Ukraine, Griechenland, IS? Hatten dieses Mal Sendepause bei Günther Jauch. Die Redaktion hatte sich für ein "weiches" Thema entschieden, eines aus dem Inland noch dazu. "Von wegen, der Nächste, bitte...! Das lange Warten auf den Arzttermin" lautete es. Warum man über einen schon seit Jahren bekannten Missstand ausgerechnet jetzt diskutieren musste? Jauch erwähnt in seiner Anmoderation die "derzeit grassierende Grippewelle". Hüstel!
Entscheidender dürfte die Tatsache gewesen sein, dass Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) im Dezember ein neues Gesetz auf den Weg gebracht hat. „Versorgungsstärkungsgesetz“ heißt es. Erklärtes Ziel: "Kein Patient soll länger als vier Wochen auf einen Facharzttermin warten."
"Ich habe die Sprechstundenhilfe angelogen"
Bei Jauch rührte der Gesundheitsminister kräftig die Werbetrommel. Patienten sollen ab dem Sommer eine zentrale Hotline ("Terminservicestelle") anrufen können. Die kümmert sich um einen Facharzttermin innerhalb der nächsten vier Wochen. Sollte dies nicht klappen, wird der Patient ins Krankenhaus überwiesen. Kürzere Wartezeiten, das klingt erst mal gut. Aber: Weder hat der Patient Anspruch auf seinen Wunscharzt noch kann Rücksicht auf individuelle Schwierigkeiten genommen werden. Heißt: Womöglich bekommt man zwar einen früheren Termin, muss dafür aber weite Umwege in Kauf nehmen. Für Gröhe aber steht die schnellere Versorgung im Vordergrund. Monatelange Wartezeiten sollen damit Vergangenheit sein.
Stefanie Hehenberger sollte acht Monate auf einen Termin beim Neurologen warten. Die Friseurmeisterin wollte ein ungewohntes Zittern ihrer Hände abklären lassen. Doch kein Arzt in ihrem Wohnort bei München gab ihr einen Termin. Hehenberger war verzweifelt, im x-ten Anruf übertrieb sie ihre Symptome: "Ja, ich habe die Sprechstundenhilfe angelogen", sagt sie. Erst dann bekam sie einen Termin. Die Diagnose: bösartiger Hirntumor. Not-OP. Laut Ärztin hätte sie nur noch fünf Wochen zu leben gehabt.
Gehen wir zu oft zum Arzt?
Noch immer gibt es in Deutschland eine Zwei-K(l)assen-Gesellschaft: Wer privat versichert ist, kennt die beschriebenen Terminprobleme gar nicht. Wer gesetzlich versichert ist, für den sind sie Alltag. Besonders bei Augenärzten, Neurologen, Kardiologen und Orthopäden. Im Osten Deutschlands warten im Schnitt 39 Prozent der Patienten länger als vier Wochen auf einen Termin, im Westen 28 Prozent. Wie ein Hohn klang es da, als Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sagte: "In Deutschland sind die Wartezeiten sensationell kurz."
Gassen diagnostizierte einen anderen Grund fürs kränkelnde System: den Patienten selbst. "Viele gehen zum Arzt, ohne hin zu müssen." Jauch: "Interessant, dass sich ausgerechnet ein Arzt darüber beschwert, dass zu viele Leute zum Arzt gehen." Gassen sagte, 590 Millionen Behandlungsfälle pro Jahr seien zu viel. Man müsse "den unkontrollierten Zugang zu allen Fachärzten" steuern. Mit anderen Worten: Die freie Arztwahl einschränken. So sprach es Gassen zwar nicht direkt aus, aber seine Intention war klar.
Rettungswagen wie "ein Taxi"
Auch Notfallmediziner Paul Brandenburg erlebt regelmäßig, dass "Leute mit Rückenschmerzen vorbeikommen, weil die Klinik gerade auf dem Weg lag." Es sei leider keine Ausnahme, dass Patienten auch den Rettungswagen "wie ein Taxi" nutzen würden. Eine Taxifahrt, die im Schnitt 700 Euro kostet – worüber sich jedoch nur wenige Gedanken machen würden. Brandenburg: "Der Patient hat gefühlt eine Medizin-Flatrate, aber es gibt Dinge, die nicht 24 Stunden zur Verfügung stehen können." Die Notaufnahmen in den Krankenhäusern seien schon jetzt überlastet.
Zwischenzeitlich konnte man das Gefühl bekommen, das größte Problem in Deutschland seien Menschen mit dem Hobby "Arzt-Hopping". Doch wohin, wenn überhaupt kein Arzt mehr in der Nähe ist? Wie in vielen ländlichen Gebieten oder dort, wo der einzige Facharzt bald in Rente geht. Dem Thema Unterversorgung widmete sich die Runde jedoch viel zu kurz. Laut Gassen ist heute bereits jeder vierte Vertragsarzt über 60 Jahre alt. Junge Mediziner würden seltener eigene Praxen eröffnen – schon gar nicht in strukturschwachen Gebieten. Dass "regional eine starke Ungleichverteilung" herrsche, bestätigte auch Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann-Stiftung.
Gesundheitsminister Gröhe versprach, auch daran werde gearbeitet, in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die "natürlich" einem Ärztemangel entgegenwirke. Das zweifelte Notfallmediziner Baumann an, formulierte griffig seine Kritik: "Die Frösche verwalten ihren eigenen Sumpf", so Baumann. Es sei vielfach Usus, dass Ärzte nötige Nachbesetzungen blockierten – aus purem Eigeninteresse. Baumann: "Da muss ich auch ganz kritisch mit meinem Berufsstand sein."
Schwester Agnes soll's richten
Einen Lösungsansatz stellte Jauch dann doch noch vor: das Projekt Schwester Agnes, benannt nach einem DDR-Kultfilm aus den 70ern. Darin kurvte eben jene Schwester übers Land und entlastete Ärzte in Routineangelegenheiten, kümmerte sich etwa um ältere Patienten mit nicht lebensbedrohlichen Beschwerden. Derzeit wird das Projekt in Templin mit 90 Krankenschwestern erprobt. Gröhe: "Ein richtiger Schritt."
Doch im Sommer soll ja nun erst mal sein "Vorsorgestärkungsgesetz" kommen. Mit einer Hotline, die dem Warten ein Ende macht. Ausgerechnet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.