Ostseeinsel Auf Bornholm zittert die Erde – durch akustische Druckwellen. Ihr Ursprung ist rätselhaft

Svaneke an der Ostküste von Bornholm
Svaneke an der Ostküste von Bornholm. In der Region kam es am Wochenende zu erdbebenähnlichen Erschütterungen. Die genaue Ursache ist aber noch unklar.
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Am Wochenende wurden die Menschen im Osten der dänischen Ostseeinsel Bornholm von Erschütterungen aufgeschreckt. Was man zuerst für ein kleines Erdbeben hielt, sollen akustische Druckwellen gewesen sein, so Experten. Doch was ist ihre Quelle? Es gibt viele Theorien. 

Am Samstagnachmittag erzittert der Osten der dänischen Ferieninsel Bornholm. Zeugen berichten von klirrenden Fenstern, einem Druckabfall, seltsamen Geräuschen, Vibrationen. Aus Supermarktregalen seien Flaschen gefallen. Die Polizei berichtet, dass sie mehrere Meldungen über die Erschütterungen erhalten habe und man die Hintergründe untersuche.

War es ein Erdbeben? Das Geologische Institut für Dänemark und Grönland (Geus) teilt bereits wenige Stunden nach dem Beben mit: Die Erschütterungen stammten wahrscheinlich von einem Erdbeben in Polen. Bornholm liegt etwa 100 Kilometer nördlich der polnischen Küste.

Der genaue Ursprung des Bebens, welches mit einer Stärke von 2,3 auf der Richterskala angegeben wurde, war jedoch unbekannt. Die Polizei prüfte gemeinsam mit dem dänischen Militär, ob eine Militärübung in Polen dahintersteckte. Dort findet gemeinsam mit Nato-Bündnispartnern die Übung "Anakonda 23" statt, die noch bis zum 26. Mai läuft.

Eine Explosion in Polen als Ursache?

Tags darauf meldet Geus: Es war kein Erdbeben, sondern vermutlich Schallwellen einer Sprengung. "Wir wissen nicht genau, warum die Menschen auf Bornholm diese Erschütterungen in ihren Häusern erlebt haben, aber wir können ausschließen, dass sie durch ein Erdbeben verursacht wurden", sagte Trine Dahl-Jensen, leitende Forscherin bei Geus, dem Sender DR Bornholm.

Ihre Daten zeigten, dass es eine größere Sprengung in Polen kurz vor 15 Uhr gegeben habe, also kurz vor den Erschütterungen auf Bornholm. "Doch das ist nichts, was wir bestätigt bekommen haben", sagte Dahl-Jensen.

Sie denke, dass die Erschütterungen auf ein akustisches Phänomen zurückzuführen sind. Es sei unwahrscheinlich, dass die Menschen auf Bornholm Erschütterungen durch eine mögliche Explosion gespürt haben.

"Wir glauben, dass es sich um Schall handelt, der sich ausgebreitet hat. (…) Wir haben aber noch nicht herausgefunden, was den Schall verursacht hat", sagte sie dem Fernsehsender TV2.

"Akustische Druckwellen" als Ursache für Erschütterungen auf Bornholm?

Am Montag korrigiert sich Geus dann nochmals. Ja, es waren "akustische Druckwellen", die auf Bornholm für die Erschütterungen sorgten. Doch die Seismologen halten es inzwischen für unwahrscheinlich, dass eine Sprengung in Polen die Quelle ist. Die Druckwellen stammten laut Geus von einem oder mehreren Ereignissen aus der Atmosphäre. Was genau aber dahinter steckt, sei unklar.

Damit hat das große Rätselraten begonnen. Expertinnen und Experten werfen ihre Theorien in den Raum, wer oder was für das Beben vom Samstag verantwortlich sein könnte.

Henning Haack, Geophysiker und Meteoritenexperte, sprach in der Zeitung "Berlingske" von zwei Möglichkeiten: Entweder waren es ein Meteorit oder mehrere Überschallknalle von Militärflugzeugen.

"Ich bezweifle allerdings, dass es sich um einen Meteorit handelte, denn am Samstagnachmittag herrschte in der Gegend offenbar klares Wetter, und jemand hätte eine Feuerkugel gesehen – vor allem, wenn sie so heftig war, dass sie den Boden erschüttern konnte."

Experten halten Militärflugzeuge als wahrscheinlichste Ursache

Also waren es Militärflugzeuge?

Flemming Christensen, Dozent für Akustik an der Universität Aalborg, hält dies für am wahrscheinlichsten. "Am ehesten würde ich vermuten, dass es sich um einen Überschallknall von Flugzeugen handelte, deren gemeinsames Merkmal es ist, die Schallmauer zu durchbrechen", sagte er der Zeitung "Politiken".

Auch im benachbarten Schweden – wo die Erschütterungen im Süden auch gespürt wurden – deutet man auf Kampfjets als Ursache. Das sagt zumindest Björn Lund, Seismologe an der Universität Uppsala.

"Wenn wir Berichte über Rumpeln und Beben erhalten, ist es fast immer so, dass die Luftwaffe die Schallmauer auf See durchbrochen hat und die atmosphärischen Bedingungen so waren, dass der Überschallknall über Land kam."

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Doch welches Land hinter dem möglichen Überschallknall steckt, ist bislang unklar. Die dänische Luftwaffe teilte "Berlingske" jedenfalls mit, dass sie zu besagtem Zeitraum nicht in der Gegend aktiv waren.

Eine Rolle könnte allerdings auch das Wetter gespielt haben.

Inversionsschicht in der Atmosphäre könnte Rolle gespielt haben

René Fleron, Bauingenieur und Projektleiter bei DTU Space, erklärte der Zeitung "B.T.": "Die Atmosphäre ist so aufgebaut, dass wir verschiedene Schichten haben. Je höher wir steigen, desto niedriger ist die Temperatur. Aber unter den richtigen Wetterbedingungen kann sich eine Inversionsschicht bilden, in der sich Druck und Temperaturen ändern." Dies könne dann den Effekt haben, dass Schall reflektiert wird.

"Man kann sich das so vorstellen, dass ein Schall auf eine Wand trifft und sich umkehrt. Mit anderen Worten: Ein Geräusch kann vom Boden kommen und sich wieder umkehren. Und einen solchen Schall kann man noch in großer Entfernung hören."

Knud-Jacob Simonsen vom Dänischem Meteorologischen Institut sagte dazu der Zeitung "Jyllands Posten": "Es scheint, dass es am Samstag eine Inversionsschicht über Polen zwischen 2.800 und 3.600 Metern gab. Das bedeutet, dass es sehr gut vorstellbar ist, dass es in dieser Höhe eine Reflexion gegeben hätte, wenn es in Polen ein lautes Geräusch von einer Explosion oder Ähnlichem gegeben hätte."

Das würde allerdings den Angaben von Geus widersprechen, die der Ansicht sind, dass die Druckwellen aus der Atmosphäre stammten – und nicht von einer Sprengung in Polen, die eventuell auf die "Anakonda"-Übung zurückgehen könnte.

Was auch immer die Ursache für die Erschütterungen ist: Klar ist, dass die Vibrationen, das Fensterklirren und der Druckabfall nicht eingebildet waren. "Die Bornholmer haben eindeutig etwas erlebt. Daran besteht kein Zweifel", sagt Geus-Expertin Trine Dahl-Jensen.

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