US-Kleinstadt Uvalde "Wir wollten so viele Leben wie möglich retten": Polizeichef verteidigt Vorgehen bei Massaker an Grundschule

Blumen, Briefe und Fotos vor der Robb Elementary School in Uvalde im US-Bundesstaat Texas
Blumen, Briefe und Fotos: Vor der Robb Elementary School in Uvalde im US-Bundesstaat Texas ist wenige Tage nach dem Massaker eine provisorische Gedenkstätte entstanden
© Chandan Khanna / AFP
Nach dem späten Eingreifen der Polizei bei dem Massaker an der Grundschule in Uvalde steht der Chef der Schulpolizei in der texanischen Kleinstadt im Zentrum der Kritik. Jetzt hat er sich erstmals ausführlich selbst geäußert.

Die Einsatzkräfte in Uvalde brauchten nach ihrem Eintreffen an der Rob Elementary School am Vormittag des 24. Mai mehr als eine Stunde, um den Attentäter auszuschalten. Als sie endlich in die Klassenräume eindrangen, in denen sich der Angreifer aufhielt, und ihn erschossen, waren 19 Kinder und zwei Lehrerinnen tot. Das späte Eingreifen der Beamten hat viel Kritik nach sich gezogen, in deren Zentrum vor allem Pete Arredondo steht, der Chef der Schulpolizei der texanischen Kleinstadt. In der US-Zeitung "Texas Tribune" hat Arredondo sich jetzt erstmals ausführlich zu dem Massaker geäußert und die Vorwürfe zurückgewiesen.

"Ich habe keine Befehle erteilt"

"Kein einziger Beamter hat auch nur einen Moment gezögert, sich in Gefahr zu begeben, um die Kinder zu retten", sagte der Polizeichef dem Blatt. "Wir reagierten auf die Informationen, die wir hatten, und mussten uns auf alles einstellen, was wir vorfanden. Unser Ziel war es, so viele Leben wie möglich zu retten, und die Evakuierung der Schüler aus den Klassenzimmern durch alle Beteiligten rettete mehr als 500 unserer Schüler und Lehrer aus Uvalde, bevor wir Zugang zu dem Schützen erhielten und die Bedrohung beseitigen konnten."

Das Ministerium für öffentliche Sicherheit in Texas hatte Arredondo als Einsatzleiter dargestellt, der den Beamten befohlen habe, den Angreifer als "verbarrikadiertes Subjekt" und nicht als aktiven Schützen zu behandeln. Dem widersprach der 50-Jährige in der "Texas Tribune". Er habe lediglich den Einsatz an vorderster Front geleitet und angenommen, dass ein anderer Beamter die Kontrolle über den größeren Einsatz übernommen hatte. Anweisungen, dass die Polizei nicht versuchen sollte, in die Räume einzudringen, habe er nie gegeben. "Ich habe keine Befehle erteilt."

Arredondo berichtete der Zeitung, dass er wenige Minuten nachdem der Schütze an der Schule angekommen war, in das Gebäude gerannt sei. Seine beiden Funkgeräte habe er nicht mitgenommen, weil er davon ausgegangen sei, dass jede Sekunde zähle, ihn die Geräte bremsen würden und er nicht beide Hände frei hätte, um seine Waffe schnell auf den Angreifer zu richten. Deshalb habe er auch keinen Kontakt zu den vielen anderen Beamten am Tatort gehabt und nichts von den Notrufen aus den Klassenzimmern gewusst, die bei der Polizei eingingen, während die Einsatzkräfte bereits dort waren.

"Mein Ziel war es, so schnell wie möglich vor Ort zu sein, jegliche Bedrohung zu beseitigen und die Schüler und Mitarbeiter zu schützen", so der Polizeichef. Weil er keine Funkgeräte hatte, habe er von seinem Mobiltelefon aus die Polizeizentrale angerufen und um eine taktische Einheit, Scharfschützen und Schlüssel oder Werkzeug zum Öffnen der Türen gebeten.

