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Thomas Ammann Warum uns Mark Zuckerberg nicht vor Fake-News retten kann - und auch nicht will

Beim Kampf gegen Falschmeldungen im Netz ist es mit der Verantwortung der Internetkonzerne bislang nicht allzu weit her, meint Thomas Ammann.

An den jüngsten Politikeräußerungen zu Fake News im Netz (früher auch: "Falschmeldungen" oder einfacher: "Lügen") kann man zumindest eines sehen, nämlich wer noch was werden will in der Politik. Nachdem er gute zwei Jahre lang mit Facebook-Verantwortlichen vor allem an runden Tischen gesessen und über die Bildung von "Task Forces" gegen braunen Müll im Netz nachgedacht hat, fordert Bundesjustizminister Heiko Maas jetzt, Staatsanwaltschaften und Gerichte sollten hart gegen Fake News in sozialen Netzwerken vorgehen. Und Noch-EU-Parlamentspräsident und Außenminister in spe bzw. SPD-Kanzlerkandidat in spe Martin Schulz setzt noch einen drauf: Er fordert - kein Fake - eine europäische Gesetzesinitiative, "wenn eine freiwillige Selbstverpflichtung der sozialen Netzwerke" nicht ausreiche.

Woher plötzlich die schrillen Töne aus der politischen Ecke gegen Falschmeldungen im Netz? Man kann getrost davon ausgehen, dass der US-Wahlkampf mit dem mehrfach der Lüge überführten Sieger Trump auch hierzulande die Politiker aufgeschreckt hat. Schließlich steht ein Bundestagswahlkampf bevor, und die Sorge ist groß, dass gezielte Meinungsmanipulationen auch bei uns einen politischen Erdrutsch auslösen könnten. "Wir dürfen nicht zulassen", schreibt der Netzpolitiker der Grünen, Konstantin von Notz, im "Handelsblatt", "dass der Glauben in demokratische und rechtsstaatliche Institutionen langsam aber sicher erodiert."

Die sozialen Netzwerke schweigen

Gut gesagt, aber einstweilen scheint gegen das grassierende Fake News-Syndrom kein Kraut gewachsen. Wer auf eine freiwillige Selbstverpflichtung von Facebook und Co. hofft, der glaubt vermutlich auch noch ans Christkind. Die Internet-Giganten haben bisher schon mehr als deutlich gezeigt, wie sie sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stellen: Trotz Milliardengewinnen möglichst wenig Steuern zahlen und sich ansonsten den Standort mit den laschesten Datenschutzgesetzen aussuchen.

In der Debatte um rechtsradikale Hass-Posts hat sich Facebook bislang einigermaßen kryptisch verhalten. Facebook verweigerte die Löschung der Hass-Posts nämlich mit der Begründung, sie widersprächen nicht den sogenannten "Gemeinschaftsstandards" des Konzerns. Zwar gebe es "Richtlinien, die sexuell explizite, hasserfüllte und gewalttätige Inhalte verbieten", wie das zuständige Facebook-Team mitteilte, aber offenbar zählt man rechts-dumpfe Hass-Posts nicht dazu.

Hass ja, Brust nein

Weniger rücksichtsvoll war und ist man bei Facebook laut "Gemeinschaftsstandards" allerdings, wenn es um nackte Tatsachen geht: "Wir entfernen Fotos von Personen, auf denen Genitalien oder vollständig entblößte Pobacken zu sehen sind", heißt es da. "Außerdem beschränken wir Bilder mit weiblichen Brüsten, wenn darauf Brustwarzen zu sehen sind. Fotos von Frauen, die beim Stillen oder mit Vernarbungen aufgrund von Brustamputationen gezeigt werden, sind jedoch in jedem Fall erlaubt. Außerdem sind Fotos von Gemälden, Skulpturen und anderen Kunstformen erlaubt, die nackte Figuren zeigen."

Thomas Ammann

Stellvertretender Chefredakteur des stern, 61, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Netzpolitik und den sozialen Aspekten der digitalisierten Gesellschaft, der internationalen Hackerszene und der Computerspionage, zuletzt als Co-Autor des im Herbst 2014 erschienenen Buches "Die digitale Diktatur – Totalüberwachung, Datenmissbrauch, Cyberkrieg".

Daraus folgt: Wer sein Weltbild ausschließlich aus den Plattformen der US-Internetgiganten bezieht, muss fest davon ausgehen, dass Frauen grundsätzlich mit silbernen oder goldenen Sternchen auf der Brust geboren werden.

Die Maschine soll entscheiden

Wenn wir die Verantwortung für den Umgang mit rechten Hass oder Fake News (was nicht immer dasselbe ist) an die Konzerne delegieren, müssen wir auch akzeptieren, dass diese uns ihre Werte und Moralvorstellungen überstülpen - oder ihre Interpretation von "wahr" oder "falsch".

Für diese Entscheidung würde man bei Facebook am liebsten superschlaue Software einsetzen, wie die meisten Gründer der Internetgiganten ohnehin von dem Glauben getrieben sind, die großen Probleme der Menschheit ließen sich am besten mit Technik und noch mehr Technik lösen. Intelligente Algorithmen würden dann die Wahrscheinlichkeit berechnen, nach der eine Meldung als "wahr" oder "falsch" eingestuft werden kann. Doch diese Themen seien "komplex", schrieb Facebook-Gründer Mark Zuckerberg neulich, "sowohl technisch als auch philosophisch".

Facebook profitiert von den Fakes

Da hat er wohl recht. Am liebsten will er wohl gar nicht eingreifen, weil Facebook die Verantwortung für die verbreiteten Inhalte nicht übernehmen möchte. Das ist die neue Internetökonomie - niemand will Verantwortung für die Folgen übernehmen. Facebook verdient Milliarden mit der Verbreitung von Inhalten, ohne diese Inhalte selbst zu produzieren, Airbnb vermittelt Unterkünfte, ohne eine einzige Unterkunft zu besitzen, und Uber ist ein Taxiunternehmen ohne Taxis, weshalb man sich nicht um die Arbeitsbedingungen der Fahrer schert.

Juristisch sind die meisten Sachverhalte  allerdings meist weniger komplex. "Verdächtige, menschenverachtende und gewaltverherrlichende Posts können bei der Polizei gemeldet, teilweise sogar direkt online angezeigt werden", darauf haben wir an dieser Stelle schon vor einiger Zeit hingewiesen, "soweit Meinungsäußerungen gewisse Straftatbestände erfüllen, können sie verfolgt und geahndet werden, und das ist in einigen Fällen ja geschehen."

Was ist wahr, was ist falsch?

Insofern ist Minister Heiko Maas zur Abwechslung mal auf dem richtigen Weg, wenn er nach der Härte des Gesetzes verlangt. "Verleumdung und üble Nachrede sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Das muss die Justiz auch im Netz konsequent verfolgen", so Maas am vergangenen Wochenende. Bei "übler Nachrede und Verleumdung einer Person des öffentlichen Lebens" drohe eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren, drohte der Justizminister. Ob Staatsanwälte und Richter allerdings diese ministerielle Ermahnung brauchen, sei dahingestellt.

Und vielleicht sollten sich Internetuser bei der Frage, was wahr ist und was falsch, zuallererst auf ihren gesunden Menschenverstand verlassen. Auch wenn der zurzeit arg strapaziert wird.

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