Krieg in der Ukraine  Marschflugkörper Taurus: Darum will Kiew unbedingt den deutschen Bunkerknacker

Eurofighter mit Taurus Marschflugkörper
Die Lieferung der Taurus Marschflugkörper würde die bisherige Reichweitenbeschränkung aufheben.
© Taurs GmbH / PR
Putins Truppen stürmen gegen die ukrainische Front. Die erschöpften Soldaten brauchen dringend Entlastung. Der Marschflugkörper Taurus kann Nachschub und Kommandostrukturen treffen, damit der russische Angriff erlahmt.

Die Ukraine hat bereits luftgestützte Marschflugkörper aus Großbritannien und Frankreich erhalten, doch Deutschland zögert seit Monaten wieder. Die deutsch-schwedische Missile Taurus KEPD 350 ist ein Gegenstück zur britischen Storm Shadow und der weitgehend baugleichen französischen SCALP.

Es handelt sich aber nur um eine Gleichheit der Gattung und nicht der individuellen Spezifikationen. Die Taurus ist ungleich leistungsfähiger als die Storm Shadow. Im Blickpunkt steht vor allem die Reichweite, sie schätzt man über 500 Kilometer, das sind mindestens 200 Kilometer mehr als bei der Storm Shadow. Mit ihr kann man daher entweder Ziele tiefer in Russland treffen oder aber die Jets, die die Raketen starten, müssen nicht so nah an die russische Luftverteidigung heran.

Nur Fernwaffen können jetzt helfen

Je schlechter die Lage am Boden ist, desto dringlicher werden die Rufe nach Fernwaffen wie der Taurus. Es ist zu befürchten, dass die Ukrainer dem russischen Druck nicht mehr lange standhalten können. Gelingt es jetzt, den russischen Nachschub abzuschneiden und die Kommandostrukturen zu treffen, würde der russische Angriffschwung erlahmen. Das würde keinen Sieg bedeuten, aber die Ukrainer hätten zumindest die Chance, ihre Front zu stabilisieren.

Tandem-Kopf

Die Taurus ist eine modulare Waffe, die mit unterschiedlichen Gefechtsköpfen unterschiedliche Ziele angreifen kann. Dazu kann sie je nach Ziel unterschiedliche Angriffkurven fliegen. Im Fokus ist der Tandem-Gefechtskopf Mephisto (Multi-Effect Penetrator High Sophisticated and Target Optimized). Er besteht aus zwei Ladungen. Die erste ist eine Hohlladung. Ihr Hitzestachel durchschlägt eine erste Panzerung und ermöglicht dem zweiten, dem Penetrator das Eindringen in das Ziel. So kann man ein Betondach durchschlagen und den Penetrator erst im Keller oder Erdgeschoss detonierten lassen. Von Mephisto verspricht man sich, dass er die Krim-Brücke nicht nur beschädigen, sondern zerstören kann.

Dazu kommt die Elektronik, sie ist weit leistungsfähiger als bei der Storm Shadow. Die Taurus kann daher besser der Luftabwehr entgehen und schlechter gestört werden. Bei Angriffen auf der Krim durch die Storm Shadow mussten regelmäßig zuvor russische Installationen der Luftabwehr ausgeschaltet werden, damit der britische Marschflugkörper bei den folgenden Angriffen durchkommen konnte. Die Leistungsfähigkeit der Elektronik der Taurus basiert allerdings auf Annahmen, praktische Erfahrungen gibt es noch nicht.

Luft-Bodenwaffe 

Storm Shadow und Taurus werden nicht vom Boden aus gestartet, sie werden von Flugzeugen in die Luft gebracht. Im Falle der Ukraine von umgerüsteten SU-24, die zur 7. Brigade gehören. Ein Jet kann jeweils zwei Missiles transportieren. Die höhere Reichweite der Taurus hätte zwei Vorzüge für die Ukraine. Die Jets könnten die Missile entsprechend weiter weg vom Ziel ausklinken. Sie können daher mehr Distanz zur Front und zur russischen Luftabwehr einhalten. Andererseits könnten sie aber auch Ziele tief im russischen Hinterland angreifen. Ein Szenario, das die westlichen Unterstützer bislang abschreckt. Aus diesem Grund ist die Reichweite aller gelieferten Waffen begrenzt. Der benötigte Jet ist aber auch die Achillesferse derartiger Systeme. Er kann in An- und Abflug und auf seinem Flughafen angegriffen werden. Daher sind die US-Raketen des Typs ATACM die geeignetere Waffe.