Die Türen der miteinander verbundenen Räume 111 und 112 waren dem Bericht zufolge stabil gebaut, verschlossen und mit Stahlriegeln gesichert — Maßnahmen, die eigentlich dem Schutz vor Angreifern wie dem 18-Jährigen dienen sollten. Sie hätten deshalb nicht einfach von den Einsatzkräften eingetreten werden können.

Kugeln durchschlugen Tür und Wände

Einmal habe er versucht, mit dem Schützen durch die Wände hindurch zu sprechen, doch der habe nicht reagiert, schilderte Arredondo die Ereignisse. Ein anderes Mal habe ein Kollege bemerkt, dass er keine Schutzweste trug und ihm Deckung geben wollen, damit er sich in Sicherheit bringen könnte. "Fick dich. Ich verlasse diesen Gang nicht", habe er geantwortet.

Nach Angaben von Arredondo gab der 18-Jährige sporadisch Schüsse ab. Einige der Kugeln hätten die Tür durchschlagen, andere seien durch die Wand des Klassenraumes hindurchgegangen und in der gegenüberliegenden Flurwand stecken geblieben. Er habe sich deshalb darum gekümmert, dass die Schüler und Lehrer aus den anderen Räumen evakuiert werden.

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"Die Munition durchschlug zu diesem Zeitpunkt die Wände", sagte Arredondo. "Wir haben ihn in die Enge getrieben, wir konnten nicht zu ihm vordringen. Es wurde klar, dass wir die Klassenzimmer evakuieren mussten, während wir einen Weg fanden, um hineinzukommen." Er habe deshalb die Beamten angewiesen, die Fenster der anderen Klassenzimmer einzuschlagen und die Kinder und Lehrer herauszuholen. Sie sollten nicht in den Flur kommen, weil er befürchtete habe, dass der Lärm die Aufmerksamkeit des Schützen auf sich ziehen könnte.

Werkzeuge, mit denen man die Tür hätte aufbrechen können, seien nie eingetroffen, berichtete die "Tribune". Und mehrere Versuche, sie mit Schlüsseln zu öffnen, seien fehlgeschlagen. "Jedes Mal, wenn ich einen Schlüssel ausprobierte, betete ich, dass einer von ihnen die Tür öffnen würde", zitierte die Zeitung Arredondo. Irgendwann sei ein passender Schlüssel gefunden worden und ein Team von Einsatzkräften sei in das Klassenzimmer eingedrungen und habe den Angreifer erschossen.

Justizministerium untersucht Vorgehen in Uvalde

Ob das verzögerte Eindringen der Polizei in das Klassenzimmer zusätzliche Menschenleben gekostet hat, wird womöglich niemals mit Sicherheit zu klären sein. Es gebe aber Anzeichen dafür, berichtet die "Texas Tribune". So sei eine der Lehrerinnen erst während des Transports ins Krankenhaus gestorben, was darauf hindeute, dass ein schnelleres Ausschalten des Schützen einen Unterschied gemacht haben könnte. Andererseits seien viele der Opfer wahrscheinlich sofort tot gewesen, schreibt das Blatt. Ein Kinderarzt, der sich um die Schülerinnen und Schüler gekümmert habe, habe die kleinen Körper als "pulverisiert" und "enthauptet" beschrieben. Einige der Kinder hätten nur anhand ihrer Kleidung und Schuhe identifiziert werden können.

Das Vorgehen der örtlichen, staatlichen und bundesstaatlichen Behörden beim Massaker in Uvalde wird derzeit vom US-Justizministerium und dem texanischen Ministerium für öffentliche Sicherheit untersucht. Es ist außerdem Gegenstand eines Untersuchungsausschusses im Kongress in Austin.

Quellen: "Texas Tribune", NBCNPR, CNN

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