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Medienkolumne

Medienkolumne zur EM Scholls Witz und Usedoms Beitrag

Bilder, Analysen, Stimmungsmache: Mit dem Ausscheiden der DFB-Elf ist es Zeit, auch eine mediale Bilanz zu ziehen. Wie haben sich die Öffentlich-Rechtlichen bei dieser Europameisterschaft geschlagen?
Von Bernd Gäbler

Die Berichterstattung über den Fußball hat immer zwei Seiten: Das Management von Emotionen und die Analyse des Spiels. Die publizistische Kunst besteht darin, beides zu einem gelingenden Ganzen zu fügen. Bei diesem permanenten Versuch ging es dem Journalismus so ähnlich wie der Mannschaft: vieles war recht sympathisch, nett anzusehen, es gab überraschend gute Momente, aber am Ende fehlte doch etwas.

In der unmittelbaren Wiedergabe des Spielgeschehens selbst gab es noch am wenigsten Defizite. Natürlich sind die Reporter unterschiedlich gut. Manche "lesen" das Spiel ein wenig besser als andere, aber in der Regel haben sie ganz ordentlich erzählt und erklärt, was da zu sehen war.

Den UEFA-Richtlinien unterworfen

Eine große Routine gibt es inzwischen bei der bildlichen Darstellung des Spiels. Flüssig wird zwischen Totalen und Großaufnahmen variiert, allenfalls die Zwischenschnitte auf die immer gleichen "originellen" Fans sind auf Dauer etwas nervig. Allerdings hatten wir es - wie kaum je zuvor - mit von der UEFA "gesäuberten" Bildern zu tun: Wir sahen nicht die Flitzer, die Bengalos, keine doch noch entrollten politischen Transparente, keine Rowdies und Hooligans. Das deutsche Fernsehen hat sich diesen Richtlinien allzu brav untergeordnet und kaum eigene Akzente gesetzt. Auch von Ausschreitungen rechtsradikaler deutscher Fans, die es in Danzig gegeben hat, las man nur in der Zeitung.

Und die Politik? Julia Timoschenko und die Menschenrechte in der Ukraine? Das Thema war beendet, sobald der Ball rollte.

Mehmet Scholl war ein Lichtblick

Dankbar sein kann man für den Zufall, dass die ARD beim letzten Spiel der Deutschen an der Reihe war. Reinhold Beckmann und Mehmet Scholl erörterten die richtigen Fragen ("Woran liegt es, dass wir es nicht schaffen Titel zu holen?"; "Hat sich Jogi Löw bei der Aufstellung zu sehr nach dem Gegner gerichtet?") und ließen sich nicht zu sehr in den Sog einer nationalen Trauer hineinreißen. Überhaupt war Mehmet Scholl ein Lichtblick. Zwar agierte er nach seiner ersten, verbal etwas zu steilen, aber in der Sache richtigen Kritik an Mario Gomez ("wundgelegen") etwas zu gedämpft, aber er war doch ohne Besserwisserei und Schnellschüsse stets auf der Suche nach analytischer Klarheit. Ihm konnte man bei der Verfertigung seiner Gedanken gut zuschauen. Über das ZDF mit dem stets zusammengekniffenen Oliver Kahn dagegen muss nicht mehr viel gesagt werden. Der "Fußballstrand von Heringsdorf" war einfach ein Griff in die falsche Kiste. Was die große EM-Stimmungsmache werden sollte, sah aus wie der Krankenkassen-Ausflug auf eine Bohrinsel.

Die Blaskapellen-Abteilung

Überhaupt die Stimmungsmache! Viele Sportjournalisten glauben immer noch, es sei ihre zentrale Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ständig und unbedingt ein "Sommermärchen" (das Wort kann man nicht mehr hören) her muss. Ständig wird irgendwohin geschaltet ("Wie ist die Stimmung in ...?"), wo sich dann junge Reporter, platziert zwischen grölenden bunt-bemalten Fan-Haufen, hektisch das Wort erkämpfen. Aber irgendwie waren Polen und die Ukraine dann doch zu weit weg, der Sommer nicht schön genug oder die Spiele einfach noch nicht so entscheidend, dass der Funke zu einem erneuten Party-o-tismus flächendeckend übergesprungen wäre. Die WM 2006 war eben ein Heimspiel, die WM 2010 vor allem eine stilistisch positive Überraschung, während es 2012 dann doch nicht gelungen ist, den jugendlichen Sturm und Drang der Mannschaft mit reifer Strategie und Siegesgier zu verbinden.

Die Mannschaft bietet sich ja als Projektionsfläche für viele Assoziationen an. Für ein neues, frisches, sympathisches, multikulturelles Deutschland, das sich in der Welt zu benehmen weiß, soll sie vor allem stehen. Von den Stimmungsmachern wurde dieser Wink des Fortschritts in der Regel konterkariert. Insbesondere in "Waldis Club", der Volksmusik-Abteilung im ARD-Setting, war alles Johlen, Ballermann und Remmidemmi wie in der Fußball-Steinzeit. Leider paarte sich die "Ballermann-Atmosphäre" immer wieder mit Ressentiments, Überheblichkeit und Witze nach Schablone über Holländer, Frauen, Lothar Matthäus und Rainer Calmund.

Daumendrücker-Kolonnen in den Nachrichten

Nicht offen, nicht gestrig, aber heimlich gab es ihn doch, den Nationalismus. Es gab ihn fast immer, wenn die Genres verwischten. Warum schafft es ein Strandbummel zweier Fußballer am freien Tag bis in die Hauptnachrichten? Warum gab es alternativ zum Fußball keine vernünftige Berichterstattung zu den Parlamentswahlen in Griechenland und Frankreich? Warum haben die Daumendrücker-Kolonnen längst auch die Nachrichtensprache erobert, während im Gegenzug in keiner Sportsendung nüchtern erörtert wurde, ob nicht Dänemark gegen "uns" einen Elfmeter verdient habe. Als Badstuber Bendtner im Strafraum von den Beinen holte, wurde jede Zeitlupenwiederholung vermieden.

Ein neues Bedürfnis nach Analyse

Obwohl sie ja angeblich ungeliebt sind und auf dem absteigenden Ast, haben die großen Tageszeitungen - egal ob "FAZ", "Süddeutsche" oder "Tagesspiegel" - mit optisch opulenten EM-Beilagen die Verknüpfung von Spektakel und Analyse besser hinbekommen als das Fernsehen. Neben den großen Berichten und Interviews gab es eine Fülle von vergnüglichen Kleinformen: vom Gespräch mit Antonin Panenka über den "Löffel-Elfer" bis zum Plöner Apotheker Michael Tolle, der erzählt, wie er im Sommer immer mit dem kleinen Riccardo Montolivio gekickt hat. Es gab Kolumnen der Trainer Lucien Favre und Thomas Tuchel und die "Taktikschule" mit Mathias Klappenbach. Ausführlich erörtert wurde "die falsche Neun" der Spanier und im Internet erzielte die Seite "spielverlagerung.de" neue Klickrekorde. Das zeigt: In einem schmalen Sektor der Öffentlichkeit gibt es ein neues Bedürfnis nach taktischer Durchdringung es Spiels. Auch ARD und ZDF haben dies erkannt und immer wieder in Ansätzen in die Berichterstattung eingebaut.

Aber die Spanne von der grafischen Aufbereitung des massiven kroatischen Zentrums einerseits hin zum öden Ostseestrand oder zu Waldis Rummelbude auf der anderen Seite ist einfach zu groß, um im Resultat ein organisches Ganzes zu werden.

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