Ist Autofahren so gefährlich wie Rauchen? Sollten die Forderungen des Europäischen Parlaments umgesetzt werden, kann man diesen Eindruck gewinnen. Dann würden nämlich 20 Prozent jeder Werbefläche oder –zeit in Zeitschriften, Internet, Radio und TV für gesetzliche Warnhinweise reserviert: Achtung, das Fahren dieses Autos trägt mit 163 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer zum Klimawandel bei! Beim Konsum dieses Fahrvergnügens werden 6,8 Liter Benzin pro 100 Kilometer verbraucht!
Das sei eine Quasi-Enteignung, sagt Volker Nickel vom Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW). Seine Begründung: Die "Zwangsangaben" würden mit dem Geld der Unternehmen bezahlt, die Werbung in den Medien schalten. Auf diese Weise missbrauche das Europäische Parlament die Werbung, um ihre ureigenen politischen und erzieherischen Botschaften unters Volk zu bringen. "Es gibt bereits Drohungen der Autohersteller, sich ganz aus der klassischen Werbung zurückzuziehen und sie durch andere Maßnahmen zu ersetzen."
Werbe- und Pressefreiheit bedroht
Und weil Autowerbung nach den Prospekten mit den aktuellen Lebensmittelangeboten das zweitgrößte Kuchenstück bei den Einnahmen ausmachen, sei nicht nur die Werbe-, sondern auch die Pressefreiheit bedroht, so Nickel: "Die Vielfalt in den deutschen Medien wird durch das Geld aus der Werbung gesichert." Der Chef des ZAW, Michael Kern, geht noch ein Stück weiter. Er nennt die Forderungen aus Brüssel eine "neosozialistische Versuchsanordnung" aus dem "EU-Babylon", gegen das sich die Werbewirtschaft mit besserem Lobbying verteidigen müsse. Die zurückhaltende "Appeasement-Politik" großer Unternehmen fände er problematisch, berichtet die Fachzeitschrift "Werben & Verkaufen".
Freiwilliger Gefühlsverzicht
Neben der genannten 20-Prozent-Verpflichtung hat das Europäische Parlament noch eine zweite Idee. Die Kreativen in den Agenturen sollen einen freiwilligen Verhaltenskodex einhalten. Aggressive und dynamische Gefühle in Wort und Bild sollen verschwinden. Anzeigen, wie sie BMW zurzeit schaltet ("Adrnln"), könnten dann tabu sein. Zu viel Action, zu viel Spaß. "Solche Einschränkungen in der Werbeaussage würden die Agenturen zu besonders kreativen Ansätzen anregen", sagt Frank Zimmer, Chef vom Dienst bei der Fachzeitschrift "Werben & Verkaufen". Übersetzt: Etwaige Verbote lassen sich durch geschickt und schlau gemachte Werbung umgehen. An den Erfolg solcher Beschneidungen glaubt Zimmer darum nicht.
Wohlverhalten im Sinne Brüssels
Überhaupt, fragt Volker Nickel vom ZAW, "was bringt das alles?" Ein so aufwändiges Verbrauchsgut wie ein Auto werde nicht nur über Werbung verkauft. Da wären viel mehr Faktoren entscheidend, vom Gespräch im Showroom bis zum Small-Talk mit dem Nachbarn am Gartenzaun. Nickel sieht in den Forderungen des Europäischen Parlaments vor allem eins: Einen neuen Versuch, den Bürgern vorzuschreiben, wie sie leben sollen. "Verhaltet Euch so, wie wir das wollen und für richtig halten", das sei die versteckte, aber eindeutige Botschaft.
"Groß und deutlich"
Allem Protest aus der Werbewirtschaft zum Trotz gibt es Befürworter der geplanten Regelung. Rebecca Harms sitzt für die Grünen im Europäischen Parlament und kann die ganze Aufregung nicht verstehen: Ob es nun unbedingt 20 Prozent sein müssen, darüber ließe sich streiten, aber sie "legt Wert darauf, dass die Verbrauchsinformationen groß und deutlich sichtbar sind." Der Kraftstoffkonsum sei eben nicht nur eine Frage des Klimaschutzes. Er werde auch aus sozialer Sicht immer relevanter. Für immer mehr Menschen sei ein sparsames Auto die Voraussetzung zur Sicherung ihrer Mobilität und des Arbeitsplatzes. Darum sei eine Kennzeichnung des Spritverbrauchs, die wesentlich größer sei als das aktuelle Kleingedruckte, dringend notwendig: "Das als Angriff auf die Werbefreiheit zu bezeichnen, halte ich für absurd", so Harms.
Für grundsätzlich richtig hält auch Otmar Lell, Referent für Nachhaltigkeit und Verkehr beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, die Vergrößerung der Verbrauchszahlen und CO2-Emmissionen. "So groß und prominent wie beim Tabak muss das aber nicht sein." Er warnt davor zu "suggerieren, dass man mit Werbemaßnahmen das Problem in den Griff bekommt." Und für viele ist "das" Problem ohnehin der steigende Ölpreis.