"Auseinandersetzung im Freibad", "Tumult im Freibad", "Randale im Freibad". Wer sich dieser Tage durch die Pressemitteilungen der Berliner Polizei klickt, bekommt einen Eindruck davon, worüber Deutschland (wieder einmal) diskutiert: Was ist da los in den Schwimmbädern der Hauptstadt?
Die, die die Lage womöglich am besten beurteilen können, haben sich kürzlich mit einem Brandbrief zu Wort gemeldet. In dem zweiseitigen Hilferuf, der dem "Tagesspiegel" vorliegt, wollen die Mitarbeiter des Columbiabads im Stadtteil Neukölln auf das ihrer Ansicht nach "untragbare Ausmaß der Umstände" aufmerksam machen. Es ist ein Dokument mit verstörenden Schilderungen. Die Haus- und Badeordnung werde täglich vorsätzlich missachtet – und das scheint noch das geringste Übel zu sein. Das Freibadpersonal berichtet von massiven Respektlosigkeiten insbesondere von zumeist arabischstämmigen Jugendlichen, bis hin zu konkreten Drohungen. "Ich weiß, wo du um 21 Uhr Feierabend machst, und dort warte ich auf dich", zitieren die Verfasser. "Verbale Attacken, das Spucken oder Pöbeln" seien an der Tagesordnung.

Erst am vergangenen Sonntag eskalierte die Lage in dem Neuköllner Freibad erneut. Nach Rangeleien renitenter Besucher entschied sich der eigens eingesetzte Sicherheitsdienst zur Ultima Ratio. Er habe das Bad räumen wollen, teilte die Polizei mit. Trotz mehrfacher Aufforderungen durch Lautsprecher verließen einige Jugendliche und junge Männer das Wasser lange nicht und sprangen immer wieder hinein, beobachtete ein Reporter der Nachrichtenagentur DPA. Die Polizei musste anrücken und das Ende des Badebetriebs durchsetzen.
Freibad-Mitarbeiter schreiben Brandbrief
In einem anderen Bad im Stadtteil Kreuzberg sind am selben Tag zwei junge Männer verprügelt worden. Einer von ihnen soll eine 14-Jährige durch ein Gespräch belästigt haben, deren Bruder und mehrere weitere Männer sollen dann auf den 20-Jährigen und dessen 18-jährigen Begleiter eingeschlagen haben. In der Berliner Lokalpresse vergeht seit Saisonbeginn kaum ein Tag ohne neue Schreckensmeldungen aus den Freibädern. Videos der Randale landen regelmäßig in den sozialen Netzwerken – wie auch schon im vergangenen Jahr.
Ein Bademeister aus dem Columbiabad berichtet der "Bild"-Zeitung anonym: "Frauen, Schwule, queere Menschen und Juden, die hier einfach nur entspannen wollen, werden von den Tätern gezielt beleidigt, bespuckt und tätlich angegriffen. Diese Menschen passen nicht in ihr Weltbild und sind Freiwild." Die Täter seien "Jugendliche aus dem Bezirk". "Es sind keine Geflüchteten, sondern frustrierte Kids mit Migrationshintergrund im Alter von zwölf bis 20 Jahren." Die Ursachen für die Gewalt sind dabei offenbar nichtig und nicht nachvollziehbar: "Einige fühlen sich von den barbusigen Frauen provoziert. Da prallen Welten aufeinander. Und wo Erdplatten aneinander reiben, brechen Vulkane aus. Durch das Bad läuft ein Feuergürtel. Da kommt es eben immer wieder zu diesen Gewalt-Ausbrüchen. Ob sich das in den nächsten Jahren einspielt, weiß ich nicht", blickt der Mitarbeiter in die Zukunft.
Die Berliner Bäderbetriebe blieben untätig, berichten der Bademeister und seine Kollegen auch in dem Brandbrief. Das Personal werde vollkommen überfordert mit den Problemen alleine gelassen, so der Vorwurf. "Wir haben um Hilfe gebeten, es wird viel geredet, aber es passiert nichts. Wir können nicht mehr."

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Immerhin: Nach den jüngsten Vorfällen kündigt das städtische Unternehmen nun Konsequenzen an. "Alle Fragen zum Betrieb kommen auf den Prüfstand", heißt es in einer Pressemitteilung. Ziel sei es, "den Gästen einerseits einen schönen und sicheren Aufenthalt in den Bädern zu ermöglichen und andererseits Regelverstöße besser zu ahnden". Wie das passieren soll? "Denkbar seien veränderte Obergrenzen für Besucherinnen und Besucher, eine stärkere Sanktionierung von Zuwiderhandlungen gegen die Haus- und Badeordnung und veränderte Betriebsabläufe", heißt es. "Alles werde diskutiert."
95 Prozent der Freibäder ohne Probleme
Auch in anderen deutschen Freibädern gibt es gelegentlich Probleme mit bestimmten Besuchergruppen – eine Ballung der Gewalt wie in Berlin lässt sich aber nirgends feststellen. Auch ist in einem Großteil der Freibäder hierzulande nicht einmal ein spezieller Sicherheitsdienst notwendig – hier schaffen es die Bademeister und Rettungsschwimmer allein, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. Unter allen rund 6000 öffentlichen Hallen- und Freibädern gehe es an mindestens 95 Prozent der Orte sicher zu, sagt Peter Harzheim, der Präsident des Bundesverbands Deutscher Schwimmmeister (BDS), der DPA.
"Schwimmbäder sind Orte des Zusammenkommens, der Freude – und das soll auch so bleiben. Alle sind willkommen, müssen sich aber an die Regeln und Gepflogenheiten halten." Aus seiner Sicht spielt bei den Gewaltfällen eine Rolle, dass "verschiedene kulturelle Schichten vertreten sind, darunter viele junge Herren mit Migrationshintergrund". Nicht selten hätten Auseinandersetzungen mit "Männlichkeitsbildern" zu tun. Harzheim spricht von "Machos, die zugewandert sind". Der BDS-Präsident fordert mehr Polizeipräsenz in bestimmten Freibädern. "Nicht als Dauer-Unterstützung gedacht, sondern nur mal kurz vorbeischauen."

