Als Apple im vergangenen Herbst das iPad Air 4 vorstellte, herrschte verkehrte Welt in Cupertino. Denn das Mittelklasse-Tablet ließ mit seinem schnelleren Chip das deutlich teurere Spitzenmodell iPad Pro plötzlich alt aussehen. Apple geriet in Zugzwang - und legte nun nach. Und wie: Mit dem iPad Pro der fünften Generation läutet der Konzern die nächste Phase seiner Tablets sein.
Das hat jedoch seinen Preis: Das iPad Pro gibt es ab 879 Euro (11 Zoll), das große Modell mit 12,9 Zoll beginnt bei 1199 Euro. Was es kann und für wen sich ein Kauf lohnt, verrät unser Test.
iPad Pro (2021) – die wichtigsten Neuerungen
- Neue Display-Technologie
- 5G-Unterstützung
- M1-Chip
- smarte Frontkamera
Beim Formfaktor bleibt alles beim Alten. Erneut ist das iPad Pro in zwei Größen erhältlich, in 11 und 12,9 Zoll. Ich habe das größere der beiden Modelle getestet, dessen Display sich in der Diagonale über knapp 33 Zentimeter erstreckt. Das entspricht in etwa einem DIN-A4-Blatt.
Entsperrt wird das Gerät mit dem Gesichtsscanner Face ID, der aus dem iPad Air bekannte, im Einschaltknopf verborgene Fingerabdrucksensor Touch ID ist leider nicht zusätzlich an Bord.
Display: Bislang ungekannte Qualität
Das Prunkstück des neuen iPads ist der verbesserte Bildschirm. Beim 12,9-Zoll-Modell setzt Apple erstmals auf eine neue Technologie namens Mini-LED. Dabei handelt es sich um winzige Leuchteinheiten, die 120-mal kleiner sind als jene aus den Vorgängern. Statt 72 LEDs wie beim Vorjahresmodell quetschen sich nun mehr als 10.000 Lichtpunkte auf die gleiche Fläche.
Diese Mini-LEDs wiederum sind in mehr als 2500 lokalen Dimmzonen gruppiert, die individuell heller oder dunkler geschaltet werden können. Das ermöglicht eine viel granularere Kontrolle als bislang. So kann ein Bereich hellste Highlights darstellen und ein direkt benachbarter Teil subtile Details in dunklem Schatten. Dadurch sind Kontrastwerte im Verhältnis von 1.000.000:1 möglich, wie sie sonst nur teure OLED-Bildschirme erreichen.
Laut Apple ist das 12,9-Zoll iPad Pro zudem das hellste Tablet überhaupt. Es erreicht eine Helligkeit von 1000 nits im Vollbildmodus, Teile des Bildschirms sollen HDR-Inhalte sogar mit 1.600 nits wiedergeben können. Das ist heller als viele 4K-HDR-Fernseher auf dem Markt. Zum Vergleich: Beim vorherigen iPad Pro war bei maximal 600 nits Schluss. Der neue 24-Zoll-iMac erreicht 500 nits.
Die Kombination aus hoher Helligkeit und satten Kontrasten sorgt für ein besseres Bild. Stellt man das neue iPad Pro neben das Vorgängermodell und spielt das gleiche Filmmaterial ab, fällt etwa auf, dass Gegenlichtaufnahmen deutlich mehr Zeichnung besitzen und einzelne Details besser erkennbar sind. Mit diesem Bildschirm hat sich Apple selbst überholt.
M1-Chip: Mehr Mac als Tablet
Die eigentliche Sensation ist der Chip im Inneren. Statt eines aufgemotzten iPhone-Prozessors ist nun der rasend schnelle M1-Chip die Schaltzentrale. Der feierte im vergangenen November in den Macs seine Premiere und steckt auch im brandneuen iMac. Das ist eine Zäsur für die Tablet-Reihe und sorgt für ein sattes Geschwindigkeitsplus von mehr als 50 Prozent. Dabei war die Vorgängergeneration schon aberwitzig schnell. Der Speicher, der in der größten Ausbaustufe nun bis zu zwei Terabyte umfasst, ist ebenfalls doppelt so performant wie zuvor.
