Es rumort unter Deutschlands schlimmsten Verbrechern. Mörder, Vergewaltiger und andere gefährliche Serienstraftäter begehren auf. Die Sicherungsverwahrten in verschiedenen Gefängnissen der Republik haben sich zu Hungerstreiks entschlossen, Protestbriefe an ihre Anstaltsleiter geschrieben, Forderungskataloge aufgestellt. Ihr Ziel: bessere Haftbedingungen. Sie wollen Pay-TV-Empfang, Sporträume oder mehr Besuchsmöglichkeiten – ja, auch Damenbesuch. Es sind Menschen wie Wolfgang G., der seit fast 40 Jahren im Gefängnis sitzt, verurteilt wegen Mordes und mehrfacher Vergewaltigung, und der jetzt sagt: "Ich will ab sofort das Recht, wie ein Mensch zu leben."
Was im ersten Moment ziemlich dreist klingt, ist beim zweiten Hinschauen nicht so abwegig. Nicht nur der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, auch das Bundesverfassungsgericht mahnen den deutschen Staat, besser mit den Sicherungsverwahrten umzugehen. Denn bei ihnen handelt es sich um Täter, die ihre Strafe abgesessen haben, und nun wegen ihrer prognostizierten Gefährlichkeit weiter sitzen – vorbeugend sozusagen. Deshalb haben die Karlsruher Richter im Mai dem Gesetzgeber aufgetragen, die Umstände der Unterbringung bis 2013 so zu verbessern, dass der Unterschied zwischen den "normalen" Häftlingen und den Sicherungsverwahrten klar wird – das sogenannte Abstandsgebot.
Die Initiative hat ihre Nachahmer gefunden
Die SVer, wie sie sich auch selber nennen, wollen aber nicht so lange warten. In der JVA Celle traten fünf Häftlinge Anfang August in einen Hungerstreik. In ihrem 25 Punkte umfassenden Katalog verlangten die Inhaftieren neben "Freizeitmöglichkeiten auf Station" oder "Freien Einkaufsmöglichkeiten" auch "Frauen in SV". Wie vor allem der letzte Punkt genau umgesetzt werden soll, blieb unklar. Trotzdem griffen Boulevardmedien diese Forderung auf. Der Sprecher des niedersächsischen Justizministers machte dazu eine schnippische Bemerkung und wurde deshalb von Gefangenen wegen "bewusster Falschaussage und Volksverhetzung" angezeigt. Nun konnte er aber verkünden: "Der Streik ist seit Dienstag beendet." Man habe keine Zugeständnisse gemacht, jedoch könnten die Häftlinge mit lange geplante Verbesserungen wie gepolsterten Möbeln oder einem überwachten EDV-Raum rechnen.
In Niedersachsen mögen sie nun vorerst Ruhe haben. Doch der Protest hat Nachahmer gefunden: In der Berliner JVA Tegel verweigert eine Gruppe von anfangs sechs, nun noch vier, Sicherungsverwahrten seit Ende August das Essen, in Freiburg haben einige Insassen ihre Wünsche nach mehr Annehmlichkeiten der Anstaltleitung präsentiert und wollen dies auch beim baden-württembergischen Justizminister tun.
Doch der grundlegende Konflikt, der hinter den Protestaktionen steckt, ist noch nicht geklärt. Welche Rechte sind den Sicherungsverwahrten durch das BVG-Urteil entstanden und vor allem: Wann können sie mit einer Umsetzung rechnen? Diese Fragen betrifft nicht nur die Häftlinge aus Celle, Freiburg oder Berlin, sondern alle der rund 500 Sicherungsverwahrten.
"Ich will wie ein normaler Mensch leben"
Der Spruch aus Karlsruhe ist klar und unklar zugleich. Die Verfassungsrichter entschieden: "Die Gestaltung des äußeren Vollzugsrahmens hat dem spezialpräventiven Charakter der Sicherungsverwahrung Rechnung zu tragen und muss einen deutlichen Abstand zum regulären Strafvollzug erkennen lassen. Das Leben im Maßregelvollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen, soweit Sicherheitsbelange dem nicht entgegenstehen." Und: "Die (…) Vorschriften bleiben (...) bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber, längstens bis zum 31. Mai 2013, weiter anwendbar."
