Vor 14 Jahren revolutionierte Apple mit dem ersten iPod die digitale Musikbranche. Nun will der Konzern aus Cupertino erneut die Branche umkrempeln: Apple-Chef Tim Cook hat am Montagabend auf der Entwicklerkonferenz WWDC den neuen Musik-Streamingdienst Apple Music vorgestellt. Dort wird keine Musik mehr gekauft, sondern gegen eine Monatspauschale direkt aus dem Netz auf das jeweilige Gerät gestreamt.
Apple verkaufte das als große Revolution, aber natürlich bieten bereits Dutzende Firmen eine solche Technik seit Jahren an - selbst Amazon, Microsoft und Google haben eigene Streaming-Dienste. Doch auch vor dem iPod gab es schon MP3-Player, genützt hat es ihnen nichts.
Dennoch: Für Apple ist der Musikgenuss aus der Cloud ein Kulturbruch - und aufgrund der Marktmacht des iPhone-Herstellers ist es auch ein Frontalangriff auf Konkurrenten wie Spotify, Deezer, Pandora und Youtube. Doch was kann der neue Service?
Apple ist spät dran
Apple ist vergleichsweise spät in das Streaming-Geschäft eingestiegen. Das liegt vor allem an dem #link;iTunes-Geschäft;iTunes-Dienst#. Auf der Plattform bietet der Konzern seit 12 Jahren Musik zum kostenpflichtigen Download an. Damit machte Apple lange Zeit saftige Gewinne. Doch das Geschäft bröckelt, während Neueinsteiger wie Spotify beständig wachsen. Das brachte Apple in Zugzwang.
Mit Apple Music will der Konzern nun an die goldenen Jahre aus der iPod-Ära anknüpfen. Doch so viel frischen Wind wie seinerzeit iTunes wird der neue Dienst nicht in die Branche bringen - dafür bietet er zu wenig Neues. Das aber solide. Der Musik-Katalog umfasst zum Start schon 30 Millionen Songs, so viel hat auch Spotify. Andere Streaming-Anbieter bieten weniger. Die Musik kann offline gehört werden, auf Wunsch überträgt man die eigene Musikbibliothek in die Cloud. Das ist praktisch, kennt man aber alles schon von den Mitbewerbern.
Mit 10 Dollar pro Monat ist Apple Music nicht günstiger als die Konkurrenz, aber auch nicht teurer - anders als man es bei Apple gewohnt ist. Eine Ausnahme ist das Familien-Abo für bis zu sechs Personen: Das ist mit 14,99 Euro im Monat vergleichsweise ein echtes Schnäppchen. Ein kostenloses, werbefinanziertes Modell wie bei Spotify gibt es nicht.
Ein weiterer Wermutstropfen: Zum Start ist Apple Music nicht auf den populären Sonos-Lautsprechern verfügbar. Auch qualitativ setzt Apple keine Zeichen: Die Songs werden mit 256 Kbps gestreamt. Zum Vergleich: Spotify bietet im Premium-Tarif 320 kbps, das deutlich teurere Tidal bis zu 1411 kbps. Hier ist noch Luft nach oben. Doch Apple ist bekannt dafür, sich an durchschnittliche Nutzer zu richten - den Qualitätsunterschied dürften ohnehin nur die wenigsten hören. Zudem spart man durch die geringere Bitrate auch Bandbreite.
Das kann Apple Music
Wie bei den Mitbewerbern gibt es bei Apple Music eine Empfehlungsfunktion, die bei Apple "For You" heißt. Diese Musik-Empfehlungen sollen nicht nur von einem Computeralgorithmus generiert werden, sondern auch von einer Redaktion, erklärte Apple. Stimmungs-Playlists wie "Songs für einen guten Start in den Tag" oder "Musik für einen Abend mit Freunden" sucht man laut "The Verge" aber vergebens.
Ein Alleinstellungsmerkmal ist die Radio-Funktion, der Apple auf der Präsentation am Montagabend viel Platz einräumte: Der Konzern bietet mit Beats1 einen kuratierten Radiosender, der sein Programm 24 Stunden am Tag in mehr als 100 Länder überträgt. Verschiedene DJs und Radiomacher aus drei Städten - New York, Los Angeles und London - sollen rund um die Uhr ein Live-Programm liefern. Neben Musik wird es auch Live-Interviews mit Künstlern geben. Diesen Service können aber auch Nicht-Abonnenten nutzen. Deutsche Inhalte sind zum Start vermutlich nicht geplant, ob es einen deutschen Sender geben wird, steht noch in den Sternen.