Ein iPad auf Steroiden - doch zu welchem Zweck? Denn Fakt ist: Schon das vorherige iPad Pro erledigte alle Aufgaben mit Bravour. Und derzeit muss man sich lange durch den App Store klicken, um eine Anwendung zu finden, die den Chip auch nur halbwegs ausreizt.
Aber dieses Gerät wurde auch nicht für das Hier und Jetzt entworfen. Im Moment mag das iPad Pro übermotorisiert sein wie ein Porsche in der Spielstraße. Doch die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt: Wenn genügend Reserven da sind, lassen sich die Entwicklerinnen und Entwickler da draußen schon genügend einfallen, um diese auch zu nutzen und ihre Apps noch vielseitiger zu machen.
Beispiel Procreate: Die auf den M1-Chip optimierte Version der populären Illustrations-App soll demnächst zum Download bereitgestellt werden und ist viermal schneller als die aktuelle Variante, wie der Entwickler bekannt gab. Mit ihr ist es nun außerdem möglich, 3D-Modelle von Gegenständen virtuell zu bemalen und sich das soeben entworfene Objekt mit einem Fingertipp im Live-Bild der Kamera anzuschauen. Augmented Reality sei Dank. Solche hochspezialisierten Anwendungen könnten die Arbeit von Produkt-Designern vereinfachen. Denn auch wenn Filme fantastisch auf diesem Gerät aussehen - das iPad Pro ist in erster Linie ein Arbeitsgerät.
Immer im Mittelpunkt
Doch der M1-Chip ist mehr als nur jede Menge Rechenpower. Er ist ein ganzes System von Technologien, die auf engstem Raum miteinander verzahnt sind. Der M1 bietet etwa höhere Bandbreiten bei Thunderbolt-Anschlüssen, wovon nun auch das iPad profitiert. Nun können sogar externe 6K-Bildschirme direkt an das Tablet - ist dieser Kategorienbegriff für dieses Gerät eigentlich noch angemessen? - angeschlossen werden. Der M1 besitzt auch einen integrierten Bildverarbeitungsprozessor sowie eine neuronale Recheneinheit, gewissermaßen das Herz der Künstlichen Intelligenz.
Letztere ermöglicht im Zusammenspiel mit der neuen Ultraweitwinkel-Frontkamera die neue, coole "Centerstage"-Funktion, im Deutschen etwas sperrig als "Im Bild behalten" bezeichnet. Dabei erkennt die Kamera, ob man sich bei Videoanrufen durch den Raum bewegt und schwenkt gegebenenfalls - rein virtuell, versteht sich - hinterher, damit man stets in der Bildmitte bleibt.
Die Funktion ist nicht auf eine Person beschränkt. Betritt eine weitere Person das Sichtfeld, zoomt die Kamera automatisch heraus. Verlässt diese den Raum, fokussiert sich die Kamera wieder nur auf einen selbst. Amazon bietet solch ein Feature auch in seinem Echo Show 10, hier dreht jedoch ein echter Motor den Bildschirm samt Kamera. Auf dem iPad wirken die künstlichen Kameraschwenks beinahe filmisch und derart elegant, dass man denken könnte, ein kleiner Kameramann verfolge einen auf Schritt und Tritt.
Dieses Feature ist mein persönliches Highlight im iPad Pro. Es ist keine revolutionäre Idee, doch wer einmal einen ganzen Tag im Home Office vor einer Webcam gehockt und mit schmerzenden Rücken in den Feierabend gegangen ist, wird sofort die Vorzüge zu schätzen wissen, zwischendurch kurz aufstehen und dennoch im Bild bleiben zu können! Schade nur, dass sich die Kamera im Horizontal-Modus am linken Bildschirmrand befindet, was mitunter zu wenig vorteilhaften Blickwinkeln führt, wenn man die anderen Teilnehmer in einem Video-Call auf dem Display anschaut. In meinen Augen wäre eine Positionierung der Kamera wie bei einem Laptop an der langen Seite besser.
Konnektivität und Speicher
In puncto Konnektivität bleiben keine Wünsche offen. Im Heimnetz funkt das iPad Pro nun bis zum aktuellen Standard Wifi 6, unterwegs empfängt man - den richtigen Vertrag vorausgesetzt - beim etwas teureren Mobilfunkmodell auch 5G-Frequenzen.
