Kulinarisches ABC Der Küchenrückblick für 2005 von A - Z

Was bot uns das Jahr? Vom Rungis-Kollaps (Ausrungiert) bis zur verrückten Küchenrevue (Zeltspeisungen) war manches traurig, vieles heiter. Das Wichtigste blitzt in unserem Kulinarischen ABC noch einmal auf.

Aus"rungiert" schien im Januar der Gourmet-Spediteur "Rungis Express": Nach 27 Jahren war das Unternehmen insolvent. Im Sommer schloss die Gerüchteküche: Ein neuer Investor übernahm und expandiert wieder. Seitdem wird die Spitzengastronomie bis zu viermal wöchentlich beliefert und die Aktie der Beteiligungsgesellschaft allmählich zum Leckerbissen.

B

ierlaunen der biermüden Deutschen betrübten die Brauereien, Rettung versprach allein der Trend zu goldenen, milden oder zitronigen Blondheiten. Das ganz große Fass aber machten die Briten auf: Sie strichen die Sperrstunden für Pubs. Kritiker fürchten nun Albions Ende und der Insel Untergang durch schlimmstes "boozing".

C

oca-Cola-Weine - das böse Wort prägte Michael Prinz zu Salm für Design-Weine aus den USA, die fortan ohne große Einschränkungen auf unseren Markt dürfen. Die EU-Barrieren gegen Kellereitricks wie Eichenchips statt Fassreifung sind gefallen. Winzer polemisierten gegen "Frankenstein-Weine".

D

ickmacherei durch versteckte Fette und Zucker war auch 2005 Thema der Ernährungsexperten. Ministerin Künast sorgte sich um "dicke Kinder" und startete Präventionsmaßnahmen. Sternekoch Vincent Klink: "Zucker kann sehr infam eingesetzt werden... das ist unter Köchen kein Geheimnis."

E

tikettenreaktionen positiver Art rief im ablaufenden Jahr das 2001 eingeführte "Bio"-Siegel hervor, das inzwischen 79 Prozent aller befragten Supermarktkunden kannten. Wirrnis dagegen bewirkte die Flut von unverbindlichen Sonderzeichen und unleserlichem Kleingedruckten. Doch ein genauer Blick lohnt sich künftig, denn die EU schreibt nun die Kennzeichnung der "allergenen Zwölf" vor und verspricht ferner bei Gesundheitsverheißungen und E-Nummern ein Ende der Etikettenschwindelei.

F

ernsehrezepte faszinierten die Nation auch 2005. Tim Mälzer, dem täglich Millionen bei "Vox" in den Topf gucken, wurde vom ZDF zu den "Menschen 2005" gezählt. Zahlreiche TV-Chefs eroberten auch den Buch- und Zeitschriftenmarkt. Nicht alle Formate hatten Format, aber Nichtkoch Johannes B. Kerner bekam für "Kerners Köche" den "Euro-Toques-Kulturpreis".

G

epardenforelle war 2005 der dicke Fisch im Internet, wiewohl in Wahrheit eine Ente der Computerzeitschrift "c't". Mit dem Fantasiewort "Hommingberger Gepardenforelle" wollte sie Suchmaschinen testen. Seitdem gibt es Websites mit Preisangaben, Tipps ("erst nach Mitternacht ausnehmen") und Pseudo-Rezepten.

H

ochgekocht sind 2005 etliche Unbekömmlichkeiten: Plötzlich waren Freilandeier mit Dioxin belastet, gediehen versteckt angelegte Genmaisfelder, gab es reichlich Pestizide im Gemüse. Und die Zugvögel zogen samt Vogelgrippe-Erreger über ein aufgescheuchtes Land mit seinen Millionen "aufgestallten" Gänsen, Hühnern und Puten.

I

n die Suppe gespuckt hat der "Gault Millau 2006" dem "durchschnittlichen" Gourmet-Koch. Der "schielt fantasielos auf die großen Kreativen des Auslands... verwendet bestenfalls zweitklassige Zutaten... verlangt immer happigere Preise und jammert". Die Quittung dafür: 151 Chefs wurden komplett gestrichen, 173 deutlich degradiert.

