Wir müssen alle damit fertig werden. Der unterfränkische Bluesrocksänger Andreas Kümmert ist zurückgetreten, bevor er sein Amt angetreten hat. Der Mann sollte unser Land ehrenvoll beim Eurovison Song Contest in Wien vertreten. Zuvor hatte der 28-jährige Sänger, den die "Bild"-Zeitung in unnachahmlicher Misanthropie einen "Klops“ nannte, souverän im Schlussspurt die laszive Ann-Sophie besiegt, eine Mischung aus Amy Winehouse und Pumuckl.
Doch dann bekam der Franke den Blues. Er mochte auf einmal nicht mehr zur Völkerschlacht nach Wien reisen. "Ich bin nicht in der Verfassung, die Wahl anzunehmen. Ich gebe den Titel an Ann-Sophie ab", stammelte er teilnahmslos der verdutzen Barbara Schöneberger ins Moderatoren-Mikro. Die machte das Beste draus und kürte kurzerhand die Zweitplatzierte zum Champion. Ein bitterer Sieg. Hatte der röhrende Zausel doch viermal mehr Stimmen von den Zuschauern bekommen.
Ann-Sophie geht nun beschädigt ins Rennen. Und wenn sie – was leider zu erwarten ist – keinen richtig guten Platz bekommt, wird es heißen: "Eigentlich sollte ja der Dicke mit der Mörder-Röhre nach Wien. Der hätte es gerissen!"
Ja, vielleicht. Aber man hätte das Desaster ahnen können. Andreas Kümmert ist ein begnadeter Sänger, aber keine Rampensau. Sieht man ihn, denkt man sofort: "Ach, da ist er ja, der nette Nerd, der mir den Computer wieder fit machen soll."
Kümmert wirkt wahrlich nicht wie ein Popstar: Stirnglatze, moppelig, klein, Brille, schüchtern, Zottelbart, Kapuzenpulli. Aber genau das alles machte ihn interessant, als er 2013 erstmals die Bühne der Castingshow "The Voice of Germany" betrat. "Was will der denn hier?“ dachte sich wohl so mancher, bis Kümmert den Mund aufmachte und mit einer Wahnsinnsstimme irgendwo zwischen Joe Cocker und Bob Seeger zu singen begann. Der hässliche Enterich wurde zum Prinzen der Herzen. Emotionen pur.
"Auf albernes Drumherum hatte ich Null Bock"
Hinzu kam, dass Kümmert stets bescheiden und ohne jede Allüren auftrat. Fast so, als ob er sich irgendwie auf die Bühne verirrt hätte. Souverän fuhr er den Sieg ein, ging auf Tour, spielte das sehr solide Album "Here I Am“ ein. Doch dann wurde es wieder still um ihn. Kümmert hatte von Anfang an mit dem TV-Format und der Glamourwelt gefremdelt. "Mir wurde versprochen, dass es nur um Musik geht. Auf so ein albernes Drumherum hatte ich Null Bock“, sagte er dem Kölner Express.
Dieser Satz hätte die Verantwortlichen des ESC alarmieren müssen, ist doch das "alberne Drumherum“ sozusagen der Markenkern ihres Wettbewerbs. Einen Mann in den Vorentscheid für Wien zu schicken, der sich nach eigenen Angaben "in kleinen Clubs wohler fühlt als auf der großen Bühne“, war offenbar keine so richtig gute Idee. Kümmert nahm schließlich schon 2013 nach seinem Castingshow-Sieg nicht an der obligatorischen großen "The Voice“-Tour teil, sagte krankheitsbedingt ab. "Ich war schon krank“, erkärte er. "Aber es war vielleicht auch der Druck, der mich krank gemacht hat.“ Es war ihm wohl schon damals alles zu viel.
Auftritt vor 70 Leuten in Eppingen
Warum er überhaupt am Vorentscheid teilgenommen hat, bleibt die große Frage. Kümmert ist erst einmal abgetaucht. Wenige Tage vor dem Vorentscheid hatte er noch in einem kleinen Club in Eppingen gesungen. Vor 70 Leuten. Für ein paar hundert Euro Gage. Und musste sich dort auch noch mit einer Gruppe von Besuchern auseinandersetzen, die seinen Gesang durch lautes Gerede störte. Er sei dabei ausfallend geworden, heißt es. Ziemlich unglamourös für "The Voice of Germany".
Vielleicht wollte er es jetzt doch noch mal allen zeigen. Vielleicht wurde er auch gedrängt. Es geht um viel Geld. Sicher scheint, dass er seine Entscheidung, nicht am ESC-Finale teilzunehmen, wohl allein gefällt hat. "Genau wie alle anderen Beteiligten hat sie auch uns unvorbereitet getroffen“, sagt seine Plattenfirma etwas bedröppelt. Aber wahrscheinlich war es die beste Entscheidung, die Andreas Kümmert für sich und seinen Seelenfrieden treffen konnte.