Liebe Frau Peirano,
ich bin 47, Software-Ingenieur, und war neun Jahre mit meiner Partnerin Julika zusammen. Sie hat drei Kinder aus einer früheren Beziehung, und ich hatte den Eindruck, dass sie zu wenig Zeit mit mir verbringt. Sie hatte dann noch viele andere Freundinnen, ist zum Sport gegangen und ich habe mich oft vernachlässigt gefühlt. Das habe ich öfter zum Ausdruck gebracht und es war ein schwelender Konflikt.
Das zweite große Problem: Sexuell ließ die Anziehung irgendwann nach (auch weil Julika sehr zugenommen hat und sich einen Kurzhaarschnitt zugelegt hat). Wir haben schon zwei bis drei Jahre vor der Trennung kaum noch miteinander geschlafen. Sie war oft aufbrausend und launisch, und auch das war ein Problem zwischen uns.
Wir haben uns im März 2022 getrennt. Die meisten Menschen in unserem Umfeld fanden das einen guten Schritt und haben uns gesagt, dass sie finden, dass wir nicht gut zueinander passen.
Nur haben Julika und ich in den neun Jahren unserer Beziehung natürlich viel geteilt. Wir sind im gleichen Sportverein, fahren immer nach Sylt in den Urlaub, ich habe ihren Kindern in den Naturwissenschaften Nachhilfe gegeben. Wir haben gemeinsame Freunde und viele Gesprächsthemen.
Die Idee war dann, dass wir einfach Freunde bleiben. Ich muss auch sagen, dass ich mich mit Männerfreundschaften schwer tue und eigentlich eher Bekannte als Freunde habe. Meine Eltern leben nicht mehr und meinen Bruder sehe ich zweimal im Jahr. Ich fahre gerne alleine Rad, gehe zum Sport und arbeite oft am Wochenende oder bin am Computer. Arbeit und Freizeit gehen manchmal ineinander über.
Und so war es mir eigentlich auch ganz recht, dass Julika und ich seit unserer Trennung zweimal zusammen in den Urlaub gefahren sind (natürlich mit getrennten Zimmern) und oft essen oder spazieren gehen. Wir telefonieren täglich, manchmal auch mehrmals täglich. Ich bin häufiger bei ihr und ihren Kindern wegen besagter Nachhilfe oder Reparaturen. Und seit wir getrennt sind, haben die Streitigkeiten fast komplett aufgehört.
Wenn wir im Urlaub sind, werden wir immer noch für ein Paar gehalten. Und es fühlt sich auch oft so an, außer dass wir keine Besitzansprüche aneinander haben und es keine Körperlichkeit gibt.
Ich habe mir zwar Dating-Apps heruntergeladen und mich sporadisch nach anderen Frauen umgesehen, aber ehrlich gesagt bin ich gerade nicht so motiviert, mich mit Frauen zu treffen.
Julika sagt immer mal wieder, dass sie eines Tages jemanden anders kennen lernen will, und eigentlich bin ich da auch entspannt. Aber wenn sie es wirklich machen würde, wäre ich vielleicht nicht so glücklich damit.
Ich weiß es: Wir bremsen uns gegenseitig aus. Aber gleichzeitig ist es auch vertraut und freundschaftlich mit ihr. Ohne sie, das müsste ich mir eingestehen, wäre ich etwas einsam. Ich war noch nie gut darin, auf andere Menschen zuzugehen und Freundschaften zu schließen.
Dennoch habe ich das Gefühl, dass es ja nicht ewig so weiter gehen kann.
Was schlagen Sie mir vor?
Ralf G.
Lieber Ralf G.,
ich kann gut verstehen, dass es nicht einfach ist, sich nach neun Jahren von einer Partnerin zu trennen und den Kontakt komplett abzubrechen. Vor allem, wenn keine wirklich verheerenden Verletzungen passiert sind, sondern beide noch Vertrautheit und Freundschaft füreinander empfinden.
Dazu kommt, dass Sie sich anscheinend sehr auf Julika und ihre Familie konzentriert haben und kein eigenes tragfähiges soziales Netz haben. Ich teile Ihre Auffassung, dass Sie wahrscheinlich sehr einsam wären, wenn Sie Julika nicht mehr in Ihrem Leben hätten. Und vermutlich wäre Julika da etwas besser aufgestellt als Sie es sind.
Wenn Sie keinen Kontakt mehr zu Julika hätten, gäbe es eine große Leere in Ihrem Leben, jedenfalls, wenn Sie nichts verändern. Mit wem würden Sie in den Urlaub fahren? Mit wem würden Sie Ihre Freizeit verbringen? Wer kennt Sie gut, so dass Sie auch einmal offen sprechen können? Wer hilft Ihnen im Alltag (zum Beispiel, wenn Sie krank sind)? Und wer stellt ein Verbindungsglied zu anderen Menschen her?