Als zweites Highlight bewarb Apple noch die Funktion "Connect", dahinter verbergen sich spezielle Künstlerseiten, auf denen man neben Songtexten auch Fotos oder Notizen des Stars findet. Die erinnern optisch ein wenig an Tumblr-Posts. Bei Apple heißt es dazu: "Mit Connect kannst du alles, was ein Künstler gepostet hat, kommentieren, liken oder es über Nachrichten, Facebook, Twitter und E‑Mail teilen. Und die Künstler können direkt auf deine Kommentare antworten."
Nur: Warum sollte man auf Connect mit dem Künstler interagieren, wenn man das bereits via Twitter, Facebook oder Instagram kann? Womöglich lockt Apple die Künstler mit seinen riesigen Geldreserven und bringt sie dazu, Backstage-Fotos und Notizen exklusiv auf Apple Music zu posten. Das wäre ein echter Mehrwert für Fans und Musiker. Ansonsten könnte Connect das Schicksal von Ping drohen, jenem gefloppten Musiknetzwerk, bei dem Apple nach zwei Jahren wieder den Stecker ziehen musste.
Entscheidend ist die Musikauswahl
Praktisch ist die tiefgreifende Siri-Integation: So kann man den iPhone-Assistenten etwa nach den besten Songs des Jahres 1996 fragen, zudem reagiert er auch auf Befehle wie "Spiele den besten Song von Ed Sheeran ab" oder "Was war der Nummer 1-Hit im April 2010?". So eine Integration eines Sprachassistenten bieten andere Apps nicht. Ein weiterer Pluspunkt sind Zigtausende, werbefreie Musikvideos, die Apple bietet.
Entscheidend für Apple Music wird es sein, ob Apple auch Alben von angesagten Bands bieten kann, die sich bei der Konkurrenz bislang weigerten - das wären etwa Stars wie Taylor Swift, die Beatles, Herbert Grönemeyer oder die Toten Hosen. In diesem Bereich könnte Apple durch seine guten Kontakte in die Musikszene punkten. Zudem werfen viele Künstler Spotify und Co. vor, diese abzuzocken. Sollte es Apple gelingen, das Vertrauen der Künstler und Labels zu gewinnen - oder diese gar finanziell zu unterstützen -, könnte den Mitbewerbern mit exklusiven Kooperationen schnell der Saft abgedreht werden.
Angeblich peilt Apple die Rekordmarke von 100 Millionen zahlenden Nutzern an, berichtete die "New York Times". Zum Vergleich: Spotify hat 60 Millionen User, davon zahlen gerade einmal 15 Millionen monatlich. Für schwarze Zahlen reicht das bislang nicht, im vergangenen Jahr machte der Marktführer 197 Millionen Euro Verlust. Apple hingegen muss mit seinem Angebot gar kein Geld verdienen - eine bequeme Ausgangslage für den Herausforderer. Wie wichtig der neue Dienst für Apple ist, zeigt sich auch daran, dass es ab Herbst eine eigene Android-App gibt - ein Novum für das Unternehmen. Damit zeigt sich, dass das Konkurrenz-System zu groß geworden ist, um es zu ignorieren.
Apple zielt auf neue Nutzer
Doch obwohl Apple spät dran ist: Apple Music wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Erfolg. Dafür muss Apple auch gar nicht den Streaming-Dienst neu erfinden. Statt der Konkurrenz die Nutzer abzujagen, konzentriert sich Apple darauf, neue User zu gewinnen. Nicht Spotify- oder Deezer-Nutzer sind das Ziel, sondern jene Musikhörer, die bislang noch gar keine Songs aus der Cloud streamen.
Mit 800 Millionen iTunes-Konten hat Apple bereits eine gigantische Nutzerzahl, die es gewohnt ist, für Inhalte Geld auszugeben. Mit der nahtlosen Integration in das eigene System könnte Apple schnell neue Nutzer gewinnen. Allein im vergangenen Quartal verkaufte der Konzern 61 Millionen iPhones.
Damit auch jeder Nutzer den neuen Dienst ausprobiert, bietet Apple eine dreimonatige, kostenlose Testphase an. Apple Music wird ab 30. Juni in mehr als 100 Ländern verfügbar sein. Und einige iOS-Nutzer werden es sich dann doppelt überlegen, ob sie einen Dienst wie Spotify abonnieren - Underdog-Charme hin oder her.