Mick Jagger von den Rolling Stones, berühmt für "Satisfaction", und der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, bekannt für Mund-zu-Mund-Beatmung und andere interessante Techniken, sollen dem SARS-geschüttelten Stadtstaat Hongkong neues Leben einhauchen. Seit die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Reisewarnung für die 7-Millionen-Stadt an der Mündung des Pearlflusses aufgehoben hat, stehen die beiden Rock- und Politstars auf der Wunsch-Gästeliste ganz oben. So wollen die Stadtväter betonen, dass sie noch immer eine Weltklasse-Stadt regieren. Die SARS-Krise allerdings hat gezeigt, dass das Führungspersonal Hongkongs eher für die zweite Liga oder Kreisklasse taugt. Auswechslung ist dringend geboten.
Über den Autor
Matthias Schepp, 39, arbeitet seit mehr als einem Jahrzehnt für den stern. Von 1992 bis 1998 berichtete er aus Moskau, 1999 eröffnete er das Büro des stern in der chinesischen Hauptstadt. Mit seiner Frau und den beiden Kindern Moritz (3) und Max (1) lebt er im Zentrum Pekings. Schepp, der in Mainz und Dijon Geschichte studierte, sagt von sich selbst: "Mich interessiert das Verhalten von Menschen in Krisen- und Umbruchzeiten. Das Ende des Kommunismus ist mein großes Thema. In Russland war es gleichsam ein Sekundentod, in Peking beobachte ich das langsame Sterben der Ideen von Marx, Lenin und Mao."
SARS offenbarte die tiefer liegenden Probleme Hongkongs
SARS hat die Krise verstärkt, in der das vormalige Wirtschaftswunderland seit 1997 steckt. Damals kollabierte in Asien eine Volkswirtschaft nach der anderen, damals gaben die Briten ihre Kolonie an China zurück. Auf dem Höhepunkt der SARS-Krise sank der Umsatz des Einzelhandels nun um 50 Prozent, die Passagierzahlen der Fluglinie Dragon Air fielen von 13.000 auf 700 pro Tag, die Hotels waren nur noch zu zehn Prozent gebucht und die Wachstumsprognosen schrumpften auf kümmerliche 0,5 Prozent.
Schlimmer aber: Durch SARS wurden die tiefer liegenden Probleme Hongkongs für jedermann sichtbar - für die eigenen Bürger, aber und für internationale Investoren, die ohnehin schon seit ein paar Jahren mit Shanghai als alternativem Standort flirten. SARS offenbarte:
1. Die Schwäche des Regierungschefs Tung Chee-hwa
Hongkong ist ein wohlhabendes Land mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Jahreseinkommen, das ungefähr dem von Deutschland entspricht. Trotzdem waren Regierungschef Tung Chee-hwa und seine Mannschaft unfähig, für Ärzte und Krankenschwestern moderne Schutzkleidung zu beschaffen, die verhindert hätte, dass sich Hunderte bei der Pflege von SARS-Patienten anstecken. Im gut regierten und straff organisierten Singapur, dem Erzkonkurrenten an der Südspitze der malayischen Halbinsel, war das kein Problem.
In Hongkong aber stammte bald jeder Vierte, der an SARS erkrankte, aus einem Krankenhaus - ein Armutszeugnis. Hongkong mit seinen glitzernden Bankentürmen und Luxus-Shopping-Malls sah auf einmal mehr aus wie Mali oder Burkina Faso. Erst eine Spendenaktion der angesehenen Tageszeitung "South China Morning Post" schaffte Abhilfe. Die Leser gaben Millionen, die modernen Ganzkörper-Schutzanzüge drückten die Zahl der Ansteckungen in den Krankenhäusern gegen Null.
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2. Die Abhängigkeit Hongkongs von Peking
Seit 1997, als Hongkong an China zurückgegeben wurde, gilt die Formel "Ein Land, zwei Systeme". Der große chinesische Reformer Deng Xiaoping hatte sie sich ausgedacht. In der SARS-Krise fand sie eine traurige Anwendung. Mitte November gab es den ersten SARS-Fall in der südchinesischen Guangdong-Provinz, direkt vor der Haustür Hongkongs.
Allerdings befanden es weder die Provinz- noch die Zentralregierung in den kommenden Monaten für nötig, Hongkong über das Problem zu informieren. Sie belogen die Stadt, die sich als Asiens Finanzzentrum sieht, so wie sie schamlos das eigene Volk, die Weltgesundheitsorganisation und die ganze Welt belogen. (Lesen Sie dazu den Tagebucheintrag vom 5. Mai: "Reform oder Revolution - wie SARS China verändert")
Anfang Januar berichtete eine mutige Zeitung in Kanton, der Hauptstadt der Provinz Guangdong, vom SARS-Ausbruch. Es kam zu Panikkäufen. In Honkong, nur zwei Zugstunden entfernt, aber griff niemand zum Telefon. Keiner traute sich, bei den Behörden der Volksrepublik nachzufragen, was denn los sei. Dabei hatte China 1997 Hongkong bereits die Vogelgrippe beschert. Dabei sind die Hongkonger Politiker seit Jahren bestens mit den Politikern in Peking vertraut. Sie wissen um deren Tendenz, Probleme totzuschweigen und Katastrophen zu beschönigen.
Tung Chee-hwa, wahrscheinlich in realistischer Einschätzung seiner eigenen Machtlosigkeit und stets um Unterwürfigkeit gegenüber Peking bemüht, kniff. Mitte März schleppte ein Professor, der in einem Kantoner Krankenhaus SARS-Patienten behandelt hatte, die tödliche Lungenseuche nach Hongkong. Ein Land - eine Krankheit.
Matthias Schepp