Es dauerte zwei Minuten, vielleicht auch nur eine. Es ging "ruck, zuck", sagte er später, und es sei nicht unangenehm gewesen.
Sie spürte einen Schlag, das Brückengeländer an ihrem Kopf, ein Würgen. Später erbrach sie sich.
An einem Samstagabend im August 2002 lernen sie sich kennen. Sie, Sabine G.*, die Bankkauffrau aus Frankfurt, 26 Jahre alt, 1,70 Meter groß, sehr schlank, dunkles, gelocktes Haar. Er, Andreas Türck, der gelernte Industriekaufmann aus Wiesbaden, 33 Jahre alt, 1,89 Meter groß, dunkler Kurzhaarschnitt. Ein Gesicht aus dem Fernsehen. 850-mal hat er nachmittags für Pro Sieben einen TV-Talk moderiert, nebenher arbeitet er an seiner Gesangskarriere.
Es ist gegen 23 Uhr, die Dachterrasse der Frankfurter Sansibar ist voll, ein leichter Wind weht durch die Sommerdisco. Andreas Türck kommt mit seinem besten Freund, Ralf S., 34 Jahre alt. Er unterhält sich erst mit dem DJ, dann mit Petra, einer blonden Stewardess aus München. Er kennt sie aus dem Flugzeug.
220-mal ist er
im vergangenen Jahr geflogen, zu Aufzeichnungen nach Hamburg, zum Sender nach München, zum Shoppen nach New York. Der ehemalige Redaktionsassistent aus dem Hessischen ist zum gefeierten Star aufgestiegen. Schon kurz nach dem Start seiner täglichen Show Anfang 1998 ist er der erfolgreichste Nachmittagstalker. Im ersten Jahr stellt er einen Rekord auf, zwei Millionen Zuschauer mit der Sendung zu dem Thema: "Deine Freundin ist zu alt! Was willst du von der Mumie?"
Er produziert wie am Fließband, drei Aufzeichnungen am Tag, neun in der Woche, zehn Gäste pro Sendung, 90 Schicksale in drei Tagen. "Frauen sind dümmer als Männer", "Ich kriege alle rum" oder "Andreas, ich will wilden Sex!" sind seine Themen. In den Hamburger Edelhotels Atlantic oder Hyatt, wo er während der Produktion logiert, geben Teenies Unterwäsche und Liebesbriefe für ihn ab.
Andreas Türck sonnt sich im Ruhm. Er ist gern gesehener Gast auf Partys, da herzt er Verona Feldbusch, knuddelt mit Jessica Stockmann. In Interviews erzählt er, er sei extrem harmoniesüchtig. Leute, die mit ihm arbeiten müssen, kennen eine andere Seite. "Er ist arrogant und launisch", sagt ein Aufnahmeleiter. "Wenn was nicht funktioniert, explodiert er."
Anfang 2002 werden seine Shows aus dem Programm genommen, das Format hat sich abgenutzt. Doch Andreas Türck hat treue Fans. Auch in der Frankfurter Sansibar, an jenem Samstag im August.
Mädchen scharen sich um ihn, er gibt Autogramme, Digitalkameras blitzen. Sein Freund Ralf S. steht daneben und rollt genervt die Augen. Ein paar Meter weiter steht Sabine G., zusammen mit ihrer Freundin Tanja J.*, 21 Jahre alt. Sie trinken ihren zweiten Wodka Redbull. Sabine G. lächelt Ralf S. an, er lächelt zurück. An der Bar kommen sie ins Gespräch. Man bestellt drei Cocktails.
"Möchten Sie auch einen Orgasmus?", fragt die Freundin, als Andreas Türck dazukommt. Er möchte keinen. Er trinkt nur selten Alkohol, wegen seiner Migräne. Petra, die Stewardess, ist gegangen, er will nun auch gehen. Doch die drei bestellen eine weitere Runde Orgasmus, den süßen Mix aus Baileys und Sambuca.
Die beiden Frauen
seien sehr offen und sehr aggressiv gewesen, erzählt der Freund später der Polizei. Sie hätten sich die T-Shirts runtergezogen und den Brustansatz gezeigt. Außerdem hätten sie ihn sehen lassen, dass sie keine Slips trugen. Einen Slip trage sie immer, erklärt Tanja J. bei ihrer Befragung, außerdem sei ihre Corsage viel zu eng gewesen, um sie runterziehen zu können. Auch Sabine habe nichts dergleichen gemacht, das sei doch ordinär.
