Am 25. Mai 2020 wird der schwarze US-Amerikaner George Floyd von einem rassistischen Polizisten ermordet. Drei weitere Beamte unterstützen ihn bei seiner Tat. Woher wir das wissen? Passanten filmen die Szene per Handy. Grausame Lynchjustiz trifft auf die Technologie des 21. Jahrhunderts.

Zur Person: Aurel Mertz
Ich bin Aurel Mertz. Ich bin in Stuttgart geboren, habe in Wien und Istanbul Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert und bin dann folgerichtig Comedian geworden und nach Berlin gezogen. Seitdem ich 2013 absurderweise von Frank Elstner entdeckt wurde, sieht man mich als Schauspieler und Moderator im Fernsehen und im Internet, sowie als Stand-Up Comedian auf den Bühnen des Landes. Wer schnell mehr von mir sehen will, kann das in meiner funk Comedyshow @aureloriginal auf Instagram.
Zwei Wochen später stehe ich umringt von tausenden Menschen zusammen mit meiner Schwester auf dem Berliner Alexanderplatz. Wir tragen schwarze Atemschutzmasken, bedruckt mit einer silbernen, in die Höhe gestreckten Faust. Meine Schwester hat sie extra für diese Black Lives Matter Demo genäht. Während den Reden versuchen wir immer wieder miteinander zu sprechen, aber es geht nicht. Unsere Stimmen sind brüchig. Wir heulen Rotz und Wasser. Ich möchte meiner Schwester sagen, wie stolz wir auf unsere Oma sein können, dass sie sich als Kind des Zweiten Weltkriegs schon in den 50ern gegen das Konstrukt Hautfarbe und Herkunft aufgelehnt hat. Sich in Hamburg in einen jungen Medizinstudenten aus Ghana verliebte und das Fundament für unsere auch heute noch bunte Familie legte.
“Sie sind talentiert, aber tief verdorben, Frau Mertz”, sagte ihr eine Dozentin auf der Modeschule. Als sie dann schwarze Zwillinge zur Welt brachte, trug man ihr nur das hellere der beiden Kinder ans Bett und legte ihr nahe, die beiden doch lieber an den Zirkus zu geben. Oma war das egal. Sie zog zwei wundervolle Söhne auf, die als erste Generation Schwarzer Stuttgarter schnell lernten in Polizeikontrollen einfach in feinstem Schwäbisch zu grüßen.
Um unsere Tränen voreinander zu verbergen, schieben wir uns die Sonnenbrillen tief ins Gesicht. Meine Schwester kratzt etwas Kraft zusammen und fragt mich, ob unser Papa mit mir schon mal über Rassismus gesprochen hat. Ich erzähle ihr, wie er als 17-Jähriger von in Stuttgart stationierten US-Soldaten beinahe totgeschlagen wurde. Da half auch kein Schwäbisch. Zitternd schiebt sie sich die Sonnenbrille noch tiefer die Nase hoch.
Die letzten Wochen waren für uns alle aufwühlend, aber aus unterschiedlichen Gründen. Wann immer ich mit weißen Menschen gesprochen habe, sagten sie: “Ja traurig, was gerade passiert.” Das “gerade” lässt mich stutzen. Als wäre gerade etwas Neues, Schlimmes passiert. Ja, es wurde ein schwarzer Mensch Opfer rassistischer Gewalt, aber das ist keine Neuigkeit. Das ist Alltag. Ja vor allem in den USA, aber auch hier. Für 2019 sind 22.337 rechtsmotivierte Straftaten in Deutschland registriert. Und wir wissen, wie schwer es ist, eine Straftat als rechtsmotiviert registrieren zu lassen. Der Täter von Hanau, der neun Menschen mit Migrationshintergrund in einer Shishabar erschossen hat, wurde übrigens nicht als rechtsmotivierter Täter eingestuft.
Jetzt ist die Chance, etwas zu verändern
Wenn ich mit schwarzen Menschen spreche, sind sie nicht traurig darüber, was “gerade” passiert, sie sind traurig über das, was seit Jahrhunderten passiert. Sie sind traurig, weil sie sich an die Momente erinnern, in denen sie verwundet wurden. Psychisch und physisch zum Opfer von Rassismus wurden. Sie denken an Situationen, in denen sie beleidigt, bespuckt, geschlagen und benachteiligt wurden. Sie sind traurig, nicht ausschließen zu können, dass ihre Kinder den selben Kampf gegen Diskriminierung werden kämpfen müssen. Hätten meine Großeltern in den 50ern gedacht, dass ihre Enkelkinder 70 Jahre später auf einer Demo stehen und weinen? Weinen, weil sie selbst Rassismus erfahren haben. Weinen, weil ihr Vater Rassismus erfahren hat. Weinen, weil ihre Freunde Rassismus erfahren haben. Weinen, weil es Rassismus überhaupt gibt. Was gerade passiert, ist nicht traurig. Es ist Hoffnung. Es ist ein Momentum. Es ist die Chance, etwas zu verändern. Wenn Menschen aus rassistischen Motiven ermordet werden, hat eine ganze Gesellschaft versagt. Also lasst uns gerne um die Vergangenheit weinen, aber nicht um die Gegenwart. #BLACKLIVESMATTER