Eurovision Song Contest

Eurovision Song Contest "Ostblockmafia" ist geknackt

Irlands Truthahn wurde in Belgrad gerupft. Trotzdem war das erste Halbfinale des Eurovision Song Contests für die klassischen Grand-Prix-Nationen ein voller Erfolg. Erstmals konnten sie sich wieder gegen die osteuropäischen Staaten behaupten.
Von Jens Maier

Stell dir vor es ist Grand-Prix und keiner geht hin. Das erste Halbfinale des 53. Eurovision Song Contests (ESC) fand am Dienstagabend in Belgrad vor halbleeren Rängen statt. Die 10.000 Zuschauer fassende Belgrad-Arena war bei weitem nicht ausverkauft. Selbst die Kameraschwenks über jubelnde Fangruppen konnten die leeren Sitzplätze nicht verbergen. Das Experiment, erstmals zwei Semi-Finals durchzuführen, ist damit allerdings nicht gescheitert. Im Gegenteil, es war ein voller Erfolg.

Wir erinnern uns: Das Geschrei nach dem letzten Song-Contest-Halbfinale in Finnland war groß. Kaum eines der alt gedienten Grand-Prix-Nationen aus West-, Nord- oder Mitteleuropa hatte den Sprung in die Endrunde geschafft. Von "Ostblockmafia" war deshalb die Rede und davon, dass der Osten sich die Stimmen gegenseitig zuschustern würde. Neue Regeln sollten das jetzt verhindern.

Das scheint geklappt zu haben. Immerhin vier der im ersten Semifinale festgelegten zehn Endteilnehmer stammen aus Nationen, die schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs beim Grand Prix dabei waren: Griechenland, Finnland, Israel und Norwegen. Leer gingen in den Reihen der klassischen ESC-Länder nur Irland, Belgien und Holland aus. Ein Ergebnis, das angesichts der Darbietungen vollkommen in Ordnung geht.

Keine Lust auf Spaß-Nummern

Mit einer Handpuppe wollte Irland an erfolgreiche Zeiten - die Insel hat den Grand Prix so oft gewonnen wie keine andere Nation - anknüpfen. Doch Europa scheint keine Lust mehr auf Spaß-Nummern zu haben. Besonders nicht, wenn sie so wenig originell wie die von Dustin The Turkey sind. Dem Song fehlte eine eingängige Melodie. Für Riverdance wollten sich die Iren mit dem Auftritt entschuldigen. Doch singende Truthähne können noch schlimmer sein als hüpfende Männer.

Belgien trat zum zweiten Mal mit einer Nummer an, die in einer Fantasiesprache gesungen wurde. Für ein Land mit drei Amtssprachen mag das zwar die Lösung vieler Probleme sein, aber kein Grand-Prix-Hit. Die Niederlande hatten sich nach drei erfolglosen Versuchen besondere Mühe gegeben, wieder den Sprung ins Finale zu schaffen. Doch orientalische Klänge und freie Blicke auf die Schenkel von Sängerin Hind Laroussi Tahiri konnten die Zuschauer nicht überzeugen.

Finnland mit Lordi-Trick

Finnland hingegen hat den Einzug ins Finale mit dem Lordi-Trick geschafft. Teräsbetoni (Stahlbeton) ist erneut eine Heavy-Metal-Band - nur ohne Masken. Nachbar Norwegen setzte auf einen klassischen Pop-Song, gepaart mit der norwegischen Antwort auf Mariah Carey. Israel wird am Samstag mit dem erst 20-jährigen Boaz vertreten sein. Keine Überraschung, hatte doch eine alte Bekannte ihre Finger im Spiel: Dana International, Siegerin von 1998, hat den Song "The Fire In Your Eyes" geschrieben. Als so gut wie gesetzt galt von vornherein Kalomira aus Griechenland. Der Grund: Ihre Nummer klingt wie der Siegertitel von Helena-Paparizou aus 2005.

Und was hatte die Konkurrenz aus dem Osten bei diesem Halbfinale zu bieten? Rumänien, Bosnien und Herzegowina, Russland, Aserbaidschan, Armenien und Polen haben den Sprung ins Finale geschafft. Auch diese Zuschauerentscheidung ging im Großen und Ganzen in Ordnung - mit zwei Ausnahmen: Rumänien langweilte mit einer Ballade, vorgetragen von den rumänischen Albano und Romina Power. Und Bosnien und Herzegowina führte auf der Bühne Szenen aus der Balkan-Waschküche vor. Eine Performance mit Wäscheleinen, Röcken mit Äpfeln und einem Mann, der aus einem Wäschekorb springt. Derlei löste neben der Frage nach dem Warum auch Fremdschämen aus.

Aserbaidschan sofort im Finale

Aserbaidschan trat zum ersten Mal beim ESC an und kann sich sofort über einen Finalplatz freuen. Elnur und Samir inszenierten eine Nummer mit Feuerwerk, Kunstblut und Kostüm-Effekten und erinnerten ein wenig an die inzwischen in der Versenkung verschwundene Popstars-Band Nu Pagadi. Polens Final-Bemühungen hatten dank Isis Gee endlich Erfolg. Die sah zwar mit ihren gebleichten Zähnen, ihrer Solarium gebräunten Haut und ihrem blondierten Haar eher aus wie die polnische Antwort auf Donatella Versace, sang jedoch eine schöne Ballade. Armenien setzte auf Folklore, Sängerin Sirusho zudem auf Wackeln mit den Brüsten - mit Erfolg.

Ins Finale geschafft haben es

Griechenland, Rumänien, Bosnien und Herzegowina, Finnland, Russland, Israel, Aserbaidschan, Armenien, Polen, Norwegen

Und dann musste da noch einer das Halbfinale überstehen, den die englischen Buchmacher als Favoriten führen: Dima Bilan aus Russland musste sich beim Grand Prix 2006 mit dem zweiten Platz zufrieden geben, dieses Jahr soll es nicht weniger als der erste sein. Sein Titel "Believe" hat durchaus das Zeug dazu, auch wenn die englische Aussprache bei Bilan in den letzten zwei Jahren offenbar keine Fortschritte gemacht hat. Der Song ist ein klassischer Popsong, er ist zudem ein Mädchenschwarm, der sich auf der Bühne das Hemd aufreißt. Das könnte bereits der Sieger-Mix sein.

Allerdings lauern im zweiten Halbfinale noch einmal ein paar starke Kandidaten, die Bilan den Sieg vermasseln könnten. Ani Lorak aus der Ukraine zum Beispiel. Die Frau kann nicht nur gut singen, sondern ist auch noch das, was man einen heißen Feger nennt. Der Titel "Shady Lady" zudem schon nach dem ersten Hören ein Ohrwurm. Und auch die Schwedin Charlotte Perrelli weiß, wie man einen Grand Prix gewinnt: 1999 war sie als Charlotte Nilsson mit dem Hit "Take me to your Heavan" erfolgreich. 2008 tritt sie wieder mit typischem Schweden-Pop an.

Sollten es am Donnerstag neben Schweden noch mindestens zwei weitere alt gediente Grand-Prix-Nationen ins Finale schaffen, kann sich die European Broadcasting Union als Veranstalter endgültig auf die Schulter klopfen - leere Sitzplätze hin oder her. Das Gerede von der Ostblockmafia dürfte dann erstmal verstummen - zumindest bis zum Samstag. Dann könnten sich die verhinderten Ostblockstaaten rächen. Denn im Finale dürfen wieder alle 43 Nationen zum Telefon greifen.

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