Um Mitternacht ist man sich einig: Der Abend soll weitergehen, in der Vinylbar, einer dunklen Szenekneipe, nur ein paar hundert Meter entfernt. Auch Andreas Türck findet es plötzlich nett, gemeinsam weiterzuziehen. Sabine G. meint, man könne zu Fuß gehen. Türck will unbedingt sein Auto mitnehmen. Tanja J. hat Schuhe mit hohen Absätzen an. Man trifft sich an der Tankstelle.
Als Andreas Türck mit seinem schwarzen Golf vorfährt, klettern sein Freund und Sabine G. auf die Rückbank, die Freundin sitzt vorn. Hinten kommt man sich näher. Ralf S. erinnert sich an Küsse, Sabine G. an den Eindruck, dass die beiden Männer da was falsch verstanden haben könnten.
An der Vinylbar gibt es keine Parkplätze mehr, Türck biegt nach links ab. Die Straße führt zu einer Brücke über den Main, die Honsellbrücke. Er kennt diesen Ort, schon ein paarmal hat er hier fotografiert. "Man hat einen tollen Blick auf die Skyline", schwärmt er. Seine Beifahrerin kann er nicht begeistern. "Den brauche ich nicht", sagt Tanja J., "den habe ich jeden Morgen, wenn ich aufwache." Sie will zur Bar, Türck steuert auf die Brücke zu, die Stimmung kippt.
Von dem Disput
hat Sabine G. auf dem Rücksitz nur Wortfetzen mitbekommen. Als der Wagen an einer Einbuchtung hält, wundert sie sich, dass weit und breit keine Bar zu sehen ist. In der Ferne nur ein Beton-Mischwerk, eine Fabrikhalle, Container. Sie spürt Panik. Sie will raus aus dem Auto.Sie steigt aus und geht über die Straße. Die anderen auch. Sabine G. schweigt. Die beiden Männer reden über Blenden und Blickwinkel. Irgendwann kommen Andreas Türck und Sabine G. ins Gespräch. Zu zweit gehen sie ein paar Schritte weiter, am Brückengeländer entlang. Die Luft ist warm.
Kurze Zeit später will er ihre Hand auf seiner Haut gespürt haben. Er sagt, er sei schnell erregt gewesen, sie habe seine Hose geöffnet. Sie sagt, sie habe ihn abgewehrt und den Kopf zur Seite gedreht. Er sagt, sie sei vor ihm auf die Knie gegangen und habe ihn oral befriedigt. Sie sagt, er habe sie gewürgt, damit sie den Mund aufmacht, und habe ihren Kopf gegen das Geländer geschlagen. Er sagt, es sei alles freiwillig gewesen. Sie sagt, er habe sie vergewaltigt.
Nach 10 bis 15 Minuten geht Sabine G. zu den anderen beiden zurück. Sie zieht ihre Freundin am Arm und sagt zu ihr: "Ich muss jetzt was essen, ich muss jetzt dringend einen Big Mäc essen, hörst du, ich muss jetzt einen Big Mäc essen." Sie will erst laufen, dann will sie fahren. Auch Andreas Türck ist zum Auto zurückgekehrt.
Gegen halb zwei hält der schwarze Golf vor der Sansibar. Die beiden Frauen steigen aus, Andreas Türck bleibt sitzen. Später kann sich Sabine G. nicht erklären, warum sie in dieses Auto überhaupt noch einmal eingestiegen ist. Tanja J. ruft "tschüs" und hakt sich bei ihrer Freundin ein. Vier Autolängen weiter sackt Sabine G. auf dem Asphalt zusammen. Sie erbricht und zittert am ganzen Körper. Ihre Freundin schleift sie zu einem Mauervorsprung. Sabine G., kalkweiß im Gesicht, von Weinkrämpfen geschüttelt, soll gestammelt haben: "Der hat mich vergewaltigt." Die Freundin hält ein Taxi an, Sabine G. setzt sich neben sie auf den Rücksitz und legt den Kopf auf ihren Schoß. Zu Hause schlägt die Freundin vor, die Polizei zu rufen und ins Krankenhaus zu fahren. Sabine G. sagt, dass sie das nicht durchsteht. Tanja J. wählt die Nummer von Ralf S. "Was hat denn dein Drecksarschfreund mit meiner Freundin gemacht?", will sie ins Handy geschrien haben. Ralf S. kann sich an ein derartiges Telefonat nicht erinnern.
