In der Region nördlich von Charkow (Ukraine) und südlich von Belgorod und Kursk (Russland) ruhen die Kämpfe meistens. Seit einigen Tagen versucht Kiew dort die Initiative zu erlangen und den Krieg auf russisches Gebiet zu tragen. Formal soll es sich um Soldaten der Freedom of Russia Legion handeln, russische Exil-Kämpfer, die von Kiew gelenkt werden. Schon vor einem Jahr kam es im gleichen Raum zu einer vergleichbaren Operation im kleineren Maßstab.
Keine Großoffensive
Die ukrainische Armee kann allerdings nicht zu einer großen Offensive wie im Sommer 2023 antreten. Diese Operation zielt mehr auf den Informationsraum als auf mögliche Geländegewinne. Im Jahr zuvor kam es zu einem Handstreich, bei dem die schwach gesicherte Grenze überwunden wurde und die Russen-Ukrainer sich in einem Dorf festsetzen konnten. Nachdem die Russen sich von ihrer Überraschung erholt hatten, setzten sie Artillerie und Luftwaffe ein. Innerhalb kurzer Zeit war die Gruppe aufgerieben beziehungsweise auf ukrainisches Gebiet zurückgetrieben. Militärisch ein Desaster, an der PR-Front aber durchaus ein Erfolg. In den westlichen Medien wurde die schwere Niederlage in Bachmut sofort von der frohen Botschaft der russischen Freiheitskämpfer abgelöst.
Belgorod im Zentrum
Und auch in diesem Jahr dürfte die Operation im Wesentlichen auf den Informationsraum abzielen. Nach einer Kette von Niederlagen will Kiew einen Erfolg vorweisen und Putin vor der Präsidentschaftswahl blamieren. Im Vergleich zum Vorjahr, bei dem nur ein Kommando in Stärke eine Kompanie eingesetzt wurde, hat man die Operation sehr viel großzügiger angelegt. Über eine breite Front sollten mehrere Angriffsspitzen antreten, dieses Mal mit gepanzerten Fahrzeugen ausgerüstet und unter dem Schutz von Artillerie und Drohnen. Und auch das Ziel war weit anspruchsvoller. Es sollte nicht nur ein verlassenes Grenzdorf besetzt werden, nein, die Stadt Belgorod sollte befreit oder zumindest bedroht werden. Belgorod ist fast so groß wie Mariupol mit etwa fünf Mal so vielen Einwohnern wie Bachmut. Wäre sie umkämpft, wäre das eine schwere Demütigung für Putin.
Nicht über die Grenze hinweg gekommen
Bislang verläuft die Offensive katastrophal. Kiew kann keinen Erfolg verzeichnen, weder in der PR noch auf dem Boden. Das Desaster begann schon vor der eigentlichen Offensive. Das ukrainische Oberkommando unterschätzte den Gegner sträflich. Tatsächlich ist die nördliche Grenze keineswegs so entblößt wie im vergangenen Jahr. Dort ruhen sich russische Truppen in der Rotation aus, dazu sind Einheiten zweiter Güter oder Truppen mit Einberufenen stationiert. Dann hat das russische Militär aus dem letzten Handstreich gelernt und sich entsprechend mit Minensperren vorbereitet. Vor allem aber scheint es auf russischer Seite keinen Mangel an schwerem Gerät und Munition zu geben. Auch wenn in dem Gebiet kaum Kämpfe stattfinden, sind die russischen Linien wohlgerüstet.
Bislang wurden die ukrainischen Angriffe schon im Ansatz erstickt. Ein Einsatz der Legion, darunter auch itschkerische Kämpfer, war für niemanden eine Überraschung. In den Wochen zuvor tauchten die Kämpfer verstärkt in den Medien auf. Die herangeführten Truppen und das schwere Gerät blieben den Russen daher nicht verborgen und sie bekämpften die Anti-Putin-Kämpfer schon in der Bereitstellung.
Enorme Feuerkraft der Russen
Tatsächlich konnten sie die Grenze an einigen Stellen überschreiten, sich aber nirgends festsetzen, stets wurden sie unter Verlusten zurückgeworfen. Der Ort Tjotkino wird von drei Seiten von der Ukraine umfasst, aus Ryzhivka auf der ukrainischen Seite wurde mehrmals versucht, in die Siedlung einzudringen. Die Kämpfe zwischen Popivka und Mokraya Orlovka zielen auf die westliche Flanke von Belgorod. Hier konnten die Ukrainer bislang nicht einmal die Mini-Ansiedlung Spodariushino hinter sich lassen.
Ähnlich sieht es gegenüber der russischen Siedlung Kozinka aus, hier werden die Ukrainer auf ihrer Seite in Welyka Pyssariwka beschossen. Auch am Grenzübergang von Nekhoteevka wurden die Ukrainer gestoppt. Wirkliche Gefechte sind die Ausnahme, die Truppen werden durch Fernwaffen gestoppt. Die Menge an Artillerie, Mörsern, Gleitbomben und Raketen, die die Russen gegen die vergleichsweise kleinen Einheiten der Legion einsetzen, ist beachtlich. Ein guter Teil des schweren Materials geht bereits auf der ukrainischen Seite verloren. Ohne wirkliche Erfolge sollte ein Video Gefechte in Orten auf der russischen Seite zeigen, tatsächlich wurde es in der Ukraine gedreht.
Kein Durchbruch möglich
Mit Drohnen und Artillerie wird das russische Hinterland beschossen, von dort gibt es Videos von Bränden und fliehenden Zivilisten. Vermutlich werden die Kämpfe bis zum Ende Präsidentschaftswahl am 17. März in Russland fortgesetzt und der Rest der Legion aufgeopfert. Vielleicht ändern die Kämpfer auch die Taktik. Anstelle eines Angriffs mit gepanzerten Fahrzeugen könnten Sturmeinheiten unbemerkt einsickern und dann versuchen, sich doch noch in einem Ort für einen Videoclip festzusetzen.
Doch an ein Durchkommen der ausgerüsteten Truppen ist angesichts der russischen Feuerkraft nicht zu denken. Die bisherigen Verluste werden die Kampfkraft bereits deutlich geschwächt haben. In dem Frontbogen um Belgorod verliert Kiew ungleich mehr Männer und Gerät als Moskau. Kampfpanzer, Schützenpanzer und kostbares Pioniergerät wurde für einen misslungenen PR-Stunt zerstört. Dieses Material, das die Russen so einfach vernichten konnten, wird der Ukraine bei dem Versuch fehlen, die russischen Kräfte in einer elastischen Verteidigung aufzuhalten.
Luft verschafft sich Kiew derzeit allein mit der erfolgreichen Drohnenoffensive gegen die russischen Ölraffinerien. Hier hat Moskau übersehen, dass auch die Ukraine einfache Billigdrohnen bauen kann und dabei sogar einen Vorteil genießt. Es ist sehr viel schwerer, das ungleich größere Russland vor Drohnenangriffen zu schützen als die Ukraine.