J

ahresbeste kürte derselbe "Gault Millau" aber auch. "Koch des Jahres" wurde Thomas Bühner, "Entdeckung des Jahres" Peter Maria Schnurr. Die Hobby-Köchin des Jahres wurde die Schweizerin Christina Richon: Sie siegte im "Zeit"-Kochwettbewerb und erklomm dazu den "Koch-Olymp" von stern, ARD-Buffet und Robinson Club. Chapeau bzw. Toque!

K

artoffelverhältnisse erregten die Deutschen 2005, weil der Saatzüchter Europlant die beliebte "Linda" in den ewigen Nachtschatten verbannen will. Nach Protesten bekam Linda eine Zweijahresfrist und soll nun erst 2007 ersetzt werden. Experten prophezeien, Linda werde eine "emotionale Lücke" hinterlassen.

L

eitgerichte gibt's schon lange, 2005 aber gab's neue, dem Regierungsgeschmack folgend. Kam uns Kohl einst saumagenfreundlich und machte Schröder Currybudenzauber, so blies Köhler erstmals einen "Gaisburger Marsch", gab es im Berliner "Borchardt" eine parteiübergreifende "Schnitzel-Fraktion", und Merkel erklärte ihr Faible für "Rustikales" bis hin zu Roulade und "Boudin noir"; also Blutwurst. mogelpackungen eroberten verstärkt Haus- und sogar Profiküchen, aus Bequemlichkeit und Zeitgründen wurden Convenience-Produkte immer wichtiger. Laut Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) lehnten allerdings 68 Prozent industriell gefertigte Zutaten und Fertiggerichte ab.

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aschkatzen ließen sich 2005 ihr Schoko-Hüftgold etwas kosten: in den neuen Confiserien mit den luxussüßen und bitterherben Versuchungen. Nicht nur echte Vanille adelt die möglichst tiefdunkle Schokolade - nun tun es auch Lindenblüten, Pfeffer, Hanf, Zitrusöl und sogar grobes Meersalz. Pro Mund vernaschen alle Deutschen so jährlich mehr als 40 Euro.

Oscar-Ehren erhielt der Mastfutterfilm "Supersize Me" nicht, trotz Nominierung. Die Trophäe bekam aber Alexander Payne für seinen Film "Sideways". Die Weinreise durch Kalifornien war ein Hymnus auf das Wahre im Wein, kostete 16 Mio. Dollar und spielte bis Mitte des Jahres allein in den USA mehr als 70 Mio. Dollar ein.

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reisfragen blieben wichtig, und Geiz blieb geil, jede zweite Weinflasche wurde beim Discounter mit ca. 2,15 Euro bezahlt, und 35 Prozent der Gaststättenbesuche führten in Fast-Food-Restaurants. Es entbrannte eine Debatte um die Mitschuld knauseriger Konsumenten an sinkender Lebensmittelqualität. Die Schweizer wählten "Aldisierung" zum "Wort des Jahres 2005".

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uerküchen wie die des Briten Heston Blumenthal und des Spaniers Ferran Adrià gerieten zu Labors der "Molekularküche", aus denen Lachs im Lakritzmantel, Wachtelei mit Karamellkruste oder Rote-Bete-Lollis auf den Tisch kam. Experimente mit Schäumen, Reagenzgläsern, Spraydosen und flüssigem Stickstoff brachten Gourmets auf neue Geschmäcker, Kritiker auf die Palme und Buchungswillige zur Verzweiflung - ob der fast jahrelangen Wartelisten.

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einheit wurde 2005 zum Reizwort. Nach Skandalen um Gemüse, Obst und Fleisch wurden die Verbraucher misstrauisch - auch gegenüber den Kontrolleuren: Die ernteten Spott, als sie ein rheinhessischer Winzer im Oktober mit umgefüllten Discounter-Auslandsweinen überlistete. Sein Zeug bekam eine amtliche Prüfnummer.

