Verwarnung durch EU Twitter wird von Falschmeldungen zum Israel-Krieg überrannt – und Musk postet weiter Verschwörungstheorien

Elon Musk nutzt seine Plattform X, um seine Meinung ohne jeglichen Filter zu verbreiten und hat dabei ein Millionenpublikum.
Glaubt man Elon Musk, hat Twitter/X kein Problem mit Desinformationen
© Joel Saget / AFP
Die schnelle Berichterstattung vor Ort gehörte zu den größten Stärken von Twitter. Doch in Bezug auf den Israelkrieg hat der Dienst aktuell ein echtes Problem. Und Chef Elon Musk verschärft es eher noch.

Der Krieg in Israel beherrscht die Nachrichten – auch beim Kurznachrichtendienst X/Twitter. Doch während die Live-Einsichten lange eine der Stärken des Kurznachrichtendienstes waren, bringen die letzten Tagen vor allem Schwächen beim Umgang mit Falschmeldungen zutage. Besitzer Elon Musk will das aber lieber nicht hören – und geht auf ganz eigene Weise darauf ein.

Dabei haben sich die Fälle in den letzten Tagen so sehr gehäuft, dass nun sogar Ärger mit der EU droht. Kommissar Thierry Breton hatte Musk öffentlich mit einem offenen Brief bei Twitter selbst gemahnt: Die Plattform sei verantwortlich dafür, Desinformation und nach EU-Recht illegale Inhalte zu entfernen, heißt es dort. Beispiele lassen sich schnell finden. So hatte eine Meldung, die israelische Armee habe eine der ältesten Kirchen der Welt zerstört tagelang ungebremst die Runde gemacht.  "Ich erwarte von Ihnen eine schnelle und vollständige Reaktion in den nächsten 24 Stunden", versuchte Breton es mit Druck.

Schnelle Reaktion

Musks Reaktion kam schneller als die Frist – und fiel erwartbar aus. Sein Unternehmen sei transparent, so Musk. Und gab sich unwissend: "Bitte listen Sie alle Verstöße, die Sie X vorwerfen, damit diese der Öffentlichkeit bekannt sind." Bretons Anmerkung, dass man die Verstöße natürlich alle an X gemeldet habe, wollte er nicht gelten lassen. "Wir machen keine Hintergrund-Deals. Bitte posten Sie alle Vorstöße auf dieser Plattform", forderte er. Danach gab er sich gegenüber anderen Nutzern weiter ahnungslos, um welche Vorwürfe es ginge.

Tatsächlich dürfte das für ihn nicht besonders schwer herauszubekommen sein. Sein eigenes Sicherheitsteam hatte am Dienstag selbst in einem ausführlichen Post dokumentiert, wie man in mehrerer Hinsicht gegen die Flut an Falschmeldungen vorgeht und etwa Tausende neu erstellte Hamas-Accounts löschte und Videos extremer Gewalttaten entfernte.

Selbst-verschärftes Problem

Mit dem Kampf ist Twitter grundsätzlich erst einmal nicht alleine. "Die sozialen Netzwerke hadern damit, die konstante Flut an Desinformationen und Gewaltanstachelungen in den Griff zu kriegen"; klagte Wissenschaftler Andy Carvin gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.

Dass der sich laut Carvin "bereits seit längerem aufbauende Trend" nun aber noch weiter verschärft und Twitter besonders darunter leidet, hängt auch direkt mit Entscheidungen Elon Musks zusammen. In dem er die Verifikation von Accounts mit einem Abomodell ersetzte, das zudem mehr Sichtbarkeit verspricht, wurde es besonders einfach, Falschmeldungen auch außerhalb des eigenen Netzwerkes zu verbreiten. Weil die Abonnenten auch noch an den Werbeeinnahmen beteiligt werden, wenn sie viele Menschen erreichen, gibt es sogar noch einen finanziellen Anreiz, auch ungeprüfte Meldungen schnell zu verbreiten. Sogar Ausschnitte aus Videospielen wie "Arma 2" wurden plötzlich dadurch als authentisches Kriegsaufnahmen verbreitet.

Hinzu kommt: Das oben erwähnte Sicherheitsteam wurde im Rahmen der Massenentlassungen zu einem Bruchteil der Größe zusammengestrichen, die es vor der Übernahme durch Musk hatte. "Das schränkt drastisch ihre Fähigkeit ein, mit dem Chaos mitzuhalten", glaubt Carvis.

Musk munkelt lieber

Dass der Chef eine andere Sicht auf die Lage hat, lässt sich schon an seinem Feed sehen. Immer wieder teilt oder kommentiert er extreme Meinungen, teilt gegen die Mainstreammedien aus oder setzt gleich auf Verschwörungstheorien. In den letzten Tagen sah er Terroranschläge in den USA in Reaktion auf ein Gespräch von Trump-Berater Steve Bannon als "Nur eine Frage der Zeit", bezeichnete Schweden indirekt als No-Go-Area und teilte ein Meme, das behauptete, über Israel sei mehr berichtet worden als den Krieg in der Ukraine. Ganz nebenbei unterstützte er Theorien, dass die Medien vom CIA gesteuert würden und dass die politische Linke der USA Asiaten hasse.

Für Musk geht es vor allem um eines: Er will bei Twitter einen Raum für absolute Redefreiheit schaffen, betonte er immer wieder. Als Lösung für Falschmeldungen verweist er immer wieder auf die sogenannten Community Notes, als Anmerkungen, die von den Nutzern direkt an Posts angefügt werden können.

Die Community soll's richten

Genau das scheint aber oft nicht zu funktionieren. Nachdem ein Mitarbeiter "NBC" Zugang zu dem System gegeben hatte, konnte der Nachrichtensender herausarbeiten, dass selbst Falschmeldungen mit Hunderttausenden Abrufen keine korrigierenden Notes bekamen. Von 120 Tweets, die Falschmeldungen zu einem vermeintlichen Pressestatement des Weißen Hauses oder der als Falschmeldung bestätigten Kirchen-Zerstörung verbreiteten, hatten nur acht Prozent überhaupt eine Korrektur bekommen.

Musk hatte zu dem Vorwurf nur eines beizutragen: Einen Post eines Nutzers, der die Funktion verteidigte und behauptete, alle anderen Sozialen Medien würden eben gleich zensieren, kommentierte er mit "Genau so ist es."

Irgendwie scheint es ihn dann aber doch zu wurmen. "Wie immer gilt: Bitte bleibt so nah an der Wahrheit, wie es geht"; schrieb er am Sonntag. "Auch bei Themen, die euch nicht gefallen."

Quellen: Elon Musk, Twitter, Wired, Rolling Stone, The Guardian, NBC

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