Angeboten werden Varianten mit 128, 256 und 512 Gigabyte Speicher, die jeweils 8 Gigabyte Arbeitsspeicher besitzen, zusätzlich gibt es noch zwei Ausführungen des iPad Pro mit einem und zwei Terabyte Speicher und 16 Gigabyte RAM.
Zubehör
Zum vollwertigen Notebook-Ersatz wird das iPad Pro mit dem Magic Keyboard, einer Schutzhülle mit eingebauter, beleuchteter Tastatur. Diese lässt sich elegant per Magnet andocken und erlaubt ein stufenloses Verstellen des Betrachtungswinkels. Das schicke Zubehör hat jedoch einen stattlichen Preis: Das Modell für das 11-Zoll-Tablet kostet 339 Euro, die 12,9-Zoll-Variante schlägt mit 399 Euro zu Buche. Und auch wenn es gegenteilige Berichte im Netz zu lesen gibt: Das Magic Keyboard aus dem vergangenen Jahr funktioniert auch mit dem neuen Modell. Das bekommt man bei Ebay mit etwas Glück bereits für knapp über 200 Euro und damit den halben Preis.
iPadOS
Auch wenn sich das iPad Pro technisch mit großen Schritten dem Mac annähert, softwareseitig trennen beide Produktklassen immer noch Welten. Mit iPadOS haben Apples Tablets ein eigenes, primär auf Touch-Eingaben ausgelegtes Betriebssystem. Mag das für das Einstiegsmodell noch völlig ausreichend sein, fühlt sich die Software beim Pro-Modell mitunter wie ein Flaschenhals an. So gibt es nach wie vor keinen einen echten Monitor-Support und keine Multi-User-Integration. Auch die eigene Software-Entwicklungsplattform Xcode ist bislang nicht für iPads verfügbar. Gut möglich, dass der Konzern die weltweite Entwicklerkonferenz am 07. Juni nutzt, um den Startschuss für die Entwickler-Apps zu geben und viele neue Funktionen für iPadOS anzukündigen.
Fazit: Der Welten-Wanderer
Was für ein Upgrade: Der hellere Mini-LED-Bildschirm des neuen iPad Pro ist eine Wucht. Wer auf mobiles Internet angewiesen ist, wird sich über die optionale 5G-Unterstützung freuen. Die verbesserte Frontkamera war überfällig und punktet mit einem innovativen Feature, welches die User automatisch im Raum verfolgt. Mit dem mächtigen M1-Chip rückt das neue iPad Pro technisch näher zum Mac, was es in die Lage versetzt, auch komplizierteste Programme zu starten. Nun, wo Mac und iPad untrennbar zusammenrücken, endet hoffentlich bald auch die Zeit der abgespeckten iPad-Apps. Technisch spricht nun zumindest nichts mehr gegen ein vollwertiges Adobe Photoshop oder Final Cut Pro, letzteres Programm stammt übrigens von Apple selbst.
Man sollte das iPad Pro jedoch nicht fortwährend mit einem klassischen Computer vergleichen. Denn dann konzentriert man sich zwangsläufig auf die Dinge, die es nicht kann, und lässt die neuen Möglichkeiten außer acht, die es bietet. Man denke nur an die zuvor angesprochenen AR-Apps für Produkt-Designer. Mit Stift, Kameras und Touch-Bedienung sind andere Nutzungsszenarien möglich als mit einem Macbook. Über die Jahre hat Apple das Gerät auf diese Weise immer mehr zu einer Art Wanderer zwischen den Welten geformt, der weder den großen iPhones noch den Macs das Wasser abgraben möchte, sondern sich gezielt dazwischen positioniert. Der M1-Chip könnte das iPad Pro auf ein völlig neues Level heben und dessen Rolle innerhalb dieses Dreiergespanns weiter schärfen.
Neben einigen Software-Einschränkungen gibt es wenige echte Kritikpunkte - abgesehen vom Preis. Los geht es beim großen Modell bei mehr als 1000 Euro, mit mehr Speicher und Mobilfunk ist man schnell bei 1500 Euro und mehr. So viel kostet auch der neue iMac. Und das starke Zubehör wie die praktische Tastaturhülle, welche das Tablet mit wenigen Handgriffen zur Laptop-Alternative macht, sind da noch nicht einmal enthalten. Damit richtet sich das iPad Pro der fünften Generation ausnahmslos an - der Name deutet es ja eigentlich bereits an - Profis.
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