Um 6.24 Uhr ruft Sabine G. einen Freund an, Danial Z. Sie soll geschluchzt und ihm gesagt haben, dass jemand sie vergewaltigt habe, Andreas Türck, der Moderator. Später telefonieren die beiden noch zweimal miteinander. Dabei soll sie Details erzählt haben. Ihr tue der Hals so weh und der Rücken. Sie habe am ganzen Körper blaue Flecken. Sie spüre fremde Hände an ihrem Körper. Sie habe Schweißausbrüche und habe drei Stunden in der Dusche gesessen.
"Dieses gottverdammte Schwein!", soll sie gesagt und auf Danials Frage, ob sie Türck anzeigen werde, geantwortet haben, ihr glaube doch keiner. Der habe ein totales Saubermann-Image. Die Polizei hört alles mit.
Die Ermittler zeichnen jedes Gespräch auf, das Danial Z. führt. Er steht unter dem Verdacht, mit Drogen und Waffen zu handeln. Sieben Monate später sitzt Danial Z. im Gefängnis. Erst jetzt greifen die Polizisten die Vorwürfe gegen Andreas Türck auf, sie wollten das andere Verfahren nicht gefährden. Am 3. April 2003 stehen sie morgens um halb acht vor seiner Zweizimmerwohnung in Wiesbaden-Biebrich, Hausdurchsuchung. Der Verdacht: Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall. Der Moderator fragt völlig überrascht: "Wollen Sie mich verarschen?"
Einen Monat später
sagt er bei der Polizei aus. Er beteuert, dass er keinerlei Gewalt angewendet habe. Die Initiative auf der Brücke sei von Sabine G. ausgegangen. Ihm sei es sehr wichtig, dass sich eine Frau bei ihm wohlfühle.
Auch Sabine G. muss sich wieder jene Nacht ins Gedächtnis rufen, an viele Details kann sie sich nicht mehr erinnern. So weiß sie nicht mehr, ob Andreas Türck sie geküsst hat und ob es nach dem Oralverkehr zu weiteren sexuellen Handlungen gekommen ist. Aber eines, erklärte sie der Polizei, wisse sie genau: dass etwas gegen ihren Willen passiert sei.
Es steht Aussage gegen Aussage, wenn am 9. August vor dem Frankfurter Landgericht der Prozess gegen Andreas Türck beginnt.
Es gibt keine Sachbeweise, und die Zeugen der Nacht widersprechen sich. Tanja J. sagt, sie habe nichts genau erkennen können, auch weil es so dunkel gewesen sei. Ralf S. sagt, er habe alles gesehen, die Frau habe alles freiwillig gemacht. Ralf S. kennt Andreas Türck schon aus dem Sandkasten. Seine Angaben bei der Polizei gleichen denen seines besten Freundes zum Teil bis aufs Wort. Die Staatsanwaltschaft vermutet, dass er teilweise gelogen hat.
Umso entscheidender wird für das Gericht sein, ob Sabine G. die Wahrheit gesagt hat. Ein psychologisches Gutachten zu ihrer Glaubwürdigkeit gibt darauf keine eindeutige Antwort. Wahrnehmungsverzerrungen seien nicht auszuschließen, schreibt die Gutachterin. Auch im Freundeskreis bezweifeln manche, dass sich alles so abgespielt hat, wie es Sabine G. darstellt. "Sie hat schon öfter solche Sachen erzählt", sagt ein Bekannter.
Diesmal aber sollen Spuren von Gewalt sichtbar gewesen sein. Das bezeugt außer Tanja J. auch eine weitere Freundin von Sabine G.: Sie habe am nächsten Tag rote Flecken an ihrem Hals gesehen, Kratzer und eine Beule am Kopf. Sabine G. hat sich seit jener Nacht im August verändert. Sie sei in sich gekehrt und trauriger, sagt die Freundin.
Auch Andreas Türck hat sich verändert. Er geht seltener aus und hat seinen Namen vom Klingelschild entfernt. Den Job bei Pro Sieben hat er verloren, seine neue Show hat Giulia Siegel übernommen. Er vertraut nur noch seinen Eltern und engsten Freunden. Einem hat er erzählt: "Es war eine Nacht ohne Logik."
* Name von der Redaktion geändert