Marschflugkörper Taurus: Ständiger Nachschub ist nötig 

Grundsätzlich benötigt die Ukraine bei Fortgang des Krieges regelmäßig weitere Missiles, um Angriffe auf Brücken und russische Logistik fortsetzen zu können. Neben all den Vorzügen gibt es daher auch ein sehr schlichtes Argument. Die Ukraine braucht einen regelmäßigen Zustrom an Marschflugkörpern, um den Krieg weiterführen zu können. Vorstellungen, man würde einmalig 50 oder gar 100 solcher Systeme liefern, und so Russland in die Knie zwingen, sind unrealistisch. Frankreich und Großbritannien haben geliefert und werden ihre Arsenale nicht komplett an die Ukraine abgeben. Auch aus diesem Grund richtet sich der Blick auf die Taurus. Die BRD hat einst 600 Stück bestellt, 150 sollen einsatzfähig sein, doch weitere könnten aufgearbeitet werden. Neben Deutschland verfügt nur noch Südkorea über nennenswerte Mengen (290).

Nutzlos ohne Aufklärung

Die Russen werden versuchen, die Missiles abzufangen. Bei einem Angriff auf die Brücken, die Cherson mit der Krim verbinden, sollen zwölf Storm Shadows eingesetzt worden sein. Die meisten erreichten das Ziel nicht. Um zu einem Erfolg zu kommen, muss Kiew viele Raketen einsetzen und entsprechend leeren sich die Vorräte. Weil Missiles und Jets angepasst werden müssen, macht nur die Lieferung einer namhaften Anzahl Sinn. Wie auch bei anderen Waffensystemen entspricht die Neuproduktion nicht dem Bedarf des Ukrainekrieges. Auch der Westen bestreitet den Krieg derzeit aus dem Magazin. 

Ein weiteres Problem wird wenig diskutiert: Ohne die Hilfe der USA nützt die Taurus wenig. Der Einsatz von Jet und Missile ist nur durch die Aufklärungsarbeit der US-Streitkräfte möglich. Sie müssen den Luftraum überwachen und die jeweiligen Ziele aufklären und erfassen. Die Genauigkeit der Waffe wird nur dann wirksam, wenn die Zieldaten ebenso genau sind. Ziele wie die Krimbrücke sind offensichtlich. Ob eine Lagerhalle voller Beton oder voller Munition ist, kann nur Aufklärung herausbringen. Für einen erfolgreichen Einsatz der Marschflugkörper sollte zudem die Art und Position der russischen Abwehr am Ziel und auf dem Weg dorthin bekannt sein.

Bislang keine Kriegsproduktion im Westen 

Einem "Ja" zur Lieferung an die Ukraine stehen also zwei politische Hindernisse entgegen. Zum einen würde die Lieferung der Taurus die bisherige Beschränkung der westlichen Geberländer in Frage der Reichweite aufheben oder zumindest die Grenze weit großzügiger definieren. Hier würde Deutschland also vorangehen. Solange die USA nicht weitreichende Raketen liefern. Dazu muss die Politik endlich eine Antwort geben, wie der Abfluss an Kriegsmaterial durch Neuproduktion ausgeglichen werden kann. Der Krieg in der Ukraine kann noch jahrelang weitergehen, und kann bald nicht mehr aus irgendwelchen Vorräten bestritten werden. Wenn man vermeiden will, dass die westlichen Streitkräfte im Laufe der nächsten zwei Jahre komplett entblößt werden, muss die Produktion von Kriegsmaterial sofort deutlich gesteigert werden.

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