Die Ereignisse rund um Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen am vergangenen Wochenende in Berlin hallen auch vier Tage später nach. Während vor allem das Vordringen einiger Hundert Menschen auf die Treppen des Reichstags hohe Wellen schlug, sieht sich die Berliner Polizei in den sozialen Netzwerken wegen zweier Einsätze vom Sonntag, also am Tag nach den Hauptdemonstrationen, massiven Vorwürfen ausgesetzt.
So sollen die Beamten in einem Fall durch ihr Einschreiten angeblich für den Tod einer 60-jährigen Demonstrantin verantwortlich sein. In einem zweiten dafür, dass eine Schwangere ihr ungeborenes Kind verlor. Beide Vorfälle, von denen jeweils Videos existieren, würden von den Medien jedoch verschwiegen. So die Gerüchte. Was ist da dran? Ein Faktencheck.
Gerücht 1: Frau stirbt an Folgen von Polizeigewalt
Was zeigt das Video?
Von der Festnahme der älteren Frau kursieren seit Sonntagabend mindestens zwei aus zwei verschiedenen Perspektiven gefilmte Videos in den sozialen Netzwerken. Mal in längerer Fassung, mal nur wenige Sekunden lang. Gelandet sind die Aufnahmen unter anderem bei Facebook und Twitter sowie in diversen Telegram-Kanälen, deren Mitglieder sich deutlich gegen die Corona-Maßnahmen in Deutschland positionieren.

Die Videos selbst zeigen den Moment der Festnahme durch vier Polizeibeamte. Was davor passiert ist oder wie die Situation weitergeht, zeigen sie nicht. Es ist lediglich zu sehen, wie die Beamten versuchen, die sich wehrende Frau zu fixieren. Mindestens ein Beamter kniet dabei auf den Beinen der schreienden Frau. Im Verlauf des Videos schlägt einer der Beamten der Frau zweimal mit der Faust unterhalb des Nackens zwischen die Schulterblätter. Umherstehende Zeugen kommentieren die Szene teils entsetzt, andere versuchen beruhigend auf die Beamten einzuwirken.
Was wird in den sozialen Netzwerken behauptet?
Im Zusammenhang mit den rasant geteilten und auch von einem politisch rechts einzuordnenden Blog veröffentlichten Aufnahmen wird behauptet, die Frau sei später "auf der Fahrt in die Dienststelle an inneren Verletzungen der Halsschlagader verstorben". Die Beamten indes hätten ausgesagt, die Frau habe sich bei einem Sturz selbst verletzt. Ein angeblicher Augenzeuge im Blog-Artikel dazu: "Ich bin entsetzt. Es tut mir so unendlich leid, dass dies passiert ist."
In anderen Posts wird behauptet, die Frau sei zwar am Leben, jedoch nun querschnittsgelähmt.
Was sagt die Polizei?
Die Berliner Polizei reagierte am Montag auf Facebook auf die Vorwürfe. "Nein, wir haben am Wochenende keine Frau umgebracht", heißt es zu Beginn des langen Statements, das auch konkret auf den Einsatz eingeht. Dieser habe sich am Sonntagnachmittag im Bereich des Großen Stern und in Höhe des Tiergartens wegen einer unerlaubten Ansammlung von Personen ereignet. Demnach war die Frau, laut Polizei eine 60-Jährige aus Baden-Württemberg, von einem Polizisten gebeten worden, den Bereich zu verlassen. Stattdessen habe sich sich jedoch auf den Boden gekauert und einem Beamten in den Bauch getreten. Beim Versuch, die Frau wegzutragen, habe diese dann versucht, einen Beamten zu beißen.
Weil sich die Frau weiter widersetzte, sei ihr mit der Faust auf den Rücken geschlagen worden, bestätigt die Polizei das körperliche Einschreiten des Polizisten. Anschließend habe man sie festgenommen und weggetragen. Bei dem Einsatz habe die Frau Schürfwunden erlitten, eine ärztliche Behandlung jedoch abgelehnt. Und weiter: "Anders als auf Social Media behauptet, haben wir keine Anhaltspunkte für weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen der Frau." Gegen die 60-Jährige werde nun wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte ermittelt. Gegenüber dem stern bestätigte eine Sprecherin der Berliner Polizei zudem, dass gegen den Beamten, der der Frau in den Rücken schlug, wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt ermittelt werde. Da es sich um ein laufendes Verfahren handele, könne sie dazu keine weiteren Angaben machen, so die Sprecherin.
Immerhin: In manchen Beiträgen – sogar im erwähnten Blog-Artikel – wurde nachträglich eingeräumt, dass die Frau am Leben ist und es sich bei der Todesmeldung um eine Falschnachricht handelt. Im Gros kursiert diese jedoch weiterhin ohne Richtigstellung im Netz.
Gerücht 2: Schwangere verliert nach Polizeieinsatz ihr Kind
Was zeigt das Video?
Wie auch im Fall der 60-Jährigen zeigt das Video nur das Einschreiten der Polizei, nicht aber, was vorher und nachher passiert ist. Die Festnahme ereignet sich etwas abseits, offenbar in einem Gebüsch. Es sind mehrere Polizisten zugegen, von denen einer versucht, die Frau zu fixieren, während ihn seine Kollegen von den umherstehenden Personen abschirmen. Menschen schreien durcheinander, immer wieder ist zu hören, die Polizisten sollen die Frau in Ruhe lassen. "Sie ist schwanger", "Lasst sie los" oder "Ihr könnt sie doch nicht auf den Bauch drücken", rufen die immer mehr werdenden Augenzeugen. Nach gut 90 Sekunden endet das Video, das ebenfalls seit Sonntagabend im Netz kursiert.