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Sie scheinen alle Eier in einen Korb gelegt zu haben und die Antwort auf diese Fragen ist bislang: Julika, Julika und wieder Julika. Es ist gefährlich, sich nur auf einen einzigen Menschen zu konzentrieren, denn es macht abhängig. Und etwas monoton ist es auch!
Und hier zeichnet sich das Problem ab, das eines Tages auf Sie zukommen wird: Julika hat das Interesse bekundet, eines Tages einen neuen Partner zu haben. Wenn Sie jemanden kennenlernt, wird der neue Partner mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht begeistert davon sein, dass Julika noch so eng mit ihrem Ex-Freund verbunden ist. Er wird nicht tolerieren, dass sie mehrmals im Jahr mit ihm in den Urlaub fährt, bei ihrer Familie ein- und ausgeht und einen Löwenanteil von Julikas Freizeit bekommt.
Möglicherweise würde der neue Partner auch fragen, ob Sie und Julika sich überhaupt "richtig" getrennt haben oder ob Sie immer noch eine enge, familiäre Beziehung miteinander führen. Es gibt ja auch viele Paare, die kaum noch Sex haben, sich aber nicht trennen. Aber auch in solchen Konstellationen halten beide Partner aneinander fest und finden viele Gründe, sich nicht vollständig zu trennen. Für eine neue Partnerschaft ist da kein Platz.
Und genau hier liegt das Risiko: Wenn Julika einen Neustart wagen will und der neue Partner für sie attraktiv ist, wird sie sich dann von Ihnen trennen oder zumindest den Kontakt auf ein beziehungstaugliches Maß herunterschrauben. Das könnte Sie kalt erwischen, jedenfalls wenn Sie sich nicht darauf vorbereiten.
Bei Ihrer Schilderung und vor allem Selbstbeschreibung habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie schwer loslassen können und sich an alten Gewohnheiten festhalten, auch wenn diese Ihnen nicht unbedingt gut tun. Empfinden Sie das auch so? Ich würde Ihnen raten, sich in eine pro-aktivere Rolle zu begeben und Ihr Leben auszubalancieren, bevor äußere Begebenheiten Sie dazu zwingen.
Ich würde Ihnen hier mehrere Bücher empfehlen, die Ihnen dabei helfen, sich von schlechten Gewohnheiten zu befreien (z.B. sich sozial so zu isolieren):
- Ryder Carroll: "Die Bullet-Journal-Methode"
Dabei geht es darum, auf dem Fahrersitz des Lebens zu sitzen und nicht als passiver Passagier fremdgesteuert zu werden. Die Leser:innen werden angeleitet, sich realistisch Ziele zu setzen und jeden Tag daran zu arbeiten - Dr. Julie Smith: "Aufstehen oder liegen bleiben? Tools für deine mentale Gesundheit"
In diesem Buch geht es um den Umgang mit Stress oder Ängsten, um die Steigerung der Motivation und Verbesserung des Selbstwertgefühls - Susan Sideropoulos: "Das Leben schwer nehmen ist einfach zu anstrengend"
Dieses sehr alltagsnahe und locker geschriebene Buch macht Mut, das Leben positiver und bewusster zu gestalten - Prof. Stefan Kölsch: "Die dunkle Seite des Gehirns. Wie wir unser Unterbewusstes überlisten und negative Gedankenschleifen ausschalten"
Diese Bücher helfen bei vielen Blockaden oder bei Zuständen mit viel Trägheit, wenig Motivation und Lustlosigkeit. Sie erklären die Ursachen für die Blockaden und zeigen auf, wie man sich neue Ziele setzt und positive Gewohnheiten entwickelt.
Ich würde Ihnen raten, sich mit Hilfe dieser Bücher oder entsprechenden Podcasts oder Coachings konkrete Ziele zur Verbesserung Ihres sozialen Netzes und Ihrer Freizeitgestaltung zu setzen. Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie hätten es geschafft, Ihre Freundschaft mit Julika auf ein distanziertes, gesundes, freundschaftliches Maß zu bringen und Sie wären gleichzeitig erfüllt und glücklich in Ihrem Leben.
Wie würden Sie dann Ihre Freizeit (Wochenende, Urlaub, Abende) verbringen? Wie viele gute Freunde hätten Sie in Ihrem Leben und was für Menschen wären das? Wie würden Sie auf diese Menschen zugehen und den Kontakt pflegen? Was für eine Rolle würde Ihr Computer spielen, wenn Sie ein ausgeglichenes Leben hätten? Wie oft wären Sie alleine und wie würden Sie sich dabei fühlen? Hätten Sie eine neue Partnerin und wie wäre die Beziehung mit ihr?
Ich hoffe, dass ich Ihnen ein paar Denkanstöße geben konnte, um sich von Julika zu lösen und dadurch Raum für neue, positive Erfahrungen zu schaffen. Eine Freundschaft mit ihr kann dann ja immer noch möglich sein, würde dann aber auf anderen Füßen stehen.
Ich wünsche Ihnen viel Kreativität, Durchhaltevermögen und Mut dabei.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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