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M. Beisenherz - Sorry, ich bin privat hier Habemus Harvey - der Fall Wedel und das späte Heldentum

Dieter Wedel
Micky Beisenherz befasst sich in seiner Kolumne mit Dieter Wedel
© Uwe Zucchi / DPA
Immer mehr männliche Weggefährten wagen sich aus der Deckung und äußern sich zu Dieter Wedel. Jetzt, wo niemand mehr Konsequenzen zu fürchten hat. Micky Beisenherz ärgert sich über den Zeitpunkt.

Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch. Jetzt haben wir auch unseren Harvey Weinstein. Das ist für ein Land, das aus Heino Ferch den deutschen Bruce Willis macht oder Veronica Ferres zur deutschen Meryl Streep hoch schreibt doch schon ein schöner Erfolg, irgendwie. Danke, Dieter Wedel!

Wir sind wieder wer. Kompliment auch an die "Zeit", für die das Ganze natürlich ein großer journalistischer Coup ist, der das Blatt dank sauberer Recherche jetzt als Erste den nationalen #metoo-Blattschuss vollziehen lässt.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Bedenkt man die weltumspannende Bedeutung dieser unschönen Thematik, kann man nur mutmaßen, wie gerne auch andere Magazine oder Zeitungen so einen kapitalen Zwölfender des (sexuellen) Übergriffs erlegt hätten.

Wie gesagt: Alles anscheinend sauber recherchiert, alles wasserdicht und im Detail selbst für diejenigen noch erstaunlich schlimm, die bei der Frage "gibt es in Deutschland auch einen Fall Weinstein?" für sich im Stillen bereits längst eine Antwort formuliert hatten.

Lassen wir hier ganz kurz die (mediale) Vorverurteilung, die bei einem so emotionalen wie klickstarken Thema kaum zu vermeiden scheint, beiseite. Okay, reden wir kurz drüber: Die Fälle Kachelmann oder Wulff haben gezeigt, was für schlimme Auswüchse so etwas haben kann und wie groß die Verlockung ist, sich über prominente Figuren zu profilieren. Machen wir regelmäßig. Ich sowieso. Schlimm genug. Sollte nicht sein. Oder zumindest seltener.

Eine Unsitte, die natürlich auch den sozialen Netzwerken geschuldet ist, in denen jeder schnell mit dem nächsten großen Ding aufwarten will. (An guten Tagen stirbt einfach nur der Ikea-Gründer, an dem sich dann alle abarbeiten können.)

Ich bin aber kein Staatsanwalt. Ein großes Glück für alle. Meine Auffassung von Recht allerdings ist, dass Straftaten wie Vergewaltigung keineswegs verjähren sollten und es absolut legitim ist, diesen Dingen auch nach Jahrzehnten noch nachzugehen.
Genau wie ich mir kein Urteil darüber erlauben mag, bis wann es einem Opfer zusteht über den Vorfall zu sprechen und warum das teilweise erst nach Jahrzehnten geschieht.

Die Sender ließen Dieter Wedel gewähren

Jetzt ist es natürlich nicht so leicht, diesen Fall zu klären. Stimmen die Vorwürfe, so hätte Wedel mit hollywoodreifem Elan gemobbt, vergewaltigt und einen filmischen Zwergstaat geleitet, dessen grausamer Herrscher er war. "Regie" klingt nicht von ungefähr wie "Regime". Das mitunter gebilligt von Sendestationen, deren Vertretern sogar Papiere vorlagen, in denen diese Vorgänge dokumentiert waren. Was scheinbar niemanden dazu bewegt hatte, diesen heftigen Berichten nachzugehen.

Wie gesagt: Bislang ist kein Urteil gesprochen und es gilt auch für denjenigen die Unschuldsvermutung, der in der Branche als so angenehm bekannt war wie Ben Becker als passionierter Smoothie-Trinker.

Mobbing oder Vergewaltigung nach teilweise über 40 Jahren sind Tatbestände, die entweder gar nicht oder deutlich schwieriger juristisch zu klären sind als, sagen wir mal, den Verfasser eines Gedichtes über Alleen und Bäume zu ermitteln.
Was allerdings nicht nur Vermutung, sondern belegbar ist, ist eine allgemeine Erleichterung in der Branche (der Begriff "Erleichterung" ist hier im vielfachen Wortsinne zu begreifen).

Jetzt wagen sich alle aus der Deckung

So wagen sich mehr und mehr männliche Weggefährten und Kollegen aus der Deckung, die via Facebook oder Twitter von schlimmen Verwedelungen zu berichten wissen, die entweder sie persönlich erlebt oder aber Freunde oder Freundinnen von ihnen haben erdulden müssen. Durch die Vielzahl der Ankläger wird die Vorverurteilung zur Schwarmwahrheit.

Da macht man dann Bekanntschaft mit einem Despoten im narzisstischen Amoklauf, schlimmen Tyrannen, Frauen-, Männer-, Menschenfeind, Monster, ja, dem größten Filmer aller Zeiten, dessen Treiben man bitte ein Ende setzen möge. Das lese ich natürlich gerne. Das ist schöner Klatsch. Da gucke ich mir sogar den großen Sat.1- Film zu an.

Wenngleich ich mich schon frage, wer es inszenieren wird - und wer dann wen spielt. Lauterbach Rudolph? Hoenig Adorf? (von denen sich zu dem Thema übrigens keiner öffentlich äußern wollte. Konsequent.) Das hat Wumms, da ist Leben in der Bude und der letztgültige Beweis, dass es im deutschen Unterhaltungsbetrieb natürlich keinen Deut ehrenhafter zugeht als in den USA (wo das weinsteinsche Leistungsprinzip zumindest eine Art Moratorium einzulegen scheint). Das ist wenig überraschend, aber doch saftig zu lesen, wenn es denn mal wer ausspricht.

Ärgerlich finde ich allein - und die Opfer nehme ich hier natürlich explizit aus - den Zeitpunkt des Befreiungsschlages, denn so richtig und eindrucksvoll die stündlich eintreffenden grausigen Schilderungen der entsetzten Kollegen und Weggefährten über Wedel und die Forderungen nach dessen bitte einzutretender Verbannung sein mögen: Mutiger hätte ich das Einstehen für Moral und Integrität gehalten, wäre man dem Monster gegenüber getreten als es noch nicht waidwund in der Horizontalen lag.

Jetzt, da der Protestler wider die Schreckensherrschaft keine Konsequenzen mehr zu fürchten hat, kann er gerne wie vorher auch: schweigen. Ein Held wirst du nur im Präsens.

M. Beisenherz - Sorry, ich bin privat hier: Habemus Harvey - der Fall Wedel und das späte Heldentum

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