Das solle es in Berlin jetzt geben, kündigen derweil der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und seine Innensenatorin Iris Spranger (SPD) an. Bis auf Weiteres seien mobile Polizei-Wachen am Columbiabad in Neukölln und an einem weiteren Freibad in Kreuzberg geplant. Doch dies allein wird nicht reichen, wissen auch die beiden Politiker. Sie sehen auch die Berliner Bäderbetreibe in der Pflicht – die wiederum unter der Aufsicht des Berliner Senats stehen. "Da, wo mehr Personal benötigt wird, werden wir mehr Personal sicherstellen", sagt Wegner im ZDF-"Morgenmagazin" mit Blick auf eine Verstärkung der Sicherheitsdienste. Zudem sollten die Bäder von außen sicherer gemacht werden, indem Zäune erhöht oder verstärkt würden.
Mehr Polizei in Berlin gefordert
Auch Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei glaubt nicht, dass mehr Beamte das Problem lösen können. "Wir können definitiv nicht noch Hundertschaften in Freibäder stellen", sagt er dem Inforadio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg. "Wir kriegen das personell nicht gestemmt", so Jendro. Er fügt wie Wegner hinzu: "Polizisten sind auch keine Bademeister."
Der Gewerkschafter hält einen begrenzten Zugang für ein Mittel, um der Situation zu begegnen. Ziel müsse sein, dass nicht so viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen. "Weil: Dann kommt es eben zu Auseinandersetzungen, und dann braucht es auch nicht viel." Weiter sagt Jendro: "Und wenn wir natürlich noch junge, testosterongeladene Männer dahaben, bei denen die Zündschnur ohnehin ein bisschen kürzer ist, die vielleicht auch einen kulturellen Hintergrund mitbringen, sprich einen Migrationshintergrund, wo das Machogehabe ohnehin sehr ausgeprägt ist, dann braucht es wirklich nicht viel, dass es dann zur Eskalation kommt."
Einen kontrollierten Einlass will auch Bürgermeister Wegner erreichen. Künftig sollen Besucher und Besucherinnen demnach vorab personalisierte Tickets buchen oder sich am Eingang ausweisen. Spontane Besuche sollten weiter möglich sein, hieß es. Jedoch nur nach Vorlage eines Ausweisdokuments oder eines Schülerausweises bei Jugendlichen. "Wir werden darauf achten, dass jeder, der in ein Freibad kommt, im Vorfeld registriert ist", betont der Regierende Bürgermeister. Zudem müssten Hausverbote konsequent durchgesetzt werden. Ziel sei unter anderem, auffällig gewordene Täter von den Bädern fernzuhalten.

Inzwischen erreichen die Zustände in den Berliner Freibädern auch die Bundespolitik. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz äußert sich am Freitag auf seiner Sommerpressekonferenz zu dem Thema. "Es ist völlig richtig, wenn daraus die Konsequenz gezogen wird, jetzt auch Polizei einzusetzen", sagt der SPD-Politiker. Derartige Vorfälle dürften nicht "achselzuckend" zur Kenntnis genommen werden, meint Scholz. Es müsse klar werden, "dass wir als Staat das nicht dulden". Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach sich zuvor für mehr Polizeipräsenz aus. Der Rechtsstaat müsse gerade in öffentlichen Schwimmbädern, wo viele Kinder und Jugendliche seien, hart gegen Gewalt vorgehen.
Bei den Berliner Bäderbetrieben hofft man auf die Unterstützung der Politik. Rückendeckung für Maßnahmen gegen die Gewalt sei "unerlässlich". Unternehmenschef Johannes Kleinsorg dämpft aber Erwartungen an eine rasche Lösung aller Probleme: "Einiges werden wir schnell umsetzen, anderes wird Zeit brauchen", sagt er.
Vorerst sieht es am Columbiabad in Neukölln allerdings weniger nach Durchsetzung des Rechts als nach Kapitulation aus. Das Bad ist bis auf Weiteres geschlossen. Zu viele Mitarbeiter sind krankgemeldet.
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Quellen: Polizei Berlin, "Tagesspiegel" (kostenpflichtiger Inhalt), "Bild"-Zeitung (kostenpflichtiger Inhalt), Berliner Bäderbetriebe, ZDF-"Morgenmagazin", Inforadio, Nachrichtenagentur DPA