Was wird in den sozialen Medien behauptet?
Die Aufnahme dürfte sich im Netz auch deshalb tausendfach verbreitet haben, weil in vielen Postings behauptet wird, die Frau sei später in ein Krankenhaus eingeliefert worden, wo ihr ungeborenes Kind dann verstorben sei. Belege für diese Behauptung finden sich nirgends, dafür aber wird dem angeblich verantwortlichen Polizisten unter anderem via Twitter gedroht.

Was sagt die Polizei?
Die Polizei Berlin bestätigte den Einsatz, trat in ihrem Statement aber auch diesem Vorwurf, für eine Fehlgeburt verantwortlich zu sein, entschieden entgegen. Demnach sei der Schwangeren, eine 42-Jährige aus NRW, am Sonntagnachmittag ein Platzverweis erteilt worden, worauf die Frau einem Polizisten "unvermittelt gegen das Visier des Einsatzhelmes" geschlagen habe. Erheblichen Widerstand leistend sei die Frau mit körperlichem Zwang - "darunter auch ein Faustschlag gegen den Kopf" - zu Boden gebracht und festgenommen worden. In der Folge habe ein Angehöriger die Frau während der weiteren polizeiliche Maßnahmen begleiten dürfen. Ein Sanitäterteam stellte demnach keine Verletzungen bei der Frau fest, die laut Polizei einen Transport in ein Krankenhaus ablehnte. "Anders als auf Social Media behauptet wird, gibt es keine Anhaltspunkte für eine Gesundheitsbeeinträchtigung der Mutter und des ungeborenen Kindes." Auch gegen die 42-Jährige wird laut Polizei wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und tätlichen Angriffs sowie Körperverletzung ermittelt.
Fazit
Beide Vorfälle haben sich tatsächlich am vergangenen Wochenende, konkret am Sonntagnachmittag, in Berlin ereignet. Dass bei den Einsätzen auch Gewalt gegen die Frauen angewendet wurde, bestätigte die Polizei: "Ja, es gab anlässlich der Demos am Wochenende Situationen, in denen unsere Kolleginnen und Kollegen Zwang anwenden mussten – durch Ziehen, Schubsen, Festnahmegriffe aber auch durch Faustschläge oder den Einsatz von Pfefferspay." Kein Beamter übe gern Zwang aus, der "immer das letzte Mittel (ist), wenn einer Aufforderung nicht nachgekommen wird, obwohl das dringend erforderlich ist."
Hingegen dementierte sie die sozial verbreiteten Gerüchte vehement, wonach die 60-Jährige später ihren Verletzungen erlegen sei und die schwangere Frau ihr Kind verloren habe. Derartige Gerüchte entstünden durch "anonyme Behauptungen im Netz", wie die jahrelange Erfahrung zeige. "Ein großes und immer wiederkehrendes Problem ist, dass diese Videos und Fotos meist stark verkürzt und aus dem Kontext gerissen werden." Hier können Sie das gesamte Statement der Berliner Polizei noch einmal nachlesen.
Quellen: Polizei Berlin / Twitter / Facebook / Telegram