Mittelmeerküche, das sind sonnengereifte Tomaten, Oliven, Kichererbsen, Koriander. Das ist Pasta, das ist Soul-Food. Und: Claudia Roden. Ohne die Britin wäre die Welt vielleicht nie, zumindest aber sehr viel später, auf den mediterranen Geschmack gekommen. Sie hat die Mittelmeerküche in die Welt getragen. Doch den großen kommerziellen Ruhm heimsten andere ein. Mit 85 Jahren wagt sie sich nun noch einmal ins Rampenlicht. Ihr neuestes Kochbuch, es ist ein komprimiertes Lebenswerk.
Claudia Roden sitzt in ihrem Londoner Büro, die Augen blitzen in die Laptopkamera. In ihrem Rücken biegen sich die Bretter ihres Bücherregals, Bücher stapeln sich am Boden, sie stapeln sich auf dem Schreibtisch. Ihren Inhalt trägt sie im Kopf. Wenn sie erzählt, dann sind es Monologe, kleine Abhandlungen über die Geschichte des Mittelmeerraums, über kulinarische Entwicklungen, Anekdoten von ihren Reisen. Sie jongliert mit Namen und Jahreszahlen, vermag andere schwindlig zu reden. Ihre achteinhalb Jahrzehnte Lebenszeit merkt man ihr nicht an. Sie ist hellwach und strotzt vor Selbstbewusstsein.
Roden ist in der Food-Welt eine große Nummer und das seit Jahrzehnten. Nicht wenige nennen sie eine Pionierin. Noch heute tingelt sie von Konferenz zu Konferenz, doziert, inspiriert. Die Britin ist Kochbuchautorin. Eine erfolgreiche, vielfach ausgezeichnete Kochbuchautorin. Hätte sie nicht einst das Abenteuer gesucht, wer weiß, ob Pasta und Co jemals so erfolgreich geworden wären.
Roden, eine Entdeckerin
Es war vor 35 Jahren, als Roden aus ihrer Welt ausbrach, um eine neue Welt zu entdecken. Ausgerechnet sie. Die Tochter aus großbürgerlichem Hause, die als Kind sephardischer Eltern in Kairo mit Bediensteten, Köchen, Nannys aufwuchs. Die lange in einem Kokon lebte, behütet lebte. Später in Paris zur Schule ging, in London Kunst studierte, schnell heiratete, Kinder bekam, sich wieder scheiden ließ und sich als Alleinerziehende durchschlug. Erst als ihre Kinder auszogen, zog auch sie los und ging auf eine Reise, die ihr Leben verändern sollte.
In Alexandria, dem Sehnsuchtsort ihrer Kindheit, fand sie Mitte der 80er-Jahre Freiheit, Unbeschwertheit, Fröhlichkeit, ein kosmopolitisches Miteinander und ihre Berufung. "Alexandria war Teil einer anderen Welt – einer Welt, zu der auch Marseille, Barcelona, Genua, Athen sowie Algier, Beirut und Tanger gehören, mit einer eigenen Kultur, so kraftvoll, dass das ganze Land davon beeinflusst war, als sei das Meer das Zentrum der Anziehungskraft", so Roden. "Diesen Geist wollte ich einfangen."
Mittelmeerküche: Eine Sprache mit vielen Dialekten
Sie wählte einen kulinarischen Ansatz. Schon 1968 hatte Roden mit "Die Küche des Vorderen Orients" ein erstes Kochbuch veröffentlicht, mit Rezepten ihrer Familie, ihrer Heimat. Ein Buch mit Rezepten, die zuvor nur mündlich überliefert wurden. Als sie sich aufmachte, die Mittelmeerküche zu erforschen, war auch diese noch weitgehend unbekannt.
"Als ich damals anfing, hat keiner regionale Speisen erforscht", sagt sie. Die einfache Mittelmeerküche interessierte zu diesem Zeitpunkt noch niemanden, es war die französischen Haute Cuisine, die den Ton angab. Sie fuhr nach Ägypten, nach Spanien, in den Libanon, die Türkei, Frankreich und Griechenland, Italien. Lernte Land nach Land kulinarisch kennen.
