Der Hauptverdächtige im Fall der getöteten 14-jährigen Susanna kommt in Untersuchungshaft. Das habe die Ermittlungsrichterin angeordnet, teilte die Polizei Westhessen am Sonntagabend auf Twitter mit. Der 20 Jahre alte Iraker Ali B. hatte zuvor stundenlang im Wiesbadener Polizeipräsidium ausgesagt. Ein Dolmetscher war hinzugezogen worden. Der Verdächtige werde nun in eine Justizvollzugsanstalt gebracht, hieß es. "Der Transport erfolgt nach Beurteilung der Lage erneut mit unserem Polizeihubschrauber."
Der Iraker hatte die Nacht im Wiesbadener Polizeigewahrsam verbracht, nachdem ihn ein Polizeihubschrauber am Frankfurter Flughafen abgeholt hatte. Bundespolizisten hatten Ali B. am Samstag an Bord einer Lufthansa-Maschine aus der nordirakischen Stadt Erbil zurück nach Deutschland gebracht. Der Iraker steht im Verdacht, die am Mittwoch in Wiesbaden tot aufgefundene Susanna in der Nacht vom 22. zum 23. Mai vergewaltigt und getötet zu haben.
Falls Ali B. in Untersuchungshaft kommt, soll er möglicherweise in das Männergefängnis Frankfurt I gebracht werden. Dort könne er im Fall einer Suizidgefährdung besser überwacht werden, hieß es in Ermittlerkreisen. Üblicherweise werden junge Untersuchungshäftlinge in der JVA Wiesbaden untergebracht.
Mord an Susanna ist zum Politikum geworden
Das Verbrechen ist in zwischen zum Politikum geworden - und spaltet das Land weiter: Wer einen Eindruck davon bekommen will, der muss an diesem Wochenende auf die Straßen von Mainz blicken. Mehr als ein halbes Dutzend Demonstrationen und Trauerkundgebungen haben sich wegen des grausamen Mordes an der 14-Jährigen angekündigt.
Die einen marschieren gegen kriminelle Flüchtlinge und illegale Einwanderung. Die anderen gegen Vorurteile und Rassismus. Die AfD lädt zur Mahnwache. Motto: "Es reicht!" Im Jahr drei nach der Flüchtlingskrise geht ein tiefer Riss durch das Land. Der Fall Susanna erinnert an Freiburg, wo ein Flüchtling eine junge Frau vergewaltigte und sie ertrinken ließ. Er erinnert an Kandel, wo ein Asylbewerber aus Afghanistan unter dringendem Verdacht steht, kurz nach Weihnachten die 15 Jahre alte Mia heimtückisch erstochen zu haben, bald beginnt der Prozess. Jetzt werden schnell Parallelen gezogen. Das Muster scheint gleich: Ein grausames Verbrechen. Ein totes Mädchen. Ein beschuldigter Flüchtling.
Jeder Einzelfall schürt Empörung und Wut - und die Frage, inwieweit es überhaupt noch um Einzelfälle geht. "Das ist jetzt kein Einzelfall mehr", mahnt etwa die Ethnologin und Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Frankfurter Goethe-Universität, Susanne Schröter. Sie spricht von einem Kulturen-Clash in Deutschland. Die Gesellschaft müsse sich jetzt Konzepte für den Umgang mit patriarchalisch geprägten und aggressiven Männern überlegen.
Krimi mit Schauplätzen von Wiesbaden bis in den Irak
Aus dem Verbrechen wird ein politischer Krimi, der das Land in Atem hält - mit Schauplätzen von Wiesbaden über Berlin bis Irak. Der Fall politisiert und polarisiert so schnell und laut wie selten zuvor. Die "Bild"-Zeitung fordert in einem Kommentar, die Bundesregierung müsse die Familie von Susanna um Verzeihung bitten. Am Samstag meldet sich Kanzlerin Angela Merkel von Kanada aus zu Wort und spricht von einem "abscheulichen Mord", der entschieden geahndet werden müsse.
Die emotionalen Reaktionen auf den Fall Susanna veranschaulichen, wie Deutschland sich verändert hat. Schon im Sommer der Flüchtlingskrise, als Hunderttausende Menschen ins Land kamen, wurde davor gewarnt, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippen könnte. Mit der Kölner Silvesternacht 2015/2016 kippte sie dann wirklich. Nun der Mord an Susanna.
Dabei sind die genauen Umstände des Verbrechens noch ungeklärt. Das Mädchen ist noch nicht beerdigt, da wird Susanna zum Opfer der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel (CDU) stilisiert. Rechtspopulisten reiben sich die Hände. Die AfD inszeniert im Bundestag eine Schweigeminute, fordert den Rücktritt der Kanzlerin.
Auf Twitter ergießt sich unter dem Hashtag #Susanna blanker Hass. Der Spalt in der deutschen Gesellschaft wächst. Aus Willkommens- wird Wutkultur. Aus "Wir schaffen das" wird "Wir gegen die".
Die Umstände des Falls spielen den Flüchtlingsgegnern in die Hände: Ein irakischer Flüchtling, der in Deutschland vergeblich Asyl beantragt. Der mit Rechtsmitteln seine Abschiebung verhindert. Der mehrfach wegen Pöbeleien und Prügeleien mit der Polizei aneinandergerät. Dessen Name gar in Zusammenhang mit der Vergewaltigung eines elfjährigen Mädchens genannt wird. Und der dann in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit seiner ganzen Familie - allem Anschein nach problemlos - unter falschen Namen wieder in seine Heimat flüchtet.
Ali B. verlässt das Land als mutmaßlicher Mörder. Der 20-Jährige soll das junge Mädchen vergewaltigt, erdrosselt und vergraben haben.
Kontrollverlust eines überforderten Staates?
Der Fall Susanna weckt auch das Bild eines Kontrollverlusts, eines überforderten Staates, der die Asylpolitik nicht mehr im Griff hat - gerade in einer Gesellschaft, die Recht und Ordnung liebt. Schon wiederholen sich Forderungen nach schärferen Gesetzen. Und der aktuelle Skandal um Missstände beim Migrationsamt Bamf scheint den Eindruck staatlichen Versagens zu unterstreichen.
Die Mutter des Mädchens erhebt indes Vorwürfe gegen die Polizei. Sie meldete Susanna bereits einen Tag nach ihrem Verschwinden als vermisst. Eine Woche später bekommt sie von einer Bekannten ihrer Tochter eine Mitteilung, dass Susannas Leiche an einem Bahngleis liege. Die Beamten starten erst dann eine öffentliche Fahndung. Die Hinweisgeberin befragen sie aber zunächst nicht, weil sie auf Kurzurlaub mit ihrer Mutter sei.
Die entscheidenden Hinweise in dem Fall gibt den Beamten ein 13-jähriger Junge. Er nennt den Polizisten den möglichen Tatort - und Ali B. als möglichen Täter. Er ist ein Flüchtling aus Afghanistan.
Die Ermittler der Kriminalpolizei bitten weiterhin um Hinweise aus der Bevölkerung. Gesucht werden demnach Zeugen, die am 22. und 23. Mai verdächtige Beobachtungen in Wiesbaden-Erbenheim gemacht haben, wo später Susannas Leiche gefunden wurde. Hinweisgeber werden gebeten, sich unter der Telefonnummer (0611) 3455555 zu melden.