Sie jagen im Rudel: Nach den Plagiatsvorwürfen gegen Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg hat sich im Internet eine Ansammlung menschlicher Spürhunde versammelt, die die Dissertation des CSU-Politikers auf abgekupferte Passagen durchsucht. Ihre Ergebnisse präsentieren die Plagiatsjäger auf der Website "GuttenPlag Wiki", wo die Funde gesammelt und über ihre Stichhaltigkeit diskutiert werden. Zu diskutieren gibt es einiges, denn ständig kommen neue Passagen hinzu, die der Verteidigungsminister ohne korrekte Quellenangabe verwendet haben soll. Bislang sind mehr als 120 problematische Textstellen zusammengetragen worden.
GuttenPlag ist als Wiki konzipiert. Wie bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia kann sich jeder Interessierte beteiligen, eigene Beiträge verfassen und Artikel von anderen bearbeiten. Jeder Bearbeitungsschritt wird protokolliert und ist für jeden einsehbar. Ursprünglich hatte das Projekt mit einem Dokument in Google Docs begonnen. Die Zahl der Helfer stieg schnell. Bald musste GuttenPlag auf die leistungsfähigere Wiki-Plattform Wikia verlegt werden, weil Google Docs mehr als 100 gleichzeitige Bearbeiter eines Dokuments nicht verarbeiten kann. Auch nach dem Umzug zu Wikia war das Angebot am Donnerstag eine Zeit lang nicht erreichbar, weil der Leseransturm zu groß war. Innerhalb der ersten 24 Stunden hat GuttenPlag Wiki nach Angaben eines anonymen Sprecher des Projekts rund eine Million Seitenabrufe registriert. Die Wiki-Macher geben ihre Namen nicht preis. Auf der Startseite schreiben sie, dass es ihnen nicht um eine persönliche Schmutzkampagne gehe, sondern nur darum, "die wissenschaftliche Integrität eines Doktortitels in Deutschland zu sichern".
Nicht schön, aber praktisch
Jedes Fundstück wird auf einer eigenen Seite gezeigt: Die Passage aus zu Guttenbergs Dissertation steht neben dem entsprechenden Ausschnitt des angeblichen Originaltexts. So ist es möglich, die Texte schnell und einfach zu vergleichen. Außerdem geben die Plagiatsjäger die Quelle an, mit Autorennamen, bibliografischen Angaben des Werks und - wenn möglich - einer direkten Verlinkung auf das Originaldokument. Bisher wurden auf 111 der 475 Seiten umfassenden Arbeit Guttenbergs eine oder mehrere Textstellen als Plagiate markiert. Ebenfalls dokumentiert sind Textstellen, über die noch gestritten wird.
Nicht alle verzeichneten Fundstellen sind von den GuttenPlag-Helfern identifiziert worden. Plagiate, die von verschiedenen Medien sowie dem Bremer Politikwissenschaftler Andreas Fischer-Lescano gefunden wurden, sind ebenfalls in das Wiki eingeflossen. Fischer-Lescano hatte in einer Rezension der Doktorarbeit als Erster Plagiatsvorwürfe erhoben und die Copy-&-Paste-Affäre ins Rollen gebracht.
Erfolg dank Schwarmintelligenz
Das GuttenPlag-Wiki ist ein Beispiel für eine kollaborative Zusammenarbeit, die ohne das Internet in dieser Form nicht möglich wäre. Crowdsourcing (oder auf Deutsch: Schwarmauslagerung) wird dieses Auslagern von Aufgaben auf die Intelligenz und Arbeitskraft freiwilliger Helfer im Internet genannt. Das Phänomen ist neu, der Begriff dafür wurde erst 2006 geprägt. Das Tempo, mit dem Guttenbergs Arbeit derzeit untersucht wird, wäre von einem Einzelnen oder einem Gutachterteam nie zu leisten. "Das ist das erste Mal in Deutschland, dass die Schwarmintelligenz des Internet einen Fall dieser Größenordnung aufspürt", sagt Stefan Weber. Er ist Medienwissenschaftler und hat sich einen Namen als Plagiatsforscher und -jäger gemacht. Nach eigenen Angaben hat Weber bisher mehr als 300 wissenschaftliche Texte auf Plagiate untersucht. In mehr als 70 Fällen sei er fündig geworden. Weber war von einer Presseagentur als Urheber von GuttenPlag beschrieben worden. "Das ist nicht korrekt, ich habe nichts damit zu tun", so Weber gegenüber stern.de.
Wer steckt dahinter?
Die tatsächlichen Urheber von GuttenPlag Wiki bleiben anonym, ebenso wie die Helfer. Sie benutzen Pseudonyme oder den Standardnamen "Ein Wiki-Nutzer". "Als Wissenschaftler und Studenten müssen wir selbst ordentlich arbeiten", sagt ein Sprecher des Projekts gegenüber der Nachrichtenagentur DPA. Er arbeitet angeblich als Doktorand an einer deutschen Hochschule und möchte namentlich nicht genannt werden. "Es steckte von Anfang an nicht der Wunsch dahinter, dem Herrn zu Guttenberg persönlich zu schaden", erklärt der GuttenPlag-Macher seine Beweggründe. "Wir wollen einfach sagen: So geht es nicht!" Das "GuttenPlag Wiki" ist kein Projekt einer Einzelperson, sondern das Werk einer Community. Auch deswegen sei ihm wichtig, so der Sprecher, sich nicht in den Vordergrund zu stellen. Außerdem wolle er anonym bleiben, weil er weiter in der Wissenschaft tätig sein wolle und bei einer namentlichen Nennung persönliche Nachteile befürchten müsse.
Wie geht es nun weiter?
In zwei Richtungen soll das Projekt weiterentwickelt werden: zum einen geht es um die Möglichkeit einer automatisierten Textprüfung, zum anderen soll eine sorgfältige Aufbereitung mit wissenschaftlichen Methoden erfolgen. Der Anonymus sagt: "Es ist momentan sehr viel im Fluss. Wir haben noch ein paar interessante Sachen vor."