Speisen, die sie in Griechenland entdeckte, fand sie in Spanien, in Italien wieder. Gemüse, Fisch, Fleisch wiederholten sich. "Trotz gleicher Zutaten, gibt es eine unglaubliche Vielfalt. Jedes Land hat seine eigene Küche, jede Stadt, jedes Dorf eigene regionale Spezialitäten", sagt sie. Nach Jahrzehnten der Forschung sagt sie, die Mittelmeerküche, das sei eine Sprache, die in verschiedenen Dialekten gesprochen werde.
Essen als Lebensart
"Für mich wurde die Suche nach Rezepten zur Obsession", erzählt sie heute. Auch, weil sie neben den Speisen noch etwas anderes fand – eine Lebensart. "Essen ist ein verbindendes Glied, etwas Soziales, Geselliges. Das habe ich in Alexandria erlebt, in Thessaloniki, in Neapel. Überall habe ich mich zu Hause gefühlt, ich wusste, da gehöre ich hin", erzählt sie.
Roden sammelte diese Gerichte, fasste zusammen, was zuvor noch nie zwischen zwei Buchklappen gebracht worden war. Jahrzehntelang leistete sie Grundlagenarbeit. Damals sei es ihr wichtig gewesen, genau zu dokumentieren, nichts zu verändern. Es ging ums Bewahren der kulinarischen Tradition. Heute aber sieht sie das anders.

Claudia Roden schrieb für den Daily Telegraph und das Sunday Times Magazine. Sie veröffentlichte diverse Kochbücher, hatte eine eigene Kochshow. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Weltberühmt wurden andere. Viele Köche habe sie durch ihre Arbeit groß gemacht, viele Kochbücher ermöglicht. Bücher, die Bestseller wurden. Nur ihre eigenen, die setzten bei den Händlern Staub an. Ja, gibt sie zu, das habe sie geärgert. Roden weiß, wie das klingt, wenn sie das sagt, zuckt mit den Schultern. Bitter klingt es nicht. Es ist eine Erklärung.
Denn mit 85 Jahren hat sie sich nun frei gemacht von dem Anspruch, der lange die Triebfeder ihres Handelns war. "Früher dachte ich, meine Rolle besteht darin, zu lehren, die Küche publik zu machen, das muss ich jetzt nicht mehr", sagt sie. Und lacht: "Jetzt kann ich mein eigenes Ding machen." Herausgekommen ist "Mittelmeerküche". Ihr neuestes Werk, es ist ihr freistes.

Ein Buch für ein Lebenswerk
Ihr Leben habe sich verändert. Sie sei älter geworden, habe nicht mehr so viel Zeit und lebe allein. Das Kochen, das sei für sie ein Anlass, Menschen einzuladen. Ihr neues Buch spiegele das wider. Es seien Gerichte, die leicht umzusetzen und kombinierbar seien, dem Koch Raum für die Gäste ließen. Entstanden ist ein Querschnitt authentischer mediterraner Küche, voller Aromen und Leichtigkeit, vom Granatapfelsalat mit grünen Oliven und Walnüssen bis hin zur Rotbarbe mit Kräutern der Provence. Dieses Buch basiere auf erinnerten Gerichten, die ihr über Jahrzehnte begegnet seien, sagt sie. Es ist ein Buch, das für ein Lebenswerk steht.
Und dann muss sie los. Sie erwartet Gäste, muss noch an einem Menü-Plan arbeiten. Eine amerikanische Food-Journalistin hat sich angemeldet. Außerdem steht das Essen mit Yotam Ottolenghi an. Sie strahlt. Nein, Stress sei das nicht. Was, fragt sie, gäbe es Schöneres, als ein Essen unter Freunden.
"Mittelmeerküche" von Claudia Roden ist im Dorling Kindersley Verlag erschienen, 320 Seiten, 29,95 Euro.
*Dieser Artikel enthält sogenannte Affiliate-Links zu Produkten in Online-Shops. Klickt ein Nutzer darauf und kauft etwas, erhält der Verlag eine Provision vom Händler, nicht vom Hersteller. Wo und wann Sie ein Produkt kaufen, bleibt natürlich Ihnen überlassen.