Anzeige
Anzeige

Überflüssige Funktionen Der verzweifelte Kampf der Antiviren-Software auf Ihren Rechnern zu bleiben

Frau frustriert vom Computer
Braucht man Antivirus-Software noch? Neue Funktionen frustrieren.
© skynesher / Getty Images
Malware, Trojaner, Adware und anderer Software-Unrat: Das Internet ist voll davon. Trotzdem weichen immer mehr Antiviren-Programme von ihrer Kernaufgabe ab und schürfen beispielsweise Crypto-Währungen. Braucht es diese Programme überhaupt noch? Der stern fragte nach.

Die Branche für Antiviren-Software befindet sich im Umbruch. Bis Mitte 2022 gehören gleich drei Urgesteine der Szene zu einem großen Unternehmen, wirklich neue Anbieter gibt es nur selten. So hat es NortonLifeLock, ehemals Symantec, geschafft, die eigene Sicherheitssuite Norton 360, das deutsche Schwergewicht Avira und den britischen Hersteller Avast unter einem Dach zu vereinen.

Damit gehört dem Unternehmen ein beachtlicher Teil des Marktes, der in zwei von drei Fällen, sprich bei Avira und Norton, bereits heute in eine merkwürdige Richtung steuert.

Nebst Schutz vor Gefahren wird Anwendern zwangsweise Ballast wie Crypto-Mining-Software angehängt und als zukunftweisendes Feature verkauft. Dabei würden Kunden, die diese Funktionen nutzen, ihre Systeme zeitweise stärker auslasten, als es Viren könnten. Da stellt sich spätestens jetzt die Frage: Ist das Kunst oder kann das weg?

Krypto-Geld per Antivirus-Software

Andreas Marx, Geschäftsführer der AV-Test GmbH, erklärt dem stern: "Schon lange gibt es kaum noch "klassische" Antiviren-Software. Die meisten Programme enthalten zahlreiche weitere Sicherheitsfunktionen, etwa ein VPN, einen Browser-Schutz oder einen Passwort-Manager." Der Gedanke des digitalen Vollsortimenters setzt sich also quasi fort.

Viele Nutzer derartiger Software kennen den Begriff "Crypto-Währung", also bietet man auch hier eine einfache Lösung an. "Da setzen Norton und Avira an: Sie machen es dem Anwender unglaublich einfach, selbst mit zu schürfen und (kleines) Geld zu verdienen", setzt Marx fort, "allerdings ist es fraglich, ob sich das im deutschsprachigen Raum überhaupt lohnt, da die Stromkosten doch sehr hoch sind."

Chaos-Computer-Club-Mitglied Carl Fabian Lüpke stellt im Gespräch mit dem stern aber die entscheidende Frage: "Es gibt aus Sicherheitsperspektive keinen Grund, Kryptominer zu installieren. Warum sie das trotzdem machen? Aufmerksamkeit? Am Mining verdienen?"

Kunden zahlen drauf - egal wie

Wie Lüpke vermutet, so ist es auch. Laut eigener Erklärung des Herstellers streicht Norton satte 15 Prozent der erhaltenen Gelder als Provision ein. Gleiches gilt auch für das Mining-Programm von Avira. Wichtig ist, dass sowohl Norton als auch Avira diesen Teil der Software aktuell nur dann ausführen, wenn es explizit erwünscht ist.

Ein Selbstversuch von Bleepingcomputer aus Mitte 2021 zeigt aber, dass man sich und auch der Hardware damit keinen Gefallen tut. Läuft das Mining, schnappt sich die Software sämtliche System-Ressourcen, dreht die Lüfter hoch und lastet die Grafikkarte vollständig aus. In 36 Stunden kam aber kein Geld dabei raus, weil der Pool, also der Zusammenschluss aller "schürfenden" Personen, nichts "abgebaut" hatte, was man hätte teilen können.

Auch beim US-Magazin TheVerge lief es furchtbar. Eine Nacht dröhnende Lüfter und teuren Strom später, standen Einnahmen in Höhe von 66 US-Cent Ausgaben in gleicher Höhe gegenüber. Abzüglich der 15 Prozent der verdienten Kohle für Norton, handelt es sich in beiden Fällen also ein eindeutiges Minusgeschäft.

Vielleicht eine Rettungsmaßnahme?

Bedenkt man, dass Norton 360 im günstigsten Fall 14,99 Euro im Jahr und Avira sogar (noch) kostenfrei ist, muss Hersteller NortonLifeLock natürlich schauen, dass am Ende ein Geschäft draus wird. Das erklärt dann auch Funktionen, bei denen Kunden draufzahlen. Handelt es sich vielleicht um eine Art Suche nach rettenden Maßnahmen? Stehen Antiviren-Programme vor dem Aus? Wie wichtig sind die Kernfunktionen denn noch?

Andreas Marx hat dazu eine eindeutige Meinung: "Antiviren-Programme sind nach wie vor sehr wichtig, da allein wir als AV-TEST über 450.000 neue Schadprogramme am Tag entdecken, analysieren und klassifizieren. Unter MacOS und Android sollte man ebenso auf eine gute Schutzlösung setzen, da hier der Basisschutz durch das Betriebssystem noch gering ist." Es reiche nicht, sich vorsichtig durch das Internet zu bewegen, ergänzt Marx. Wie beim Autofahren auch, muss bei einem Unfall, also dem Virenbefall des Systems, nicht immer der Fahrer schuld sein.

Lüpke sieht das anders: "Meiner Meinung nach braucht es sicherere Software und bessere Bildung. Hersteller sollten (mehr) für die IT Sicherheit ihrer Produkte haften." Auch er sieht also die Gefahr unverschuldeter Systeminfektionen. Aber: "Statt einen teuren Virenscanner zu kaufen, sollte man lieber seine Software aktuell halten und Dinge wie die Verfügbarkeit von Sicherheitsupdates bei der Kaufentscheidung miteinbeziehen."

So geht es jedenfalls nicht mit Antivirus-Software weiter

Zieht man die Ergebnisse der Gespräche und die Beobachtungen der Funktionsweise neuer Ideen der Hersteller zusammen, ergibt sich ein trauriges Bild. Doch auch wenn Experten wie Lüpke im Zweifel Recht haben und Antivirus-Software oftmals eine Art Bandage für defekte Software ist, scheint der Bedarf oder die Notwendigkeit noch gegeben zu sein.

Bitcoin als Zahlungsmittel: In El Salvador sind viele noch skeptisch

Was dann aber zählt, ist Vertrauen in die Programme und eine Funktionsweise, die möglichst schonend mit der Hardware umgeht. Dabei sollte die Software aber weder viel kosten, noch unangenehm auffallen. Dass das geht, zeigt der kostenlose Windows Defender auch in Vergleichstests seit Jahren. Gewinnorientierte Lösungen haben es jedoch sehr schwer und entwickeln sich aktuell in eine Richtung, die das Vertrauen zerstören kann und die gesamte Branche beeinträchtigt.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel