Die Welt steht mal wieder unter Schock: Nicht alles, was in den Medien - ganz gleich, ob auf Papier oder digital - geschrieben, gesendet, gepostet oder sonstwie verbreitet wird, soll wahr sein! Eine völlig neue Erkenntnis, und deshalb gibt es auch ein völlig neues Wort: "Fake News", gefälschte Nachrichten. Sowas soll es tatsächlich geben - das muss man sich mal vorstellen. Wahnsinn. Und nicht zuletzt im US-Wahlkampf sollen Fake News eine zumindest mitentscheidende Rolle bei Trumps Wahlsieg gespielt haben. Klar, dass jetzt alle dagegen sind, Facebook vorneweg. Man will ja nicht als "Fakebook" gelten.
Deshalb sollen es Facebook-Nutzer in Zukunft einfacher haben, erfundene Nachrichten an eine rund um die Uhr besetzte Hotline zu melden. Auch die Algorithmen, welche die Newsfeeds für die Benutzer zusammenstellen, sollen jetzt angepasst werden. Wenn beispielsweise ein Beitrag nach Lektüre von Nutzern nicht geteilt wird, sei das ein Warnsignal und deute auf eine mögliche Fälschung hin, erklärte Facebook-Manager Adam Mosseri kürzlich in seinem Blog. Das funktioniert dann vermutlich wie der Publikumsjoker bei "Wer wird Millionär?": Die Mehrheit hat (meistens) recht. Oder auch nicht.
Facebook als Hüter der Wahrheit?
Auf welchem dünnen Eis wir uns bewegen, wenn wir ausgerechnet den US-amerikanischen Internet-Monopolisten die Lufthoheit über die Zensur von Netzinhalten überlassen, darauf haben wir an dieser Stelle schon des öfteren hingewiesen. Der bizarre Streit um das Foto von Phan Thị Kim Phúc, dem sogenannten Napalm-Mädchen, ist dafür nur ein Beispiel. Facebook hatte eines der wichtigsten Fotos aus dem Vietnamkrieg zeitweilig gelöscht, weil die damals neunjährige Kim Phúc nackt war und die Veröffentlichung damit gegen die Facebook-Regeln zum Schutz vor Kinderpornographie verstieß. Erst nach internationalen Protesten lenkte der Konzern ein.
Und dass man Politikern nicht das Urteil über Wahrheit und Fälschung überlassen sollte, ist nicht erst klar, seit der neue US-Präsident Donald Trump einen missliebigen CNN-Reporter mit den Worten "ihr seid Fake News" abbürstete. Populisten wie Trump und ihre Anhänger könnten das zum Prinzip erheben und alles, was ihnen nicht in den Kram passt, bei den Betreibern von Internetplattformen als Fake News denunzieren. Dabei produzieren sie den größten Müll immer noch selbst, siehe AfD-Rechtsaußen Björn "Joseph" Höcke und sein unsägliches "Schande"-Zitat. Leider keine Fake News, sondern Realität der politischen Diskussion im Jahr 2017.
Fakten wollen viele gar nicht hören
Auch die Einschaltung von externen Faktencheckern, die als eine Art Wahrheitskommission agieren sollen, verlagert das Problem nur. Maximal 24 Stunden Zeit sollen sie bekommen, um einen Beitrag auf seinen Wahrheitsgehalt zu prüfen. Aber auch die Faktenchecker werden diejenigen, die mit dem Verbreiten von Fake News ihre Ziele verfolgen - politische Beeinflussung, Hass schüren oder einfach Geld verdienen - nicht von ihrem Treiben abhalten, und sie werden diejenigen, die unbedingt jeden Unsinn glauben wollen, den sie im Netz finden, auch nicht davon abhalten, genau das weiterhin zu tun.
Die US-Astronauten waren gar nicht auf dem Mond, das war in Wahrheit eine Inszenierung in einem Hollywoodstudio? Klaro. Die Anschläge des 11. September - in Wahrheit eine Verschwörung des Mossad? Weiß doch jeder. Das Ufo, das 1947 in der Nähe von Roswell im US Bundesstaat New Mexico abgestürzt ist? Daran glauben viele - zumindest diejenigen, die Jahr für Jahr an den vermeintlichen Ort des Geschehens pilgern und sich zum Gruseln das vieltausendfach geteilte Video mit dem angeblichen Alien reinziehen. Der Malaysia-Airlines-Flug MH 370 ist gar nicht abgestürzt, sondern wurde in Wahrheit auf die US-Marinebasis Diego Garcia entführt? Klingt plausibel. Oder etwa nicht?
Nachdenken statt blindem Glauben
Lassen sich in diesen Fällen Verschwörungstheorien leicht als solche entlarven, dürfte es in anderen schon schwieriger werden. Ob eine Faktenchecker-Wahrheitskommission beispielsweise die "Protokolle der Weisen von Zion", die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts eine angebliche jüdische Weltverschwörung belegen sollten, innerhalb von 24 Stunden als das entlarven könnten, was sie war - eine perfide Fälschung rechtsradikaler Propagandisten - muss zumindest bezweifelt werden.
Und völlig unübersichtlich wird es, wenn es um Satire oder Kunst geht, so wie beim Hörspiel "War of the Worlds" von Orson Welles (nach dem Roman von H. G. Wells), das 1938 eine Panik an der amerikanischen Ostküste auslöste. Viele Hörer in New York und New Jersey glaubten tatsächlich, sie würden von Außerirdischen in riesigen Raumschiffen angegriffen.
Dabei war die Radio-"Reportage", die sie atemlos verfolgten, eine literarische Fiktion, ein Hörspiel, unterbrochen übrigens von fröhlicher Tanzmusik. Ein Blick aus dem Fenster hätte vielleicht genügt, um einen Realitätscheck zu machen und sich wieder zu beruhigen. Also gesunder Menschenverstand. Der würde heute auch gelegentlich gegen die zuweilen hysterisch anmutende Bereitschaft wirken, auch noch den größten Unsinn ungeprüft zu teilen und in die Welt hinauszuposaunen.
Was ist überhaupt eine "Nachricht"?
Die Übertragung von "War of the Worlds" war nach heutigem Sprachgebrauch eine einzige Abfolge von Fake News. Aber sie deshalb gleich verbieten? Ohne den Geniestreich hätte die Welt vermutlich nie von dem jungen Orson Welles Notiz genommen, dem späteren Schöpfer von "Citizen Kane", einem Film, der unzählige Regisseure und Filmschaffende bis heute prägt. Ohne ihn wäre die Welt ein ganzes Stück ärmer.
Man muss den aufgeschreckten Hörern von damals zugute halten, dass das Radio noch ein relativ junges Medium war und nicht viele Menschen damit vertraut waren, wie realistisch sich eine künstliche Wirklichkeit allein mit Tönen erzeugen lässt.
Da tun sich Parallelen zu heute auf: Es gibt offenbar noch nicht genügend Erfahrung im Umgang mit sozialen Medien und es besteht derzeit eine tiefgreifende Verwirrung darüber, was eine Nachricht von einem Gerücht oder eine dreisten Lüge unterscheidet. Ein Hinweis wäre zum Beispiel die Quelle, aus der eine vermeintliche Nachricht kommt. Die lässt sich allerdings im Zweifel im Netz nicht mehr zurückverfolgen.

Der Vorteil der klassischen Medien
Wir Journalisten verfallen ja gelegentlich darüber in Trauer, dass wir mit den sozialen Medien das Monopol auf die Verbreitung von Nachrichten verloren hätten. Aber ich glaube, dass in dieser ganzen Fake-News-Aufregung auch eine große Chance liegt: Für die sogenannten etablierten Medien nämlich, die von vielen gern etwas vorschnell abgeschrieben werden. Denn stern, stern.de, "Spiegel" und andere müssen nicht lange nach Partnerschaften mit externen Faktencheckern suchen.
Die sitzen nämlich längst inhouse, zum Beispiel in Form der Dokumentation, die im Fall des stern aus rund 20 Personen besteht, unterstützt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus anderen Abteilungen. Sie suchen nach Belegen, fahnden nach Quellen und korrigieren da, wo sich Irrtümer oder Fehleinschätzungen eingeschlichen haben, trotz aller vorausgehenden Recherchen von Text- und Bildredakteuren.
Fehler passieren gelegentlich trotzdem. Aber die sind nun mal menschlich. Und bei den klassischen Medien muss dafür jemand geradestehen und die Verantwortung übernehmen. Anders als zurzeit noch bei Facebook & Co. Das muss sich dringend ändern.