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5G als Corona-Ursache? Die "Chemtrails" sind weg, nun haben Verschwörungsfans einen neuen Feind

5G-Masten wie diese im chinesischen Shenzhen sollen nach dem Glauben von Verschwörungstheoretikern auch den Corona-Ausbruch ausgelöst haben
5G-Masten wie diese im chinesischen Shenzhen sollen nach dem Glauben von Verschwörungstheoretikern den Corona-Ausbruch ausgelöst haben
© Malte Mansholt / stern.de
Die vermeintlich gedankensteuernden "Chemtrails" sind eine feste Größe der Verschwörungsgemeinde. Doch längst hat sich mit der 5G-Technologie ein neuer Liebling gemausert. Und bildet in Zusammenhang mit Corona eine gefährliche Mischung.

Der Himmel strahlt blau, keine Wolke ist am Himmel - und auch kein Flugzeug-Kondensstreifen. Da die Jets wegen der Coronakrise am Boden bleiben, sind die von ihren Düsen ausgelösten weißen Striche am Himmel aktuell ein seltener Anblick. Den Verschwörungstheoretikern, die hinter ihnen als "Chemtrails" seit Jahrzehnten sinistre Gedankenkontrolle vermuten, ficht das trotzdem nicht an. Sie haben ohnehin längst einen neuen Lieblingsfeind entdeckt: den kommenden Mobilfunkstandard 5G. Doch das Geschwurbel hat auch gefährliche Folgen in der echten Welt.

Die jüngste Variante: Der in den letzten Jahren langsam eingeführte 5G-Standard soll mit der Verbreitung des Coronavirus zusammenhängen und je nach Theorie die Krankheit gleich auslösen oder zumindest ihre Verbreitung begünstigen. Die einfache Basis der Theorie: Das Coronavirus breitete sich zuerst in der chinesischen Stadt Wuhan aus - und China testet dort, neben anderen Städten, tatsächlich einen 5G-Ausbau. So weit, so unzusammenhängend.

5G als Buhmann für die Pandemie

In den Theorien, die sich über soziale Netzwerke und Youtube verbreiten, werden die beiden eigentlich unabhängigen Tatsachen dann wild miteinander verknüpft. Die Strahlung der Masten würde die Körperchemie verändern und die Menschen so anfälliger für die Viren machen, raten die einen. Der Virus wäre nur erfunden, um während der Quarantäne heimlich ein 5G-Netz aufzubauen und die dadurch verursachten Todesopfer vertuschen zu können, schwurbeln die anderen. Deshalb brauche man auch die ganzen Krankenhäuser, so die Argumentation. Warum sich die Krankheit dann auch dort ausbreitet, wo es keine 5G-Netze gibt - also im allergrößten Teil der Welt -, erklärt keiner von beiden Ansätze.

Wissenschaftlich lassen sich ohnehin beide nicht halten. "Das ist völliger Quatsch", ist sich Simon Clarke, ein Zellbiologe der Universität von Reading gegenüber der "BBC" sicher. "Die Vorstellung, dass 5G unser Immunsystem schwächt, lässt sich nicht halten", erklärt er. Zwar könnte Strahlung grundsätzlich den Körper aufheizen und dadurch auch auf das Immunsystem einwirken. "Aber das Energieniveau von 5G-Strahlen ist niedrig und nicht annähernd stark genug, um unser Immunsystem zu beeinflussen." 

Auch eine Übertragung des Virus über 5G sei nicht möglich, erklärte Adam Finn von der Universität Bristol der "BBC". "Die aktuelle Epidemie wird durch ein Virus ausgelöst, das von einem Menschen zum anderen übertragen wird. Wir wissen, dass das stimmt", stellt er klar. Ohnehin sei der Zusammenhang zwischen Strahlung und Krankheit hanebüchen: "Viren und elektromagnetische Strahlung sind zwei völlig verschiedene Dinge. Das ist ein Unterschied wie zwischen Käse und Kreide."

Immer wieder 5G

5G ist schon seit einigen Jahren ein Steckenpferd der Verschwörungstheoretiker. Immer wieder wird die Technologie als Instrument zur Steuerung der Gesellschaft oder gar zum Massenmord abgelehnt. Ähnlich wie bei Impfgegnern organisieren sich auch die 5G-Skeptiker über soziale Netzwerke und sähen dort mit vermeintlichen Belegen für die Gefahren der Technologie Zweifel. Viele der Geschichten sind längst widerlegt. So heißt es immer wieder, dass 5G-Testläufe zu einem Massensterben von Vögeln in Den Haag geführt habe. Zwar waren dort tatsächlich Hunderte Stare gestorben, aber nicht auf einmal, sondern im Laufe mehrerer Tage. Als Ursache machten Wissenschaftler giftige Beeren aus. 5G-Tests habe es in der Gegend keine gegeben, erklärten die Behörden.

Donald Trump fordert auf Twitter 5G-Technologie für die USA

Verbreitet werden die Theorien nicht nur über zahlreiche einschlägige Verschwörungsforen und Youtube-Kanäle, sondern auch von einigen Prominenten. Erst letzte Woche teilte Schauspieler Woody Harrelson eine vermeintlich wissenschaftliche Studie, die 5G und Corona in Wuhan verrührte. Er habe sie zwar nicht genau geprüft, "aber ich finde sie sehr interessant", erklärte der Schauspieler seinen zwei Millionen Followern. 

Brennende Funkmasten und belästigte Arbeiter

Die Verbreitung des Verschwörungsmurkses hat Folgen. In Großbritannien meldeten gleich mehrere Mobilfunk-Betreiber, dass in den letzten Wochen Funkmasten angezündet wurden. Die Attacken wurden zum Teil gefilmt und in sozialen Medien geteilt. Zudem sind Videoclips aufgetaucht, in denen Arbeiter beim Verlegen von 5G-Infrastruktur belästigt werden. "Stört es euch nicht, das sie damit alle töten werden", fragt eine Frau die verdatterten Arbeiter immer wieder.

Bei den Mobilfunk-Anbietern und der Politik löst das Phänomen entsprechend Ärger aus. Verschiedene Politiker bezeichneten die Theorie auf Anfrage des "Guardian" als "bizarr" oder "gefährlichen Unsinn". Es handle sich "kompletten Unfug, um die schlimmste Art von Fake News", erklärte der Direktor der britische Gesundheitsbehörde NHS. "Die Wahrheit ist: Die Telefoninfrastruktur ist absolut lebensnotwendig für uns", erklärte er. "Es widert mich an, dass Menschen genau die Infrastruktur attackieren, die wir zur Reaktion auf diese Gesundheitsnotlage benötigen."

Wohl auch auf Druck der Medien hat nun Youtube angekündigt, die Verschwörungsvideos, die 5G und Corona zusammenbringen, zu blockieren. Tatsächlich seien einige Videos bereits verschwunden, berichtet der "Guardian". Grundsätzlich hat Youtube aber kein Problem mit den Verschwörungsclips: Diejenigen, die 5G-Theorien behandeln, ohne Corona zu erwähnen, dürfen auf der Seite bleiben.

Quelle:Guardian, BBC, Business Insider, Twitter, Instagram

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