Asphalt eines Autobahnparkplatzes einen Behinderten auf dem Rücken liegen sah, der nicht mehr in sein Auto zurückkonnte. Natürlich eilte der Schwabe sofort zu Hilfe, aber die Begebenheit ließ ihn nicht mehr los. „Da muss sich doch was machen lassen“, dachte sich Arnold. Mit der Beharrlichkeit eines Menschen, der das Motto „geht nicht, gibt es nicht“ lebt, fand er die entscheidende Lösung mit dem Namen Space Drive, einer Drive-by-Wire-Apparatur. Damit können Menschen Automobile per mit geringstem Kraftaufwand bewegen. Der Anfang war gemacht. Viele profitieren heute von Arnolds Erfindungsgeist.

Janis McDavid wurde ohne Gliedmaßen geboren, heute fährt er dank Paravan-Technik Autorennen. Der Ruf der Männer von der schwäbischen Alb reicht bis in ferne Länder. Vor dem Werk steht ein monströser John Deere-Traktor. Bei diesem Gefährt installieren die Paravan-Techniker die Drive-by-Wire-Technik und einen Aufzug, der den Rollstuhl samt Fahrer in die Höhe bewegt, dass er sich auf den Fahrersitz wuchten kann. „Wir sind weltweit die einzige Firma, deren Drive-by-Wire-System eine Straßenzulassung hat“, sagt Ronald Arnold.

„Wir bieten eine Rundum-Lösung“, ergänzt sein Sohn Kevin. Denn mit einem Auto ist es oftmals nicht getan. Die Basis der behindertengerechten Mobilität ist der Rollstuhl und der muss genau auf den Menschen zugeschnitten sein. Da zahlt sich die Expertise der Paravan- Mitarbeiter aus. Wo könnten Druckstellen entstehen? Wie müssen die Polster angeordnet sein, damit der Mensch möglichst lange und komfortabel sitzt? Das alles sind Fragen, deren Antworten über die Lebensqualität der Betroffenen entscheiden. Zum Beispiel verfügen manche Paravan-Kunden nicht mehr über die Möglichkeit, den Oberkörper selbst zu stabilisieren. Bevor man über weitergehende Mobilitätskonzepte nachdenkt, müssen die grundlegenden Dinge geklärt sein. Die Möglichkeiten sind vielfältig und ermöglichen den Personen mit Handicap Aktivitäten, die vor wenigen Jahren nur schwer zu realisieren waren. Für Kinder gibt es einen Rollstuhl, mit dem sie sich aufrichten können, wenn Sie an die Tafel gerufen werden. Das Thema Augenhöhe ist ein ganz wichtiges. Auch später. An der Bar müssen die Getränke nicht mehr nach unten gereicht werden und der Mensch im Rollstuhl sieht nicht nur noch die Unterkörper. Ein himmelweiter Unterschied.

Die Paravan-Mitarbeiter sind auch Psychologen. Viele Menschen, die zu ihnen kommen, hadern verständlicherweise mit ihrem Schicksal. Um diese aufzufangen und ihnen zu zeigen, dass ein erfülltes aktives Leben weiterhin möglich ist, braucht man viel Fingerspitzengefühl. Paravan unterstützt die Betroffenen auch beim Papierkrieg mit den Krankenkassen und anderen Stellen, die die Kosten für die notwendigen Maßnahmen und Geräte übernehmen sollen. Ohne Hilfe kann man bei diesem Wust an Formularen schnell die Übersicht und auch den Mut verlieren. Ein zentraler Bereich ist die Langstreckenmobilität. Deswegen bauen die Techniker auch Autos so um, dass der Mensch ohne fremde Hilfe entscheiden kann, wann er wohin fährt. Die Tüftler von der Schwäbischen Alb haben für fast alle Probleme eine Lösung. Zum Beispiel bieten sie einen Rollstuhl an, der zugleich als Fahrersitz fungiert. Gesteuert wird zum Beispiel mit einem Vier-Wege-Joystick. Dank der Space-Drive-Technik ist das ohne großen Kraftaufwand möglich. Die ist dreifach gesichert. Denn ein Mensch mit Handicap kann nicht so einfach in das Lenkrad greifen oder in die Pedale treten, wenn die primäre Steuerung den Dienst versagt.

Damit das ganze Konzept auch in die Tat umgesetzt werden, müssen die Fahrzeuge dementsprechend verändert werden. Lediglich ein Lenkrad samt Kranz zum Gasgeben und bremsen oder einen Joystick zu installieren reicht nicht immer aus. Oft ist der barrierefreie Zugang zum Wagen schon die erste Hürde, die es zu überwinden gilt. Ein beliebtes Fahrzeug, dass behindertengerecht angepasst wird, ist der VW Caddy. So ein Umbau dauert je nach Umfang bis zu 800 Stunden. Dabei wird der ganze Boden zwischen A- und B-Säule entfernt und ein komplett ebener eingezogen, der keine seitlichen Schweller hat. Nur so kommt der Rollstuhlfahrer an das Lenkrad. Sei es per seitlichen Einstieg oder von hinten. Immer per Rampe. Bei einem solchen massiven Eingriff in den Rohbau eines Fahrzeuges ist es mit dem Verschweißen neuer Bleche und dem Einziehen von Verstrebungen für die Steifigkeit nicht getan. Neue Kabelbäume, Abgasanlagen oder Schläuche für die Klimaanlagen müssen gelegt und im Zuge dessen 600 bis 800 Lötstellen gesetzt werden. Diese verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen Kfz-Mechaniker und -Mechatroniker.

Das gesamte Cockpit auf den Fahrer maßgeschneidert und dieser wird dafür genau vermessen. Damit der Blinker, die Hupe oder das Licht per Sprachsteuerung aktiviert werden können, muss die Elektronik angepasst werden. Das geschieht über den Can-Bus. Nicht selten verschlechtert sich das Krankheitsbild, dann müssen neue Lösungen her. „Wenn die Hände des Kunden auf einmal zu zittern beginnen, wird die Steuerung angepasst“, erklärt Kevin Arnold. Im günstigsten Fall ist das per Software möglich. Manchmal muss eine andere Art gefunden werden, das Auto zu kontrollieren. Notfalls auch ein ganz neuer Wagen. „Wir bauen die Fahrzeuge so, dass sie schnell zurückgerüstet werden können“, erklärt der Junior-Chef.

Damit die Menschen mit Handicap auch am Verkehr teilnehmen können, müssen sie wieder in die Fahrschule. Dafür hat Paravan eigens zwei Fahrlehrer engagiert und Autos gebaut, die unkompliziert für den jeweiligen Fahrschüler angepasst werden können. Wir waren per vier Wege Joystick in einem solchen Fahrzeug unterwegs. Kein leichtes Unterfangen, doch für viele das Tor zur Mobilität. Fahrlehrer Horst Hilsenbeck wird fast täglich mit neuen Schicksalen konfrontiert. Oft steigen die Menschen niedergeschlagen ein und lachend mit Lebensmut nach den Fahrstunden wieder aus. „Das sind für mich echte Glücksmomente“, erzählt er und ergänzt „einer erfüllte sich dann seinen Traum und kaufte einen Porsche Macan. Den haben wir natürlich auch umgebaut.“

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