Über den Begriff "allgemeine Lebensverhältnisse" lässt sich nun trefflich streiten – und das tun die Betroffenen auch. Wolfgang G. ist seit 2009 in Freiburg in Sicherungsverwahrung. Der 64-Jährige verlangte in einem Brief an die Anstaltsleitung mit 22 weiteren Gesinnungsgenossen die Umsetzung der Richtervorgaben. Die Unterzeichner des Briefs fordern unter anderem ein Ende der Briefzensur und das Recht, ihr eigenes Essbesteck zu benützen. "Wir wollen nur Dinge, die nichts kosten", sagt G. "Unsere Rechte werden seit Jahren missachtet, nun reicht es." Ein Gespräch mit der Anstaltsleitung habe aber nichts ergeben.
"Natürlich nicht", sagt JVA-Chef Thomas Rösch: "Die Sicherungsverwahrten haben Forderungen, die schlicht den Gesetzen widersprechen. Wir können ihnen aus Sicherheitsgründen doch keine scharfen Messer geben, und die Briefzensur wird es auch nach der Gesetzesänderung 2013 geben." Im übrigen bittet Rösch, wie auch die Justizsprecher Berlins und Niedersachsens, um etwas mehr Geduld. Alle beteuern, es seien schon einige Haftverbesserungen für die Sicherungsverwahrten umgesetzt worden. Berlins Justiz betont, man gestatte mehr begleitete Ausgänge, es gebe längere Aufschlußzeiten, die Gruppenräume seien verschönert worden. Aber die Ministerien und der Anstaltsleiter weisen auch immer wieder darauf hin, das das Verfassungsgericht dem Gesetzgeber bis 2013 für weitere grundlegende Veränderungen Zeit gegeben hat und seit dem Urteil erst wenige Monate vergangen seien.
Eine Änderung würde Millionen kosten
Thomas Ullenbruch lebt im badischen Emmendigen, nur wenige Kilometer von der JVA Freiburg entfernt. Er ist als Mitherausgeber der "Neuen Zeitschrift für Strafrecht" auch ein anerkannter Fachmann für das Thema. Nur weicht seine Meinung entscheidend von der Röschs ab. "Die Anträge zur Nutzung einer Spielkonsole, der Empfang von Pay-TV, aber auch der Wunsch nach Damenbesuchen können nur noch abgelehnt werden, wenn die Sicherheit der Allgemeinheit oder einzelner Personen gefährdet wäre", sagt Ullenbruch, der Richter am Emmendinger Amstgericht ist.
Und was den Zeitpunkt angeht, ist für ihn klar: "Das müssen die Länder und Justizvollzugsanstalten ab sofort umsetzen." Die Ausflüchte der Gefängnisse und der Landesjustizministerien, der Bundesgesetzgeber müsse doch zunächst Vorgaben machen, seien "der untaugliche Versuch der Fortsetzung des aus der Vergangenheit sattsam bekannten Schwarze-Peter-Spielens. Und dazu werden unpopuläre Entscheidungen von einer langen Bank auf die nächste verschoben."
Warum interpretieren die beiden Fachleute ein und dasselbe Urteil so unterschiedlich? Eine wichtige Rolle spielt das Geld. Die Justizministerien rechnen jeweils mit Kosten in Millionenhöhe. Schließlich sollen die Hafträume umgebaut werden, sogar ganze Gefängnisneubauten entstehen, wie im niedersächsischen Roßdorf. Auch verlangt das Verfassungsgericht eine Verbesserung der Therapie – dazu muss aber zusätzliches Personal eingestellt werden. Die Folge: Jeder schiebt lieber den angesprochenen schwarzen Peter zur nächsten Instanz. Einen heiklen Punkt müssen vor allem die Anstaltsleiter beachten: Wenn sie die Sicherungsverwahrten mit Privilegien überschütten, bekommen das die anderen Häftlinge natürlich mit. Prompt entsteht Neid, gefängnisweiter Unmut droht.
Und natürlich ist auch der öffentliche Druck ein Grund für die Zurückhaltung der Gefängnisse, ausgerechnet ihren kriminellsten Insassen das Leben zu versüßen. "Eine Lobby gibt es gerade für Sicherungsverwahrte nicht", sagt Thomas Ullenbruch. Im Gegenteil: "Stammtische erklären sie für rechtlos. Und viele Politiker fragen als erstes, welcher Standpunkt am populärsten ist."
Angesichts dieser Ausgangslage kann der Jurist die Proteste, auch die Hungerstreiks, nachvollziehen. "Den Inhaftierten steht als Mittel der Auseinandersetzung wenig mehr als ihr Körper zur Verfügung." Es kann also gut sein, dass auch andere JVA-Leiter bald einen Forderungskatalog auf dem Tisch haben, in dem Insassen, wie in Celle, drohen: "Nicht sofort Umsetzung, ansonsten Hungerstreik!"