Mit dem coronabedingtem Lernen zu Hause haben Eltern und Kinder zunehmend Schwierigkeiten. Zwei Drittel der Mütter und Väter fühlen sich damit überfordert sind gestresst, und ein Viertel fürchtet in einer Online-Befragung der Landesinitiative für Bildung, dass ihr Nachwuchs beim sogenannten Homeschooling nicht genügend lernt.
Nicht alle Eltern haben Zeit, die Hausaufgaben ihrer Kinder intensiv zu begleiten
Die Schwierigkeit: Hausaufgaben trudeln auf verschiedensten Wegen bei den Familien ein – per Post, auf Lernplattformen, per Email, am Telefon oder auch zum Abholen in der Schule.
„Auch wir sollen in die Schule kommen und für unseren Erstklässler Arbeitspakete abholen“, berichtet die dreifache Mutter Sarah Depold aus Berlin. „Das möchten wir aber nicht, weil zeitgleich alle Klassen ihre Aufgaben abholen und man sich dort unweigerlich begegnet. Leider ist es technisch nicht möglich, die Arbeitspakete zu uns nach Hause zu schicken.“
Lehrkräfte müssen das richtige Maß finden, was die Menge der Aufgaben und die Stoffauswahl betrifft. Außerdem ist der Kontakt zu Schülern und Eltern wichtig. „Unser Fünftklässler hat jede Woche zweimal 45 Minuten Videounterricht“, fährt Sarah Depold fort. „Eigentlich ist es kein richtiger Unterricht, es werden Dinge vorgestellt, doch eine Kontrolle seitens der Lehrerinnen findet nur selten statt. Das müssen wir Eltern machen. Es geht darum, Arbeitsblätter abzuarbeiten und freitags wird die Lösung zugeschickt, die er dann selbst kontrollieren muss.“ Ob es benotet wird, weiß die 34-Jährige nicht. Davon wurde in der Schule nichts gesagt.
Sarah Depold und ihr Mann Sascha (34) arbeiten beide in der IT-Branche, aktuell im Homeoffice und betreuen ihre Söhne (10 und 6) im Homeschooling. Außerdem will auch ihre dreijährige Tochter zu Hause beschäftigt werden. Eine große Herausforderung.
Der älteste Sohn ist gut organisiert und regelt fast alles allein. „Anders ginge es auch nicht bei drei Kindern“, die Mutter. Ihre Söhne besuchen eine sehr alte Schule, moderne Technik gibt es so gut wie gar nicht. „Dadurch müssen wir Eltern plötzlich so viel mehr arbeiten, zum Beispiel Mails ausdrucken und Arbeitsblätter für die Kinder beschaffen. Wir stehen ständig unter Druck. Aber wir müssen’s ja machen, damit unsere Kinder nicht auf der Strecke bleiben.“
Homeschooling überfordert viele Eltern
Nicht alle Eltern sind der ungewohnten Rolle als Hilfslernkraft gewachsen. Manche haben auch keine Zeit, die Hausaufgaben ihrer Kinder intensiv zu begleiten. Um alles zu wuppen, haben sich Sarah und Sascha in Arbeitsschichten eingeteilt. Sascha übernimmt die Schicht von 7–10 Uhr. Sarah von 10–14 Uhr. Dafür muss sie dann auch nicht kochen. In der Mittagspause kommt der digitale Babysitter zum Zuge: die Jungs dürfen an die Spielekonsole. Von 15–18 Uhr ist dann wieder ihr Mann dran, alle drei Kinder zu bespaßen.
Dann geht‘s raus zum Spielen oder drinnen werden Brettspiele gespielt. Um 18 Uhr ist Abendbrot. Die Familie isst dann nur kalt, auch das spart Zeit. Ansonsten gibt es mittags Schnellgerichte: z. B. Ofenpasta mit Gemüse. Die Eltern lassen sich die Einkäufe liefern und organisieren alle Termine digital. Anschließend heißt es: fertig machen fürs Bett und vorlesen. Jeder schnappt sich eines der kleinen Kinder und liest aus einem Buch vor. Die Auswahl ist groß, denn Sarah stellt auf ihrem Blog auch Kinderbücher vor. Die Lesekompetenz ihrer Kinder ist ihr sehr wichtig.
Beim Homeschooling zeigt sich, wer pädagogisches Talent hat
„Unter der Woche haben wir kaum Familienzeit. Das ist schon belastend“, sagt Sarah.
Nach dem gemeinsamen Frühstück um acht Uhr werden die beiden jüngeren Kinder fertig gemacht: Zähneputzen, anziehen. Von 8:30 bis 10:30 Uhr findet dann Homeschooling statt. Feste Strukturen und ausreichend Pausen sind das A und O. „Unser Sechsjähriger braucht viel Motivation. Obwohl er super pfiffig ist und die Aufgaben auch gut bewältigt, wird es zunehmend schwieriger, ihn dazu zu bewegen. Zwischendurch machen wir immer wieder kleine Pausen und es gibt eine Belohnung, zum Beispiel Snacks wie Brezeln, aber selten Süßes. Es hat ja Gründe, weshalb Eltern keine Lehrer und Lehrerinnen sind. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern leidet. Der Nachwuchs erlebt Mama und Papa in einer ungewohnten Rolle, da kommt es leicht zu Konflikten. Wir hoffen wohl alle, dass diese Pandemie bald zu Ende geht.“
Püppiline freut sich schon sehr auf die Kita. Sie vermisst ihre Freundinnen. Die Söhne sind froh, dass sie jetzt mehr zocken können, weil ihre Eltern die Mittagspause dafür ausgerufen haben.
Wenn alle Familienmitglieder auf einem Fleck hocken
Der Lernort Schule ist für viele Erfahrungen wichtig. Nicht alles geht allein zu Hause. Wenn alle Familienmitglieder auf einem Fleck hocken, ist das für alle eine riesige Umstellung. Sarah Depold, die auf ihrem Blog mamaskind.de vom bunten Alltag mit ihrer Familie in Berlin-Wilmersdorf (inzwischen Berlin-Lichtenrade) berichtet, achtet darauf, ihre Söhne beim Homeschooling nicht zu überfordern.
Nach zwei Stunden endet der Unterricht für den Erstklässler. Auch ihr Ältester lernt am Vormittag – selbstständig. Das Programm wird ganz straff durchgezogen, schließlich brauchen die Eltern noch genügend Zeit für ihre eigene Arbeit. Sarah hat als SEO-Expertin vor zehn Jahren ihren Blog gegründet. Inzwischen betreibt sie ihn hauptberuflich. Dort behandelt sie Themen wie Schule und Einschulung, Gesundheit und Ernährung oder gibt Tipps für den perfekten Kindergeburtstag.
„Unsere Kinder haben jetzt viel mehr Freizeit als früher“, sagt sie. „Mein Mann und ich haben allerdings fast keine Zeit mehr für uns. Dabei ist es so wichtig, mal über normale Dinge zu reden, außerhalb der Kinderwelt. Das Miteinander als Paar darf nicht zu kurz kommen.“ Sarah und Sascha arbeiten abends, aber um 21 Uhr ist neuerdings Schluss. „Danach haben wir uns Paarzeit verordnet, sehen gemeinsam fern oder kochen etwas. Aber auch wir sehnen uns nach Normalität!“