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iebengestern strahlt am deutschen Gourmet-Himmel: Christian Bau stieg erstmals in die Michelin-Oberliga auf, die sechs anderen Drei-Sterne-Chefs bleiben Jean-Claude Bourgueil, Dieter Müller, Helmut Thieltges, Heinz Winkler & Joachim Wissler - und Harald Wohlfahrt, der vom "Gault Millau" eine Sonderehrung für sein Lebenswerk und von den "Amis de l'Art de Vivre" den Preis für "Große Kochkunst und Gastlichkeit" bekam.

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euro im vierten Jahr - der Gastronomie ging es 2005 weiter schlecht, nur die Top 100 konnten knapp vier Prozent mehr umsetzen. Nahezu erfolglos suchte "Euro-Toques" im Januar Menükarten mit fairer Umrechnung. "Euro gleich Mark" blieb gefühlte Inflation und Wirklichkeit, auch wenn das Münchner Hofbräuhaus seine "Hartz V"-Aktion 2004 nicht durchhielt: alle Gerichte für sozialverdrückliche fünf Euro

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mverpackt und neu etikettiert wurden 2005 Kühlregale voller Supermarktfleisch, systematisch und kriminell betrieben von Teilen der industriellen Fleischwirtschaft. Voll Ekel lernten die Deutschen neue Worte: "Überlagerung" und "Gammelfleisch" - unter den "Wörtern des Jahres" kam letzteres auf Rang 5.

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ive la France!, rief die Gourmet-Welt 2005, andere dagegen protestierten, als Frankreichs Parlament beschloss, die "foie gras" sei ein "nationales und gastronomisches Kulturerbe", die Stopfleber mithin nicht zu verbieten. Auch um den ersten Manhattan-Guide von Michelin gab es Trouble. Zwar wurde New York mit 39 Sternen zweitbeste Gourmetstadt nach Paris. Aber getestet hatten eben französische Zungen, weshalb ihnen die US-Kritiker die amerikanische rausstreckten.

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einselig wurden die Winzer: 2005 war ein unerwartet gutes, wenn auch ertragärmeres Jahr, ideal für qualitätsvolle Knappheit und stabile bis anziehende Preise. Auf einer Glückswelle schwammen die Erzeuger von Spitzen-weinen, die vom "Riesling-Boom" bei den US-Connaisseurs profitierten. Sotheby's verzeichnete einen Rekord bei Weinauktionen: vollreife 29 141 723 Dollar.

X

XL-mäßiger Auftritt in Berlin: Das "Goya" will seit Dezember der definitive Hauptstadtclub für eigene Aktionäre und Dinner-Disco für Gesettelte ab 30 Jahren sein - mit mehr als 100 Metern Tresen an den fünf Bars und Europas größter Cocktailkarte. Der kleine Mann kann dagegen bei "Hooters" große Augen machen, denn die Burger-Kette expandierte in Deutschland - mit Bedienungen, die Halbnacktheit und XXL-Oberweiten zeigen. Nur die Verbraucherzentralen klagten über die FastFood-XXL-Formate. Ein "XXXXL-Menu" von Burger King hatte 2005 sogar 1700 Kcal - 80 Prozent des Tagesbedarfs.

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-Chromosom als Herd-Indikator? Auch 2005 verliefen sich nur wenig Männer in die häusliche Küche. Für Gäste kochen zu 71 Prozent die Frauen, zu 23 Prozent köcheln beide; nur in 5 Prozent der Fälle kocht der Mann. Bei Profiküchen ist es deutlich umgekehrt. In den 190 besternten Küchen Deutschlands sind nur fünf Frauen kreativ, 97,4 Prozent der Chefs sind Männer. Männer lieben "die Küche", Frauen schuften eher in ihr.

Z

eltspeisungen waren auch 2005 angesagte "Eatertainment-Events", weil Köche, die nicht am Herd verarmen wollten, zunehmend Unternehmer und dafür mit dem Zeitgeist spielten. Wodarz, Wohlfahrt & Witzigmann waren Show-Dompteure in eigenen Gourmet-Zelten: Ersterer stellt 2006 auf Erotisierung ab, Letzterer auf die Wilden Zwanziger mit GangsterEinlagen und Polizei-Razzia. Scharfe Hors d'Ïuvres und blaue Bohnen - danach die Rechnung, bitte!

Udo Pini
Mitarbeit: Nicola Kossel

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